Noch immer Koffer-Chaos am Hamburger Flughafen
Stand: 20.12.2022 15:35 Uhr
Im vergangenen Sommer wurden viele Airlines und Flughäfen vom Reiseaufkommen überrascht. Beim Check-In, in der Sicherheitskontrolle und auch der Kofferausgabe kam es zu sehr langen Wartezeiten - hat sich die Lage mittlerweile wieder entspannt? NDR Info war vor Ort.
von Wiebke Neelsen
Immer wieder kamen im Sommer Koffer nicht rechtzeitig an oder gingen zwischenzeitlich sogar ganz verloren. Zu Hochzeiten standen um die tausend Gepäckstücke im sogenannten Terminal Tango, der zentralen Aufbewahrungsstelle am Hamburger Flughafen. Auch aktuell sind es Hunderte Koffer, Kinderwagen und Gepäckstücke verschiedener Fluggesellschaften, die dort gelagert werden.
Stimmung zwischen Hoffnung und Enttäuschung
Viele Passagiere haben sich schon darauf eingestellt, dass das Gepäck verloren gehen könnte.
Viele Passagiere sind mittlerweile besser vorbereitet und versuchen, das Wichtigste mit an Bord zu nehmen: "Wir haben extra zwei Sätze Wäsche im Handgepäck, wir sind präpariert", berichtet ein Mann, der auf die Azoren reisen will. Einige reisen schon seit Jahren nur mit Handgepäck, etwa ein Mann, der sich selbst als Vielflieger bezeichnet. Manche machen sich keine großen Gedanken und hoffen einfach, dass die Koffer wie geplant mit ihnen ankommen.
Andere sind schon völlig desillusioniert, etwa ein Mann, der von München nach Bukarest fliegen wollte. Doch es gab Komplikationen, er ist schließlich mit dem Zug nach Hamburg gefahren, von hier aus soll es dann weitergehen nach Rumänien, sein Koffer steckt jedoch noch in München. "Irgendwo in einem Keller", wie er sagt. "Tief enttäuscht" sei er von der Airline, in dem Fall der Lufthansa, denn es könne, so sagte man ihm, mehrere Wochen dauern, bis der Koffer nachgeschickt wird. "Sie haben gesagt, jetzt haben wir keine Zeit, ich soll mich elektronisch melden."
Experte: Service muss besser werden
Schellenberg: Airlines müssen den Service für Koffersuchende verbessern.
Auch die Lufthansa schreibt auf NDR Anfrage, vermisstes oder nicht angekommenes Gepäck könne über die Website oder die App gemeldet werden. Luftfahrt-Experte Cord Schellenberg bemängelt diese Praxis, die insbesondere ältere Menschen ohne Internetzugang vor Probleme stellen könnte. Sein Weihnachtswunsch bei diesem Thema: "Die Airlines müssen für nächstes Jahr mehr Experten vorhalten, die beim Koffersuchen persönlich helfen. Sie sollten zudem nicht nur digitale Services anbieten, sondern sie müssen telefonisch erreichbar sein und auch besser Auskunft geben über den Status des Gepäcks."
Personalmangel und Kostendruck
Für Schellenberg, der sich sich fast 40 Jahren mit der Luftfahrtbranche beschäftigt und verschiedene Betriebe rund um den Flugverkehr berät, steckt System hinter dem Kofferchaos: "Ich halte es für ein Organisationsproblem und natürlich auch für ein Personalproblem". Viele Fluggesellschaften würden mittlerweile Dienstleister einsetzen und so versuchen, die Kosten zu senken: "Man investiert lieber in sein Flugprodukt als in das sogenannte Bodenprodukt", ist sich Schellenberg sicher. Wenn also mehr bezahlt würde, könnten die Dienstleister auch mehr Personal einstellen - "wenn sie es denn jetzt am Markt finden", ergänzt der Experte.
Denn während der Lockdowns wurden viele Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt, und etliche haben die Branche mittlerweile ganz verlassen. Sie nun wieder zu rekrutieren, sei schwierig, erläutert Schellenberg - denn insbesondere für die Gepäck-Bearbeitung ist eine Sicherheitsüberprüfung nötig. "Und die bekommt nicht jeder, der sich bewirbt, und deswegen ist es nicht einfach für die Airlines, diese Personaldecke wieder aufzubauen wie früher."
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Auf Flugreisen kann es passieren, dass Gepäck verspätet am Urlaubsort ankommt oder verloren geht. Diese Rechte haben Reisende.
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Auch die Lufthansa als eine der großen Airlines schreibt auf NDR Anfrage, Personalengpässe "insbesondere an den Drehkreuzen in Frankfurt und München" seien der Grund, dass im Falle von Flugverspätungen teils "Gepäckstücke nicht rechtzeitig verladen werden können". Diese Gepäckstücke würden dann auf dem nächstmöglichen Flug verladen und am Zielort ausgehändigt.
