Fußballstar: Urgroßvater als "Kannibale" in Hagenbecks Tierpark ausgestellt
Christian Karembeus Urgroßvater wurde vor nicht einmal 100 Jahren in einer Völkerschau von Hagenbecks Tierpark präsentiert. Karembeu ist Fußballer, wurde 1998 mit den Franzosen Fußballweltmeister. Er und andere Nachfahren von Völkerschau-Teilnehmern berichten.
Es ist ein heißer Nachmittag in Athen, wir treffen Christian Karembeu im Stadion von Olympiakos Piräus. Hier ist der 50-Jährige Sportdirektor. Eigentlich steckt er mitten in den Vorbereitungen für die kommende Spielsaison. Doch er nimmt sich Zeit, blättert mit uns durch alte Fotos.
Es schmerzt ihn sichtlich, seinen Urgroßvater so zu sehen, als angeblichen Kannibalen in Hagenbecks Tierpark. Seine Familie kommt aus Neu-Kaledonien, einer Inselgruppe im Südpazifik, die zu Frankreich gehört. Dort wurden Willy Karembeu und über hundert weitere Männer, Frauen und Kinder vom Volk der Kanak 1931 angeworben. Angeblich um ihre Heimat in Paris auf der Kolonialausstellung zu repräsentieren. "Sie dachten, sie sollten dort Vertreter der Regierung treffen", erzählt Urenkel Christian Karembeu. Doch stattdessen wurden sie, kaum in Frankreich angekommen, in den Zoo des Pariser Jardin d’Acclimatation gebracht und dort als Kannibalen zur Schau gestellt.
"Sie fühlten sich wie Sklaven"
Für Willy Karembeu und 30 weitere Kanak war das jedoch nur eine Zwischenstation. Sie wurden kurz darauf weitergereicht, nach Hamburg zu Hagenbecks Tierpark. "Sie fühlten sich wie Sklaven. Es war hart für sie", sagt sein Urenkel und blickt auf ein Werbeplakat von Hagenbeck. Sie versprachen den Besuchern eine Begegnung mit den "letzten Kannibalen der Südsee." Viele Stunden täglich mussten die Kanak nun im Tierpark ihre Speere schwingen, tanzen, nur spärlich bekleidet, auch bei Regen. Sie beschwerten sich schließlich in einem Brief an den französischen Kolonialminister: "Wir wollen nicht länger hierbleiben."
Christian Karembeu bewegt das noch sehr. In Frankreich hat er schon vor Jahren auf das dunkle Kapitel aufmerksam gemacht. Bei der WM 1998 blieb er beim Singen der Nationalhymne demonstrativ stumm, um auf das Schicksal seines Urgroßvaters hinzuweisen. Nun wünscht er sich auch in Deutschland eine kritische Aufarbeitung des Themas.
Auch positive Erinnerungen an Völkerschauen
Wenn Mattis Haetta erzählt, wie sein Vater in Deutschland auf einer Völkerschau ausgestellt war, klingt das ganz anders. "Ich bin sehr froh, dass er in die Welt hinauskam", sagt er und blickt hinaus auf den norwegischen Fjord bei Alta.
Daniel Haetta war Same und wurde gemeinsam mit einer Gruppe von rund 30 Samen samt Rentieren, Zelten und Schlitten 1930 in Deutschland in der sogenannten "Riesen Polarschau" präsentiert. Organisiert hatte das die Firma Ruhe aus Alfeld in Niedersachsen, ein Konkurrent Hagenbecks. Aber die historische Forschung zeigt, dass Samen auch bei Hagenbeck'schen Völkerschauen ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie Daniel Haetta.
Dass sein Vater die Völkerschau vor allem positiv in Erinnerung hatte, erklärt Mattis Haetta auch damit, dass die Samen als Urvolk damals in Norwegen kulturell sehr unterdrückt wurden. In Deutschland hätten sie daher die Aufmerksamkeit für ihre Kultur auch genossen, erzählt er und zeigt Fotos aus Königsberg. Ein Mann war gekommen, um Tonaufnahmen zu machen von den traditionellen samischen Joik-Gesängen. "Bei meinem Vater war es wohl auch ein bisschen Abenteuerlust und sie wurden ja auch gut bezahlt." Er habe sich nicht ausgestellt gefühlt.
Daniel Haettas Enkeltochter ist da skeptischer. Die Fotos wirkten sehr exotisch und fremd im Vergleich dazu, wie sie ihren Großvater und ihre Kultur kenne, sagt Susanne Haetta. "Dieses Ausgestelltsein finde ich schon etwas problematisch aus heutiger Sicht." Sie glaubt, dass die Samen am Ende positiver dargestellt wurden als Menschen anderer Kulturen: "Als eine Art romantisierte Idee von Wilden."
Hagenbecks Tierpark tut sich schwer mit Aufarbeitung
Erst vor einem Jahr hatte Hagenbecks Tierpark eine öffentliche Aufarbeitung der eigenen Völkerschau-Vergangenheit angekündigt, nach Protesten von Aktivisten. Tierpark-Gründer Carl Hagenbeck gilt als größter Organisator von Völkerschauen in Europa, zeitweise sicherten die Schauen die Existenz des Familienunternehmens.
Der Tierpark tut sich aber offenbar schwer mit der Aufarbeitung. Vergangenes Jahr hatte man zunächst trotzig auf die Proteste reagiert. "Der Tierpark ist stolz auf seinen Gründer und das bleibt auch so", hieß es. Auf Fragen von Panorama 3 zu den Kanak, die als vermeintliche Kannibalen präsentiert wurden, gab es keine Antwort. Auch ein Interview vor der Kamera war nicht möglich. Der Tierpark verweist auf die vor einem Jahr angekündigte Aufarbeitung. Die sei noch nicht abgeschlossen, daher wolle man sich derzeit nicht äußern. In einem Statement schreibt das Unternehmen, Völkerschauteilnehmer "arbeiteten als Darsteller mit Verträgen und Gage für Hagenbeck, heute vergleichbar mit Artisten und Gauklern im Zirkus oder im Varieté." Weiter betonen sie, Hagenbeck habe sie immer als Gäste gesehen und nie misshandelt.
Christian Karembeu fordert indes eine Aufarbeitung von Hagenbeck. Bei einem Spaziergang am Strand von Athen schaut er lange auf das Meer. "Wir können das nicht länger verstecken", sagt er schließlich. "Wir können erst unseren Frieden finden, wenn wir alle Informationen haben, die ganze Geschichte erzählen."