Krankenhausreform: Beifall und Kritik aus Norddeutschland
Bund und Länder haben sich auf Eckpunkte einer Krankenhausreform geeinigt. Das teilten Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Vertreter der Bundesländer nach einem Treffen in Berlin am Montag mit. Die Reaktionen sowohl aus der Politik als auch aus dem Gesundheitswesen fallen unterschiedlich aus.
In der Pressekonferenz sprach Lauterbach von "einer Art Revolution". Von den 16 Ländern hätten 14 für die Reform gestimmt, so der Minister. Bayern stimmte dagegen, Schleswig-Holstein enthielt sich. Über den Sommer würden Bund und Länder nun einen konkreten Gesetzentwurf ausarbeiten, so Lauterbach. Dabei sollen Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern von Länderseite maßgeblich mitwirken.
SH-Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken (CDU) zeigte sich unzufrieden mit dem Ergebnis. Es sei nicht klar "welche Auswirkungen die Reform auf die Krankenhauslandschaft in Schleswig-Holstein" habe. Hamburgs Gesundheitssenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) dagegen lobte den Eckpunkte-Kompromiss: "Die Lösung ist ausgewogen." MV-Ministerin Stefanie Drese (SPD) sagte, sie sei "sehr zufrieden", ähnlich äußerte sich Niedersachsens Ressortchef Andreas Philippi (SPD).
Norddeutsche Krankenhausgesellschaften fordern Nachbesserungen
Der Verbandsdirektor der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft, Helge Engelke, forderte hingegen Änderungen an der Reform. Es sei schlecht, dass sich die von den Ländern angemahnte Finanzspritze des Bundes für die Kliniken noch vor der Reform nicht durchgesetzt habe. Angesichts der "vielfältigen Probleme und massiven wirtschaftlichen Schieflage" der Krankenhäuser sei eine Reform zwar unbestritten notwendig, so Engelke. Aber: "Eine Reform, die im Kern lediglich auf die Schließung von Krankenhäusern zielt und die keinerlei zusätzliche Investitionen vorsieht, wird nur eines erreichen: eine schlechtere Versorgung der Patientinnen und Patienten und eine höhere Belastung der Mitarbeitenden."
Auch die Krankenhausgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern äußerte sich eher enttäuscht. "Insgesamt überwiegt die Ernüchterung und die Erkenntnis eines noch langen Weges mit vielen Stolpersteinen", erklärte der Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft MV, Uwe Borchmann.
Kritik auch von Deutscher Krankenhausgesellschaft und Marburger Bund
Der Vorstandschef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, zeigte sich vom Kompromiss in Berlin ebenfalls enttäuscht. In dem Eckpunktepapier fehlten Soforthilfen für die Kliniken - als Ausgleich für die gestiegen Kosten, sagte Gaß in den ARD-Tagesthemen. Die Vorsitzende des Marburger Bundes, Susanne Johna, kritisierte, dass Bund und Länder generell keine finalen Finanzzusagen gemacht hätten. Dabei sei das der springende Punkt, sagte Johna der "Rheinischen Post". Zustimmung kam dagegen von der Bundesärztekammer. Präsident Klaus Reinhardt lobte, dass bei der weiteren Entwicklung die Ärzte, die Pflege, Krankenhäuser und Kassen mit einbezogen würden.
#NDRfragt: Viele befürchten längere Wege, viele erwarten bessere Behandlung
Der NDR hat in einer Online-Umfrage 4.500 Menschen gefragt, ob sie durch die geplante Krankenhausreform eher Vorteile oder eher Nachteile für sich erwarten. Dabei lagen Hoffnungen und Befürchtungen etwa gleichauf: Während viele Menschen (64 Prozent) vor allem auf dem Land künftig mit längeren Wegen zu einer geeigneten Klinik rechnen, sehen ebensoviele Teilnehmende Chancen für eine bessere Behandlungsqualität. Die Ergebnisse von #NDRfragt sind nicht repräsentativ, aber gewichtet.
Geplante Reform: Abkehr von Fallpauschalen, stärkere Spezialisierung von Kliniken
Bei der Krankenhaus-Finanzierung werde es wie geplant eine Abkehr von den Fallpauschalen geben, hatte Lauterbach am Montag zum gefundenen Bund-Länder-Kompromiss gesagt. Künftig sollten 60 Prozent der Kosten von Kliniken über Vorhaltepauschalen gedeckt werden. "Das nimmt den ökonomischen Druck weg", sagte der SPD-Politiker. Auch sollten sich die Kliniken stärker spezialisieren und verschiedene "Level" von Krankenhäusern deutlich machen, ob eine Klinik vor allem für die medizinische Grundversorgung verantwortlich ist oder auch komplizierte Behandlungen übernimmt, so Lauterbach.
Lauterbach: Reform ist Existenzgarantie für kleine Kliniken
Kleine Krankenhäuser würden nicht mehr gezwungen, so viele Leistungen zu erbringen - Krebsbehandlungen etwa würden in Spezialzentren erfolgen. Die Vorhaltepauschalen könnten nur Kliniken erhalten, die auch entsprechende Qualitiätskriterien erfüllten, so Lauterbach. Kleine Kliniken könnten sich damit darauf konzentrieren, was sie gut leisten könnten. Die Reform sei damit auch eine "Existenzgarantie für kleine Kliniken auf dem Land", sagte der Minister. Dies helfe auch gerade Krankenhäusern in Ostdeutschland, weil dort viele Häuser gefährdet seien, die nach dem bisherigen System nicht mehr auf genügend Behandlungsfälle kämen.
