Uni Göttingen gibt Gebeine an die Republik Palau zurück

Stand: 25.03.2024 18:35 Uhr
Ngiraibelas Tmetuchl (Kulturminister aus Palau) und Metin Tolan (Präsident der Uni GÖ) v.l. sitzen an einem Tisch und unterschreiben einen Vertrag. © NDR Foto: Doretta Farnbacher
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McMichael Mutok vom Bureau of Cultural and Historical Preservation aus Palau freut sich, dass die Geister der Vorfahren nun zurück nach Palau kommen können. So hätten seine Vorfahren es gewollt. In der Kultur von Palau sei es sehr wichtig, dass man nach seinem Tod an den Heimatort zurückkehre. Deshalb überrasche es ihn, dass nirgendwo auf dem Inselstaat bekannt ist, wie viele Gebeine am Ende nach Deutschland gebracht wurden. In diesem Fall geht es um die sterblichen Überreste von acht seiner Vorfahren aus Palau, die sich in der Sammlung der Uni Göttingen befunden haben.

Menschen in Palau erstaunt: Gebeine von Vorfahren in deutscher Sammlung?!

Palau ist erst der dritte Staat, an den sterbliche Überreste aus der Sammlung der Uni Göttingen zurückgegeben wurden. Im Rahmen des Projekts "sensible Provenienzen" erforscht Holger Stoecker den kolonialen Kontext in den Sammlungen der Uni Göttingen. "Ich war selbst ein paar Wochen in Palau und habe dort das Thema vorgestellt. Die Menschen waren sehr betroffen von der Tatsache, dass es Gebeine ihrer Vorfahren hier in einer deutschen Sammlung gibt, das wussten sie nicht." Erst durch die Forschungsergebnisse des Projekts wurden die Menschen in Palau darauf aufmerksam. Die Forschung bildet nun die Grundlage für den zukünftigen Umgang damit. Es war das erste Mal, dass Gebeine aus Deutschland an das Land zurückgegeben wurden. In Palau soll deshalb ein Denkmal gebaut werden, verspricht Mutok auf der Zeremonie.

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Mitarbeiter des Forschungsteam betrachten einen Karton © Universität Göttingen/Peter Heller Foto: Peter Heller

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Sterbliche Überreste auch in anderen Sammlungen

Auf der Reise durch Deutschland konnte die Delegation aus Palau auch schon neue Hinweise zu anderen sterblichen Überresten finden, die noch in Deutschland sind. Das berichtete der Kulturminister aus Palau, Ngiraibelas Tmetuchl. In Berlin wolle er mehr darüber herausfinden. Die Uni Göttingen teile die Auffassung der Bundesregierung, dass zu sterblichen Überresten in den Sammlungen von Museen und Unis geforscht werden müsse, um sie dann an die jeweilige Heimat zurück zu geben, sagte Unipräsident Metin Tolan. Die Rückgabe heute sei dabei ein weiterer wichtiger Schritt, das koloniale Erbe der Uni Göttingen und Deutschlands weiter aufzuarbeiten.

Auf "Südsee-Expedition" erworben

Die Republik Palau, ein Inselstaat im äußersten Westen des Pazifischen Ozeans, wurde 1899 vom Deutschen Reich kolonisiert. Die Gebeine aus Palau wurden im Zuge der "Südsee-Expedition" des damaligen Museums für Völkerkunde in Hamburg (heute Museum am Rothenbaum - Kulturen und Künste der Welt) erworben. Als Teilnehmer der Expedition bereiste der Ethnologe Paul Hambruch 1909 die Inselgruppe Palau und brachte, wie sich nachträglich durch Tagebucheinträge belegen lässt, mehrere Gebeine in seinen Besitz. In den 1950er- und 1960er-Jahren wurden die Gebeine der Anthropologischen Sammlung an die Universität Göttingen abgegeben. Das koloniale Erbe der Uni Göttingen wird im Rahmen des Projekts "Sensible Provenienzen" erforscht. In diesem Zusammenhang hatte die Universität bereits Gebeine an Hawaii und Neuseeland zurückgegeben.

