Schluss mit der Kolonial-Romantik - aber wie?
In einem europaweit einzigartigen Projekt will Hamburg zum Beispiel im "Tansania-Park seine Kolonialvergangenheit aufarbeiten. Vielen geht es aber nicht schnell genug. Sie stören sich an der Verherrlichung.
Am besten ist, man nimmt sich eine halbe Stunde Zeit für einen Besuch des abgelegenen "Tansania-Parks" in Hamburg. Dort zeigt sich geradezu beispielhaft, wie sich die Hansestadt über ihre koloniale Vergangenheit streitet - und dabei nicht recht vom Fleck kommt. Es ist eine schlecht gepflegte Grünanlage im Stadtteil Jenfeld, kaum größer als zwei Tennisplätze nebeneinander. Das Eingangstor ist abgeschlossen, nur wenige Eingeweihte haben einen Schlüssel. In dem Park stehen die "Askari-Reliefs" aus der Zeit des Dritten Reiches. Das Kunstwerk glorifiziert die deutsche Kolonialzeit in Afrika. Wie soll die Stadt damit umgehen? Seit 2002 tobt ein Streit über die beste Lösung. Zuletzt arbeitete ein Beirat sechs lange Jahre Texte aus, die die sogenannten Askari-Reliefs historisch einordnen sollen. Seit 2012 liegen die Entwürfe vor. Aber seitdem ist nichts passiert.
Ein Erinnerungskonzept soll her
Hamburg will sich nun seinem Kolonialerbe widmen. Im Juli 2014 präsentierte der Senat, wie er sich die Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit vorstellt. An der Hamburger Universität ist daraufhin eine Forschungsstelle eingerichtet worden. Die Wissenschaftler sollen innerhalb von drei Jahren die Fakten-Grundlage für das geplante Erinnerungskonzept schaffen. "Hamburg stellt sich seiner problematischen Vergangenheit", sagt dazu Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos). Auch die Hamburger Museen sollen sich künftig stärker dem Thema Kolonialerbe widmen. Und - ganz wichtig - der "Tansania-Park" müsse neu gestaltet werden, gibt der Senat vor. Aber erst einmal sollen die Historiker ihre Arbeit erledigen.
Hamburg ist Vorreiter
"Hamburg ist zu lange passiv gewesen bei der Aufarbeitung seiner Kolonialvergangenheit", sagt Jürgen Zimmerer. Der Professor leitet die neu geschaffene Forschungsstelle an der Universität mit dem Titel "Hamburg (post-)koloniales Erbe/ Hamburg und die frühe Globalisierung". Für das jetzige Vorhaben ist er voll des Lobes: "In ganz Europa gibt es nichts Vergleichbares. Dass eine Stadtregierung sagt: Wir müssen unsere Kolonialvergangenheit aufarbeiten", sagt Zimmerer. Hamburg sei in dieser Hinsicht ein führender Platz postkolonialer Forschung in der Welt.
Überall sind Kolonialspuren zu finden
Was kaum jemandem bewusst ist: Das Stadtbild Hamburgs ist an vielen Ecken von der Kolonialzeit geprägt. "Man kann in Hamburg ja kaum 200 oder 300 Meter weit laufen, ohne an einem Erinnerungsort der Kolonialzeit vorbeizukommen", sagt Zimmerer. Im Hafen ist etwa die Speicherstadt zu nennen, die ohne den Handel mit Kolonialwaren aus aller Welt in dieser Größe nicht nötig gewesen wäre. Tee, Kaffee und Gewürze sind ja klassische Kolonialwaren. Zudem ließen Hamburger Kaufleute, die dank des Kolonialhandels Reichtümer anhäufen konnten, einige prägnante Gebäude errichten - wie das Chilehaus im Kontorhausviertel, das zusammen mit der Speicherstadt den Titel UNESCO-Welterbe trägt. Auch die Hamburger Universität, die aus dem "Hamburgischen Kolonialinstitut" hervorgegangen ist, das Völkerkundemuseum und der traditionsreiche Tierpark Hagenbeck haben ihren Ursprung in der Kolonialzeit.