Bund will Gesetz zu Daten über Klinik-Qualität im Alleingang umsetzen
Lauterbach kündigte auch an, dass der Bund seinen Plan, Daten zur Qualität von Kliniken zu veröffentlichen, im Alleingang umsetzen werde. Er hoffe, dass ein dafür nötiges Gesetz schnell verabschiedet werde und die Daten schon ab dem 1. Januar 2024 veröffentlicht werden könnten.
Lauterbach hatte vor dem Treffen mit den Ländern noch einmal Druck gemacht: Man sei an einem "Scheidepunkt", sagte Lauterbach: "Wir müssen uns überlegen - will man die Reform oder nicht. Wir können keine faulen Kompromisse machen."
Kritik an Reform aus Schleswig-Holstein
Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin von der Decken verteidigte die Enthaltung der Kieler Landesregierung. Die Reform müsse kommen, aber entscheidende Fragen seien offen geblieben, sagte die CDU-Politikerin. "Deswegen haben wir uns enthalten." Das Eckpunktepapier sei für den Norden immer noch kein zufriedenstellendes Papier. Die von Lauterbach zugesagte Auswirkungsanalyse der Reform fehle weiter. Zudem habe sich der Bund bei der Liquiditätssicherung der Kliniken zu keinem Entgegenkommen durchringen können. "Der kalte Strukturwandel - das ziellose Kliniksterben - droht sich also bis zur Reform so weiter fortzusetzen."
Die Fraktionen von SPD und FDP kritisierten die schwarz-grüne Landesregierung scharf. Von einer "krassen Fehlentscheidung" sprach der FDP-Gesundheitspolitiker Heiner Garg. Nach Ansicht der SPD-Expertin Birte Pauls hat Schwarz-Grün mit dem Abstimmungsverhalten Schleswig-Holstein isoliert.
Die Krankenhausgesellschaft in Schleswig-Holstein hält die geplante Klinikreform im Grundsatz für richtig. Geschäftsführer Patrick Reimund meint aber, dass sich die finanzielle Lage der Krankenhäuser kurzfristig nicht verbessern, sondern verschlechtern wird, weil es keine Zwischenfinanzierung gebe. Insgesamt spricht die Krankenhausgesellschaft von einer "Revolution in Zeitlupe".
Hamburger Gesundheitssenatorin begrüßt Ergebnis
Hamburgs Gesundheitssenatorin Schlotzhauer begrüßte die Verständigung auf zentrale Rahmenbedingungen für die Krankenhausreform. "Das Eckpunktepapier trägt deutlich die Handschrift der Länder. Nun beginnt die Arbeit am konkreten Gesetzentwurf." Zentrales Ziel der Reform seien einheitliche Qualitätsvoraussetzungen in den Krankenhäusern. "Es muss egal sein, ob Patientinnen und Patienten in Bochum, Buxtehude oder Hamburg-Barmbek behandelt werden. Hierzu haben sich Bund und Länder auf die Einführung von bundesweit einheitlichen Leistungsgruppen verständigt."
Schlotzhauer: Krankenhausplanung bleibt in der Hand der Länder
Schlotzhauer sagte, Schnittstellen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung würden ebenso gestärkt. Und die Krankenhausplanung bleibe in der Hand der Länder: "Sie bestimmen bei der Bildung von Leistungsgruppen maßgeblich mit und weisen sie den Krankenhäusern zu." Die Reform könne nur erfolgreich sein, wenn sie die Unterschiedlichkeit der Krankenhauslandschaft in den Bundesländern abbilde, so Schlotzhauer. "Hierfür können nur die Länder selber Sorge tragen."
An der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs sollen für die Länderseite Hamburg, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sowie für die Belange Ostdeutschlands auch Mecklenburg-Vorpommern beteiligt werden.
MV: Ministerin Drese ist "sehr zufrieden"
Auch Mecklenburg-Vorpommerns Gesundheitsministerin Drese äußerte sich "sehr zufrieden" über die vereinbarten Grundzüge der Reform. "Wir wollten gesichert haben, dass die Krankenhausplanung in Länderhand bleibt und Ausnahmetatbestände in den einzelnen Ländern Berücksichtigung finden." Ein großer Erfolg für die ostdeutschen Länder sei, dass anerkannt werde, dass sich die Ausgangslage im Osten von der im Westen sehr unterscheide - vor allem durch den nach der Wende bereits vollzogenen Klinik-Strukturwandel im Osten. Außerdem solle in dünn besiedelten und unterversorgten Gebieten eine Entökonomisierung und dauerhafte Sicherstellung der Versorgung erreicht werden. Das sei gerade für MV wichtig, so die Ministerin.
Philippi: Ein richtig gutes Signal
Niedersachsens Gesundheitsminister Philippi hatte am Montagmorgen auf NDR Info gesagt, dass die Versorgung der Patienten im Mittelpunkt der Reform stehen müsse. Eine Verringerung der Anzahl an Krankenhäusern aufgrund des Ärzte- und Personalmangels wäre für ihn grundsätzlich keine schlechte Entscheidung, wenn sich dadurch die Versorgung der Patienten verbessern würde, so Philippi. Die erzielte Verständigung zwischen Bund und Ländern begrüßte anschließend auch er. Der "gordische Knoten" sei durchschlagen. "Das ist ein richtig gutes Signal für die Handlungsfähigkeit der Politik und für das Funktionieren des Föderalismus." Philippi sprach von einem Paradigmenwechsel bei der Finanzierung der Krankenhäuser: "Die ruinöse Überökonomisierung ist damit gestoppt."