Flughafen ist nicht zuständig
Wer am Hamburger Flughafen seinen Koffer sucht, muss zur zentralen Aufbewahrungsstelle. Terminal Tango befindet sich neben den beiden großen Terminals 1 und 2. Dort stoßen die Suchenden auf teils verwirrende Angaben, etwa zu Öffnungszeiten. Diese seien immer anders und etwa für Berufstätige unpraktisch, da zu kurz, bemängelt Schellenberg.
Im Terminal Tango stehen immer noch Hunderte Koffer.
Terminal Tango ist kein öffentlicher Flughafenbereich. Die Flughafen Hamburg GmbH ist dafür nicht zuständig, wie sie auf NDR Anfrage schreibt. Der Passagier schließe "einen Beförderungsvertrag für sich und sein Gepäck ausschließlich mit der Fluggesellschaft, dem Flughafen sind in jeder Hinsicht die Hände gebunden." Daher habe auch nur die Fluggesellschaft die notwendigen persönlichen Daten, um Passagier und Gepäck zusammenzubringen.
Auch Schellenberg bestätigt, dass ein Flughafen grundsätzlich nur für das System zuständig ist, also: "dass der Koffer vom Check-In bis ins Flugzeug verladen wird." Die meisten Fehler passieren auf Umstiegs-Verbindungen. Hierfür ist die jeweilige Airline in der Verantwortung.
AirTags helfen nur bedingt
Einige Passagiere haben mittlerweile Ortungsgeräte wie AirTags in ihren Gepäckstücken eingesetzt, um ihre Koffer orten zu können. Es kann in Einzelfällen daher sein, dass sich der Koffer bereits im Flughafen befindet, aber dennoch nicht herausgegeben werden kann, wie der Bodenverkehrsdienstleister Aviation Handling Services (AHS) auf NDR Anfrage schreibt:
"So kann es zum Beispiel sein, dass ein Koffer zwar schon am Hamburg Airport eingetroffen ist, er aber noch nicht zollrechtlich geprüft und freigegeben wurde. Dann kann er auch nicht ausgeliefert werden."
Situation im Vergleich zum Sommer normalisiert
Die AHS Hamburg verfügt nach eigenen Angaben über einen "auskömmlichen und gut geschulten Personalbestand". Dennoch warten immer noch viele Passagiere auf die Auslieferung ihrer Koffer, teils mehrere Tage oder gar Wochen. Insgesamt hat sich laut AHS die Zahl der verlustgemeldeten Gepäckstücke aber reduziert und die Situation im Vergleich zum Sommer normalisiert. Statt bis zu 1.000 Koffern im Sommer stehen im Terminal Tango nun immerhin nur noch einige Hundert.
Reisende sollten sich sofort an den Gepäckermittlungsschalter wenden und ein entsprechendes Formular (Property Irregularity Report) ausfüllen. Sollte der Schalter geschlossen sein, könne man auch am Folgetag wiederkommen, so Julia Rehberg von der Verbraucherzentrale Hamburg. Wer zu weit vom Flughafen weg wohnt, könne online ein entsprechendes Formular bei der Fluggesellschaft ausfüllen. Außerdem muss die Verspätung zusätzlich schriftlich bei der Fluggesellschaft angezeigt werden: "Ich würde immer empfehlen, das so schnell wie möglich zu machen", so Rehberg. Wenn man mit mehreren Fluggesellschaften geflogen ist, sollte man sicherheitshalber jede Airline anschreiben.
Julia Rehberg von der Verbraucherzentrale Hamburg weist auch daraufhin, dass die Verspätung schriftlich angezeigt werden muss: "Ob eine Mail ausreicht, ist strittig, daher sollte die Anzeige auch noch schriftlich, also per Einschreiben oder Fax, erfolgen."
Laut Verbraucherzentrale müssen bei der Anzeige von verspätetem Gepäck bestimmte Fristen eingehalten werden: Innerhalb von sieben Tage nach Erhalt des Koffers sind Beschädigungen anzuzeigen, 21 Tage habe man für die Verspätung. Das sei nötig, damit später auch im Falle des Verlusts des Koffers eine Entschädigung geltend gemacht werden könne.
Der Flughafen Hamburg weist darauf hin, dass er selbst keinen Zugriff auf die Daten von Reisenden und Gepäckstücken habe und daher nicht zuständig für das Koffer-Chaos sei. Den Beförderungsvertrag schließen Passagiere mit der jeweiligen Fluggesellschaft, die sei entsprechend auch der Ansprechpartner für die Reisenden, teilt Flughafen-Sprecherin Katja Bromm mit. In der Praxis ist das manchmal schwierig, weil die Verantwortung hin und her geschoben wird. Das hat Passagier Jeff Helm aus Buxtehude gerade erlebt. Er ist bereits seit einem Monat auf der Suche nach seinem Koffer, der auf seinem Flug nach Florenz abhandenkam. Da er zunächst mit Lufthansa und dann mit Air Dolomiti geflogen sei, fühle sich keine der beiden Fluggesellschaften zuständig und verweise jeweils auf die andere.