Im Interview mit NDR Kultur gibt Christian Vogel, Referent für Wissensforschung an der Zentralen Kustodie der Georg August-Universität Göttingen, Einblicke in den Forschungsprozess.

Wie sind die Exponate Anfang des 20. Jahrhunderts nach Deutschland gekommen?

Christian Vogel © Christian Vogel
Christian Vogel ist Referent für Wissensforschung an der Zentralen Kustodie der Georg August-Universität Göttingen.

Christian Vogel: Die Gebeine aus Göttingen sind über das Hamburger Ethnologische Museum gekommen. Im Jahre 1910/11 gab es die sogenannte Südsee-Expedition, finanziert durch Hamburger Kaufleute, im Auftrag des damaligen Völkerkundemuseums Hamburg. Die Expedition bereiste vor allem die deutschen Kolonien in Ozeanien und hat Gebeine und viele kulturelle Objekte gesammelt und mit nach Hamburg genommen. Dort lagerten die Gebeine bis in die 50er-/60er-Jahre und wurden dann als großes Konvolut an die anthropologische Sammlung der Universität Göttingen abgegeben. Dort befinden sie sich bis heute.

Sie waren auch an den Vorbereitungen dieser Zeremonie beteiligt. Wie hat das funktioniert? Sind die Menschen aus Palau direkt auf Sie zugekommen und haben Wünsche geäußert?

Vogel: Die Rückgabe steht in Zusammenhang mit dem Provenienzforschungsprojekt "Sensible Provenienzen", das von der VW-Stiftung finanziert wurde. Innerhalb dieses Projektes haben wir ein Fellowship-Programm entwickelt und Gastwissenschaftler*innen aus den betroffenen Herkunftsgesellschaften für zwei bis drei Monate nach Göttingen eingeladen, um selbst in den Sammlungen zu forschen und ihre Perspektive auf die Gebeine und den Umgang damit kennenzulernen. Unter anderem war McMichael Mutok aus Palau einer dieser Gastwissenschaftler, und daraus entstand der Kontakt zu Palau und dann auch die Rückgabeanfrage seitens Palau im letzten Jahr.

Es gab im vergangenen Jahr schon eine Rückgabe an Vertreter der Maori aus Neuseeland - wie ging es da zu?

Vogel: Wir hatten bisher zwei Rückgaben: an Hawaii, 2022, und an Neuseeland, 2023. Da wurde die Rückgabe mit vielen Riten begleitet. Das liegt daran, dass Neuseeland eine viel längere Geschichte der Rückgabe hat. Die haben dafür schon rituelle Äußerungen entwickelt, um diese Übergabe zu begleiten, um ihre Ahnen wieder mit nach Hause zu nehmen.

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Das Forschungsprojekt läuft schon eine Weile. Wie viel haben Sie noch vor sich? Was gilt es noch zu ergründen?

Vogel: Wir gehen davon aus, dass die beiden Sammlungen in Göttingen ungefähr 1.200, 1.300 Gebeine aus kolonialen Kontexten haben. Es war uns von Anfang an klar, dass ein dreijähriges Forschungsprojekt nur einen Bruchteil davon bearbeiten kann. Provenienzforschung dauert lange, und die Organisation von Rückgaben ist ein langwieriger Prozess. Es geht erstmal darum, in Kommunikation zu kommen, um die Rückgabe zu gestalten und so weiter. Wir haben einen Bruchteil erforschen können, und wir versuchen das weiter über Projekte anzugehen. Es gibt ein Nachfolgeprojekt zusammen mit dem Hamburger Museum MARKK, wo es auch um "human remains" geht. Und weil es eigentlich eine strukturelle Aufgabe von Universitäten, Museen und Sammlungen ist, versuchen wir, eine Dauerstelle dafür zu verankern.

Das heißt, es wird auch noch weitere Rückgaben an der Universität Göttingen geben?

Vogel: Wir hoffen, dass das in dem Nachfolgeprojekt weitergehen kann. Es gibt eine Rückgabe-Anfrage seitens Australiens, und dem werden wir zunächst die Energie widmen.

Das Gespräch führte Jan Wiedemann.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal Gespräch | 25.03.2024 | 16:15 Uhr

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