"Nur anekdotisches Wissen"
Schon seit Jahrzehnten befassen sich Wissenschaftler damit, die Epoche der Kolonialzeit aufzuarbeiten. Aber es gibt noch viel zu tun. "Man kennt bislang überall nur die Spitzen der Eisberge, aber nicht den Rest", sagt Professor Zimmerer im Gespräch mit NDR.de. Man habe nur anekdotisches Wissen. Zu klären sind unter anderem noch folgende Fragen: Wie ist Hamburg als Stadt mit der Kolonialzeit um 1900 oder 1910 umgegangen? Inwiefern profitierte Hamburg von dem Sklavenhandel? Wie verbreitet war Kritik an den deutschen Kolonien in Afrika?
Hamburger lassen sich Schnapshandel nicht verbieten
Klar ist schon jetzt, dass viele Hamburger Kaufleute vom Kolonialhandel profitierten. Dabei ging es nicht nur darum exotische Waren ins Deutsche Reich zu holen. Auch als Absatzmarkt sind die Kolonien wichtig. In der Hansestadt lebte beispielsweise eine ganze Industrie vom Branntwein-Export. 1884 existierten in und um Hamburg mehr als 20 Firmen, die mit der Schnaps-Herstellung befasst waren. Missionare prangerten zwar die verheerenden Folgen des Alkoholgenusses in der afrikanischen Bevölkerung an. Aber der Hamburger Kaufmann Adolph Woermann machte deutlich, dass das Geschäft wichtiger sei als die Moral. Im Reichstag sagte Woermann im Februar 1885: "Wollen wir aus reiner Liebe zu den Negern den Schnapshandel nach Afrika verbieten, so würden wir einen wichtigen Zweig des deutschen Exporthandels bedeutend schädigen!" Die Haltung Woermanns ist typisch für seine Zeit, die Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung wurde nicht als problematisch angesehen. "Der Gedanke, dass man etwas Unrechtes tut, kam den Meisten gar nicht", sagt Zimmerer. Man könne den Afrikanern das Land ruhig wegnehmen, weil sie es ja nicht nutzten, so die Argumentation. Und den Menschen vor Ort würde man noch einen Gefallen tun, wenn man sie zur Arbeit bringt und so erzieht.
Bismarck überredet
Reichskanzler Otto von Bismarck sah Deutschland nicht als Kolonialmacht, er sträubte sich lange gegen ein Engagement in Afrika. Er fürchtete Konfrontationen mit den anderen Kolonialmächten wie England und Frankreich. Es waren im Wesentlichen Hamburger Kaufleute, die vehement darauf drängten, dass die Geschäfte in Afrika mit deutschen Soldaten gesichert werden. Denn immer wieder gab es Widerstand in der einheimischen Bevölkerung gegen die brutale und rücksichtslose Vorgehensweise der Weißen. Bismarck gab schließlich nach- und so entstanden Mitte der 1880er-Jahre die "Deutschen Schutzgebiete" in Afrika.
Soldaten gingen in Hamburg an Bord
Ein wichtiger Schauplatz war Hamburg auch bei der Niederschlagung des Aufstandes der Herero und Nama in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika ein, dem heutigen Namibia. 15.000 bis 19.000 Soldaten waren im Einsatz, fast alle Truppen wurden von Hamburg aus nach Afrika verschifft. Die einzige Reederei, die damals eine regelmäßige Verbindung nach Südwestafrika anbot, war die Woermann-Linie des Hamburger Kaufmanns und Reeders Adolph Woermann. Auch 11.000 Pferde und massenweise Verpflegung wurden im Hamburger Hafen verladen. Viele Historiker - unter ihnen Zimmerer - bezeichnen das deutsche Vorgehen bei der Niederschlagung des Herero-Aufstandes als Völkermord. Unter dem Befehl von Generalleutnant Lothar von Trotha sei die vollständige Vernichtung der Herero das Ziel gewesen. Zehntausende kamen ums Leben, viele von ihnen verdursteten in der Wüste, nachdem die Deutschen den Herero den Zugang zu den wenigen Wasserstellen verwehrt hatten.
