Mitarbeiter des Forschungsteam betrachten einen Karton © Universität Göttingen/Peter Heller Foto: Peter Heller
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AUDIO: Göttingen: Ausstellung gibt Einblicke in Provenienzforschung (5 Min)

Wie die Uni Göttingen zur Herkunft menschlicher Überreste forscht

Stand: 25.03.2024 11:35 Uhr

In der Uni Göttingen befinden sich über 1.000 menschliche Überreste aus ehemaligen Kolonien. Das Forschungsprojekt "Sensible Provenienzen" untersucht, wie diese in den Besitz der Universität gekommen sind. Mit dabei: Gastwissenschaftler aus Kamerun, Tansania, Palau und Neuseeland.

von Doretta Farnbacher

Andächtig steht Te Herekiekie Herewini vor den grauen Kisten, singt sein Gebet in maorischer Sprache. Auf dem Kopf trägt er einen Blumenkranz, er ist alleine im Raum. Die Kisten vor ihm wirken unscheinbar. Doch in ihnen liegen Gebeine -  menschliche Überreste aus ehemaligen deutschen Kolonien - es waren Vorfahren von Te Herikiekie Herewini: "Für uns sind sie zutiefst heilig. Die Brücke zwischen dem Körperlichen und dem Geistigen bauen wir durch unsere traditionellen Lieder, unseren traditionellen Gesang und unsere traditionellen Grußworte an die Vorfahren." Die Szene stammt aus einem von 15 Kurzfilmen. Sie sind Herzstück der digitalen Ausstellung "Unpacking Colonialism".

Die Schau zeigt die Arbeiten von fünf Gastwissenschaftlern aus Kamerun, Tansania, Palau und Neuseeland. Fünf Monate lang waren sie in Göttingen haben an menschlichen Überresten geforscht, die sich seit der Kolonialisierung in Sammlungen der Uni befinden. Immer dabei war Sofia Leikam - Kulturanthropologin und Filmemacherin: "Die Idee zum Filmprojekt ist entstanden, weil ich die Gastwissenschaftler sowieso bei ihrer Forschung begleitet habe und mir währenddessen, während ich diesen engen Austausch mit ihnen hatte, aufgefallen ist, wie komplex eigentlich dieses ganze Thema Provenienzforschung, Restitution ist und ich verschiedene Einblicke in eben Provenienzforschung bekommen habe. Sei es die Arbeit im Archiv, in den Sammlungen mit den Knochen, mit den Schädeln oder künstlerische Zugänge. Ich fand es einfach spannend, die sogenannten Fellows dann nicht nur einfach so zu begleiten, sondern eben meine Kamera als Filmemacherin mitzunehmen, dabei zu haben und das festzuhalten."

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Eine Gruppe von Wissenschaftlern posiert auf einer Treppe für ein Gruppenfoto © Universität Göttingen/Peter Heller Foto: Peter Heller

Digitale Ausstellung "Unpacking Colonialism" im Web

Die Universität Göttingen präsentiert die Ausstellung "Unpacking Colonialism" im Internet. extern

Sensibler Umgang mit menschlichen Überresten

Seit drei Jahren gibt es an der Universität Göttingen das Forschungsprojekt "Sensible Provenienzen".  Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen die Gebeine, versuchen die Herkunftsländer zu bestimmen, nehmen dorthin Kontakt auf. Die Ausstellung zeigt ihre Arbeiten aus verschiedenen Perspektiven - im Fokus stehen die Filme. Christian Vogel ist der  Koordinator des Projekts: "Das war uns wichtig, diese Filme ins Zentrum zu rücken, um darüber die Perspektive der Gastwissenschaftler einzufangen und in der Ausstellung wiedergeben zu können. Eine Perspektive, die eben nicht von Routinen geprägt ist, wie wir sie haben, was den Umgang mit den Gebeinen angeht, sondern die eine andere Perspektive eröffnen und von denen wir eben auch lernen können."

Die Kurzfilme sind in drei Kapitel aufgeteilt. Die Wissenschaftler werden zunächst vorgestellt, schildern dann, wie sie beim Forschen vorgegangen sind. Der dritte Teil behandelt den Kontext der Länder, aus denen die menschlichen Überreste stammen. Die Gebeine selbst jedoch sind nie zu sehen - aus Respekt vor den Toten. Keine leichte Aufgabe für Sofia Leikam: "Die größte Herausforderung war auf jeden Fall, dass ich etwas sichtbar machen wollte, was ich gar nicht zeigen darf."

Austausch mit den Wissenschaftlern im Fokus

Mitarbeiter des Forschungsteam betrachten einen Karton © Universität Göttingen/Peter Heller Foto: Peter Heller
Alma Simba, University of Dar es Salaam und Dr. Maximilian Chami, National Museum in Tansania mit Asst. Prof. Dr. Tarisi Vunidilo, University of Hawaii, Hilo (von links) betrachten eine Maori-Büste.

Ziel des Projektes war von Anfang an der Austausch mit den Gastwissenschaftlern. Jeder von ihnen brachte eine eigene Herangehensweise, einen eigenen künstlerischen Fokus mit. Ein Mehrwert - für alle Parteien. "Das Schöne bei der Zusammenarbeit mit den Fellows war eben, dass sie uns wie ein Spiegel auch vorgehalten haben, dass sie uns vielleicht den Blick geschärft haben für Sachen, die wir gar nicht so irritierend fanden, die sie aber total schockiert haben", erzählt Sofia Leikam. "Beispielsweise, dass oft in einer einzigen Box in einem Karton zwei, drei Schädel gelagert sind. Und das fanden die einfach unmenschlich. Das fanden die nicht der Würde dieser verstorbenen Menschen gerecht. Und das war einfach sehr spannend, dass wir unsere eigenen Annahmen über Bord werfen mussten, viel im Dialog waren, viel voneinander gelernt haben."

Langfristig sollen die Gebeine an ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden. Doch das sei nicht immer einfach: Viele Länder hätten sich noch nicht mit der Thematik auseinandergesetzt, oft fehle es auch an Forschungskompetenz. Hier brauche es ein Umdenken im In- und Ausland, findet auch Christian Vogel: "Provenienzforschung braucht einen langen Atem und braucht Strukturen. Dauerhafte Strukturen, innerhalb denen das passieren kann was bei uns jetzt in den drei Jahren passiert ist. Wir konnten aber nur ein Bruchteil der Gebeine gewissermaßen Provenienzmäßig erforschen und zurückgeben. Da bleibt noch viel zu tun, und das als Daueraufgabe in Museen, in universitären Sammlungen zu verstehen und dementsprechend auch mit Stellen auszustatten. Das würde ich mir wünschen, dass das ein Ergebnis der Ausstellung ist."

Im Rahmen einer Zeremonie übergibt die Universität Göttingen am 25. März menschliche Gebeine an die Republik Palau. Dabei werden auch ein Schädel, eine Gipsbüste, sowie eine Haarprobe aus Palau zurückgegeben, die sich bislang in den Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen und Staatliche Kunstsammlungen Dresden befanden.

Transparenzhinweis: Sofia Leikam arbeitet als Freie Mitarbeiterin auch für den Norddeutschen Rundfunk.

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Mitarbeiter des Forschungsteam betrachten einen Karton © Universität Göttingen/Peter Heller Foto: Peter Heller

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