Zunächst müssen Reisende schauen, wo genau sie am Flughafen hin müssen und welcher Ansprechpartner für sie zuständig ist. Das können sie auf der Internetseite des Flughafen Hamburgs nachvollziehen oder eine E-Mail an den Flughafen schreiben. Je nach Fluggesellschaft gibt es zwei Zugänge in unterschiedlichen Terminals, die von 8 bis 20 Uhr besetzt sein sollen. Dort sollen Reisende klingeln, damit ihnen ein Mitarbeiter die dicke Stahltür öffnet. In der Praxis sollten Reisende sich darauf einstellen, dass sie bereits vor der Tür zum Bereich "Baggage Tracing/Lost and Found" länger warten müssen, bis sie in den Sicherheitsbereich eingelassen werden. Außerdem müssen sie einen Ausweis und den Gepäckabschnitt vorzeigen.
Taucht der Koffer wieder auf, bringt die Fluggesellschaft ihn in der Regel an den Reiseort oder nach Hause. Wenn die Airline diesen Service nicht anbietet, so könne die Erstattung der Fahrtkosten verlangt werden, erklärt Julia Rehberg von der Verbraucherzentrale, dazu gehören dann gegebenenfalls auch notwendige Parkkosten. Bei Telefonkosten sei dies nicht so einfach, da müsse man schon genau belegen, dass die Telefonate zur Recherche notwendig waren: "Verbraucher:innen sollten möglichst die Rufnummern der Airline nutzen, die zum nationalen Festnetzpreis angeboten werden oder wenn möglich kostenfreie Kommunikationsmöglichkeiten."
Wenn das Gepäck am Ankunftsort nicht ankommt, müssen Reisende sich mit Kleidung und Hygieneartikeln eindecken. Rechtsanwalt Alexander Skribe erklärt, dass Reisende zuerst den Verlust anzeigen müssen - im Optimalfall am Schalter zur Gepäckermittlung - und sich, bevor sie Einkäufe tätigen, unbedingt noch einmal an die zuständige Fluggesellschaft wenden müssen. Zum Beispiel per E-Mail, WhatsApp oder telefonisch - wann das Telefonat stattgefunden hat, müsse dokumentiert werden. "Reisende können dem Zweck des Urlaubs entsprechend einkaufen", erklärt Skribe. Bei einem Badeurlaub seien dies also eher die Badehose, Handtuch, Hygieneartikel und Badelatschen. Wer beruflich unterwegs sei oder auf eine Hochzeit eingeladen, könne sich aber auch dem Anlass entsprechend eindecken, zum Beispiel mit einem Anzug: "Die Leute sollten vernünftig sein und das einkaufen, was wirklich notwendig ist. Es müssen nicht unbedingt die teuersten Schuhe sein." Passagiere sollten sich darauf einstellen, dass unter Umständen nur die Hälfte oder drei Viertel des Einkaufs übernommen werden.
Das ist laut Rechtsanwalt Alexander Skribe möglich, wenn man nachweisen kann, dass die Airline die Lieferung nach Hause nicht angeboten hat und dazu aufgefordert hat, den Koffer am Flughafen abzuholen: "Wenn die Lufthansa beispielsweise schreibt, dass sie Personalmangel habe und eine Abholung am Flughafen empfehle, muss man ja einen Aufwand tätigen, der eigentlich bei der Fluggsellschaft läge." Wichtig sei, dass man einen Nachweis habe. Die Fluggesellschaft Lufthansa bestätigte, dass Kosten, die im Zusammenhang mit dem Gepäckverlust und/oder der Abholung des Gepäcks am Flughafen entstanden sind, z.B. Telefonkosten, auf Basis von Nachweisen bzw. Quittungen ersetzt werden. Dafür sollen Reisende mit Lufthansa Customer Relations über das Kontaktformular auf der Website in Kontakt treten.
Taucht ein Koffer gar nicht mehr auf, dann haben Reisende Anspruch auf Entschädigung: Die kann im Maximalfall zwischen 1.400 und 1.600 Euro liegen. Julia Rehberg von der Verbraucherzentrale empfiehlt, Kaufbelege von neuen Gegenständen aufzubewahren und sich bereits vor Reiseantritt darauf vorzubereiten, dass ein Koffer abhanden kommen könnte und zum Beispiel wichtige Gegenstände (Schmuck, Wertgegenstände) oder eine Basis-Ausstattung mit ins Handgepäck zu nehmen.
Verbraucher können ihre Zahlungsansprüche über die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr geltend machen.
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20.12.2022 | 16:00 Uhr