Ein Zuckerguss für Kaufmanns-Biografien
Wer sich in Hamburg mit der Kolonialvergangenheit der Stadt beschäftigt, kommt nicht am Arbeitskreis Hamburg Postkolonial vorbei. In der Gruppe engagieren sich seit 2003 Wissenschaftler, Journalisten und Künstler für ein Umdenken bei der "zumeist verdrängten und verleugneten Kolonialgeschichte der Stadt Hamburg und des Unterelberaums". Sie bieten Stadtrundgänge auf den Spuren der Kolonialzeit an und setzen sich für die Umbenennung von Straßen ein, die die Namen von einstigen "Kolonialhelden" tragen. Auch wenn solche angestrebten Umbenennungen in Hamburg auf großen Widerstand von Anwohnern stoßen. Die Gruppe fordert aber unbeirrt ein Ende der "Kolonial-Romantik". "Denn es wird vielerorts romantisiert, wie schön Hamburg in der Kolonialzeit reich geworden ist", sagt Millicent Adjei vom Arbeitskreis Hamburg Postkolonial. Die Biografien der Hamburger Kaufleute seien mit einem Zuckerguss überzogen. Das Ziel müsse sein, die Erinnerungen an die Kehrseite der Kolonialgeschichte wachzuhalten. Denn der Kolonialismus sei eine Geschichte von Gewalt und Rassismus.
"Nachkommen der Kolonisierten beteiligen"
Der Arbeitskreis hat wesentlich dazu beigetragen, dass der Senat jetzt die Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit angeht. Aber die Mitstreiter sind nicht zufrieden. Die Forschung dürfe sich nicht auf eine "weiße Herrschaftsgeschichte" beschränken, sondern müsse noch stärker fachübergreifend erfolgen. Darüber hinaus sei ein Perspektivwechsel nötig. "Die Nachkommen der Kolonisierten müssen beteiligt werden", sagt Adjei. Der Arbeitskreis fühlt sich ausgeschlossen von der Erstellung des Erinnerungskonzeptes. "Es reicht uns nicht, dass wir uns am Ende die Ergebnisse der Forschungsstelle anhören und von der Stadt gebeten werden, das Konzept abzunicken", fasst Adjei die Stimmung im Arbeitskreis zusammen.
Kulturbehörde weist Kritik zurück
Die Kulturbehörde kann die Vorwürfe nicht nachvollziehen. "Die Mitarbeit des Arbeitskreises Hamburg Postkolonial am geplanten Erinnerungskonzept ist von Anfang an erwünscht gewesen", sagt Behörden-Sprecher Enno Isermann auf Anfrage von NDR.de. Der Arbeitskreis werde auch eingeladen, wenn im Frühjahr 2017 auf einem Symposium die ersten Forschungsergebnisse vorgestellt und diskutiert werden sollen. Und der Vorwurf einer "weißen Herrschaftsgeschichte"? Die Kulturbehörde verweist auf die Partnerschaft mit der Universität in Daressalam. So ist zumindest ein afrikanischer Wissenschaftler an der Aufarbeitung der Hamburger Kolonialgeschichte beteiligt.
"Tansania-Park": Warum noch warten?
Dass sich beim "Tansania-Park" seit Jahren nichts tut, ärgert vor allem Reinhard Behrens. Der frühere Staatsrat wirft der Kulturbehörde vor, sich nicht zu rühren. "Man muss da jetzt ran, fordert Behrens. Der Experte für die Hamburger Kolonialgeschichte saß jahrelang in dem Beirat, der sich mit den Texten für eine historische Einordnung des "Tansania-Parks" befasste. Er rechnet nicht damit, dass die neu geschaffene Forschungsstelle grundlegend neue Erkenntnisse über den "Tansania-Park" und die "Askari-Reliefs" bringe. Ein weiteres Zögern sei also fehl am Platz. Behrens hat genaue Vorstellungen, was für den "Tansania-Park" am besten sei. So könnte sich ein Förderverein, der im Idealfall an die Hamburger Museen angebunden sei, um das Areal kümmern. "Ehrenamtliche könnten dann Führungen machen, etwa Soldaten von der nahegelegenen Bundeswehr-Hochschule", sagt Behrens. Er würde das gerne organisieren, er wolle aber nicht "das Feigenblatt einer untätigen Kulturbehörde" sein.