Handel mit Schädeln: "Nicht gelungen, über Kolonialismus aufzuklären"
Recherchen des NDR Magazins Panorama zeigen, dass bis heute mit Schädeln aus der Kolonialzeit gehandelt wird. Historiker Jürgen Zimmerer von der Universität Hamburg geht davon aus, dass sie aus Verbrechen stammen und sieht bei der Aufarbeitung des kolonialen Erbes den Staat in der Verantwortung.
Grundsätzlich ist der Besitz und Handel von Menschenschädeln auch aus der deutschen Kolonialzeit nicht illegal, wenn keine Straftaten, die damit verbunden sind, nachgewiesen werden können. Staatsministerin Katja Keul, die im Auswärtigen Amt für die Aufgaben rund um das koloniale Erbe zuständig ist, will jetzt gesetzlich nachbessern, um den privaten Handel zu verbieten. Doch wie kann es überhaupt sein, dass der Markt mit Privatverkäufen boomt, wie NDR Recherchen zeigen? Darüber hat NDR Info Moderatorin Liane Koßmann mit dem Historiker Jürgen Zimmerer von der Uni Hamburg gesprochen, der den Zustand als unerträglich bezeichnet.
Den privaten Handel mit Schädeln und Knochen verbieten - lässt sich aus Ihrer Sicht das Problem so lösen?
Jürgen Zimmerer: Nein. Erstens weiß man ja, dass im Internet auch ein Darknet existiert, dass es schwierig ist, das Internet zu kontrollieren. Natürlich sollte man Richtlinien erlassen, dass der Zoll tätig werden kann. Aber im Grunde ist es ja ein Symptom eines größeren Problems: Dass es uns in den letzten Jahren auch nicht gelungen ist, die breite Bevölkerung darüber aufzuklären, was Kolonialismus eigentlich ist. Dass das ein rassistisches Unrechtssystem ist, ein sehr gewalttätiges System war. Dass alle Objekte, die aus diesem Kontext kommen, einfach unter dem Verdacht stehen, dass sie aus Verbrechen und Unrechtszusammenhängen stammen. Und dass, wenn man darüber aufklärt, vielleicht eine gewisse Naivität von Sammlerinnen dann eben wegfällt.
Es wird immer Leute geben, die alles Mögliche trotzdem tun, aber hier ist man gescheitert. Und hier ist Katja Keul, die das in dem Film ja auch anspricht, auch nicht ganz ehrlich. Denn es ist ja im Grunde auch diese Bundesregierung, die im Moment die Beschäftigung mit dem kolonialen Erbe sehr stiefmütterlich behandelt. Und eigentlich der Erinnerung etwa an den Genozid an den Herero und Nama, aus dem eben auch viele Schädel, sogenannte human remains stammen, erst vor wenigen Wochen an den erinnerungspolitischen Katzentisch verwiesen hat.
Es geht also auch um den Umgang mit menschlichen Gebeinen aus der deutschen Kolonialzeit, eben diese auch an die betroffenen Länder zurückzugeben. Warum ist das so wichtig aus Ihrer Sicht?
Zimmerer: Erstens sind die widerrechtlich hier, die haben keine Einwilligung gegeben. Die Individuen, die meisten Gesellschaften, möchten sie zurück. Natürlich möchte man seinen Großvater oder seine Großmutter gerne bestatten und nicht ausgestellt wissen oder in in privaten Sammlungen. Und zum Zweiten ist es teilweise eben auch religiös konnotiert. Gewisse Bestattungsriten können gar nicht stattfinden. Jemand kann gar nicht die ewige Ruhe finden, wenn er nicht komplett bestattet wird und beispielsweise der Kopf fehlt. Das ist ein unerträglicher Zustand.
Jetzt haben unsere Reporter bei ihrer Recherche aber auch erfahren, dass Sammler und Händler eine Rückführung für übertrieben halten. Schädel, die einen kulturellen Wert haben, die seien in Europa viel besser aufgehoben, lautet ein Argument.
Zimmerer: Das ist das Standardargument, das man jetzt immer hat. Das hatte man auch schon bei den Benin-Bronzen. Es hieß, sie seien hier besser aufgehoben. Aber das kann ja kein Argument sein. Wenn sich etwas widerrechtlich angeeignet wurde, durch einen Mord oder durch Völkermord, auf jeden Fall durch Grabraub, und ein Symbol für Unrecht ist, dann kann ja nicht das Argument sein: Aber es ist hier besser aufgehoben. Unrecht bleibt Unrecht und muss eben im Grunde bereinigt werden. Dass das die Sammler nicht einsehen, das kann man vielleicht nachvollziehen. Wer sammelt eigentlich menschliche Körperteile? Das kann man sich ja auch mal fragen.
Warum tut sich Deutschland insgesamt nach wie vor so schwer bei der Aufarbeitung?
Zimmerer: Der Film geht ja auf die privaten Sammlungen ein, aber wir haben ja ein Problem: Wir haben in Deutschland über 17.000 "human remains" in der öffentlichen Hand, also in Museen, in Archiven, in Kliniken. Und wir gehen mit diesem Problem nicht ernsthaft genug um. Um ein Beispiel aus Hamburg zu geben: Wir wissen jetzt seit sieben oder acht Jahren, dass am UKE über 70 "human remains" aus kolonialen Kontexten sind. Und wir versuchen seit Jahren eine Finanzierung zu finden, um diese aufzuarbeiten und zu erforschen, wo die herkommen und uns auch zu überlegen, wie man die, die man nicht mehr identifizieren kann, in einer würdigen Form bestattet und es gelingt uns nicht, eine Finanzierung zu bekommen.
Wir haben erst im Dezember mehreren Direktoren von Sammlungen und an die Wissenschaftssenatorin geschrieben und gesagt: "Wir haben in Hamburg ein riesiges Problem mit kolonialen Objekten, mit kolonialen Subjekten und mit "human remains". Wir wollen das aufarbeiten. Wir brauchen Ihre Unterstützung, wir brauchen die Forschungsstelle 'Hamburgs postkoloniales Erbe'". Wir haben zunächst keine Antwort bekommen. Im Juli wurden die Mittel der Forschungsstelle um 65 Prozent gekürzt mit der Ansage, dass sie in zwei Jahren ganz ausläuft. Das ist die Realität jenseits des schönen Redens von Katja Keul, wie hier damit umgegangen wird, weil die Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank der Meinung ist, dass die Aufarbeitung des kolonialen Erbes keine hoheitliche, keine städtische, keine staatliche Aufgabe ist, sondern eine Aufgabe der Wissenschaft und quasi die Verantwortung wegschiebt.