Handel mit Menschenschädeln aus der Kolonialzeit
"Afrikanischer Menschenschädel, Anfang des 20. Jahrhunderts, 2000 €" - so preisen Händler menschliche Schädel in sozialen Medien wie Instagram ganz offen an. Panorama-Reporter decken auf, wie fragwürdig dieser Handel ist, vor allem, wenn man sich die Herkunft dieser Schädel klar macht.
Die Auslagen auf dem Markt sind skurril bis befremdlich: Ferkel-Föten in Formalin, ausgestopfte Tiere, Tierknochen und Feuchtpräparate werden angeboten. Und dazwischen immer wieder echte menschliche Schädel und Knochen. Manche Händler haben sogar nur menschliche Gebeine im Programm. Es ist ein Markt für Kuriositäten und "Seltsames", der in der Nähe von Aachen gleich hinter der belgischen Grenze stattfindet. Reporter von Panorama gehen dort einem Verdacht nach: auf dem Markt sollen echte menschliche Schädel aus der Kolonialzeit verkauft werden, und damit Schädel, die einen möglichen Gewalthintergrund haben.
Tausende Besucher strömen an diesem Wochenende durch die Hallen. Die meisten scheinen unbekümmert und am Verkauf von menschlichen Gebeinen generell wenig Anstoß zu nehmen. Ein deutscher Kunde zieht einen menschlichen Unterkiefer aus einer Papiertüte, er habe ihn eben gekauft, erzählt er mit fröhlich-rheinländischem Zungenschlag. Er habe schon einen Schädel zu Hause, aber "nur teilweise, der Unterkiefer hat mir noch gefehlt."
Kolonialzeit als Verkaufsargument
Während Händler auf dem Markt vor der Kamera abwinken und beteuern, hier würden keine echten menschlichen Schädel aus der Kolonialzeit gehandelt, recherchieren die Reporter von Panorama dann auch verdeckt. Schon nach kurzer Zeit werden ihnen zahlreiche fragwürdige Schädel präsentiert. Ein Schädel aus Borneo, Indonesien für 15.000 Euro beispielsweise, Schädel aus afrikanischen Ländern wie Togo, Kongo und Kamerun.
"Dieser Schädel kommt aus Afrika. Er hat ein Einschussloch und kostet 2000 Euro", damit wirbt ein französischer Händler. Ein Verkäufer aus England bietet einen Kinderschädel aus Papua-Neuguinea an, schwärmt von der "schönen Patina". Diese Schädel seien damals in der Kolonialzeit entweder gehandelt oder gestohlen worden, sagt er ganz offen. An einem Stand in der Nähe preist ein Belgier drei Schädel an, einen afrikanischen aus Kamerun, einen aus Indonesien, einen Inuit-Schädel.
Dass diese Schädel offenbar für rassistische Forschung genutzt wurden, wird zum Verkaufsargument. Der Händler hält einen afrikanischen Schädel neben einen anderen. "Die haben gedacht, da gibt es Unterschiede. Afrikaner seien wie Tiere, Europäer die besten", sagt er. "Das ist rassistisch, aber es war so", fasst er es lakonisch zusammen. Die gewaltvolle und rassistische Geschichte der Schädel sind hier offenbar kein Problem, sondern verkaufsfördernd.
Auf Panorama-Anfrage antwortet der Organisator des Marktes ausweichend auf Fragen zum Verkauf von Schädeln mit kolonialem Hintergrund auf dem Markt. Er betont, man sei gegen Rassismus und Kolonialismus.
Grabraub, Diebstahl und Todesopfer
Im 19. und frühen 20. Jahrhundert hatten Forscher, Soldaten und Kaufleute im Zuge der deutschen Besetzung sogenannter "Kolonien" zigtausende menschliche Überreste nach Deutschland gebracht. Es kam zu einer regelrechten Sammelwut. Skrupel kannte man dabei nicht. Gräber und Andachtsstätten wurden geplündert, Opfern von Hinrichtungen die Köpfe vom Rumpf abgetrennt. Im damaligen Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, verübten deutsche Truppen einen grausamen Völkermord, die Herero und Nama wurden nahezu ausgelöscht.
Köpfe von Opfern wurden abgeschnitten, verpackt und nach Deutschland geschickt. All das auch im Auftrag deutscher Wissenschaftler, die für ihre sogenannten "rassekundlichen Forschungen" Schädel vermaßen und Leichen sezierten, um die vermeintliche Überlegenheit der weißen Rasse zu belegen. Auch Expeditionen für Museen glichen zuweilen Beutezügen. Man raffte an sich, was man konnte, notfalls stahl man, was man wollte, oder hinterließ etwa Stoffe oder Messer zum "Tausch". "Anonymer Ankauf" nannte man das damals.
Rückgabe menschlicher Überreste aus der Kolonialzeit
Diese menschlichen Überreste deutscher Verbrechen befinden sich nun einerseits in privaten Haushalten, andererseits lagern viele in staatlichen Museen und Sammlungen. Allein dort befinden sich bis heute etwa 17.000 menschliche Gebeine aus der mehr als 30-jährigen Kolonialherrschaft Deutschlands. Das hat eine Umfrage der von der Bundesregierung 2019 eingerichteten "Kontaktstelle für Sammelgut aus kolonialen Kontexten in Deutschland" ergeben.
Seit mehreren Jahren versuchen Museen und Universitäten, die Herkunft der Schädel und Knochen zu erforschen, um in sogenannten Restitutionszeremonien die menschlichen Gebeine an die Herkunftsgesellschaften zurückzugeben. Ebenso haben sie sich entschieden, Schädel und Knochen aus ethischen Gründen in ihren Depots zu verschließen, der Öffentlichkeit also nicht mehr zu zeigen.
Schwunghafter privater Handel
Anders sieht es im privaten Bereich aus: Es gibt weder einen Anhaltspunkt, wie viele Schädel dort lagern, noch ein systematisches Verfahren der Rückführung. Stattdessen läuft nach Recherchen von Panorama ein schwunghafter Handel damit. Schädel mit kolonialem Hintergrund, insbesondere solche mit kultischer Bedeutung, liegen besonders hoch im Preis, werden etwa auf Märkten wie dem in Belgien, in Kunst-Galerien, auf Kunst-Auktionen, aber auch ganz offen im Internet gehandelt, vor allem auf Instagram, wie Recherchen von Panorama zeigen.
Wo andere etwa ihre Urlaubsschnappschüsse teilen, präsentieren und verkaufen Händler und Sammler tausende Überreste von verstorbenen Menschen. Panorama hat auf Instagram ermittelt, dass darunter hunderte Schädel sind, die mutmaßlich aus ehemaligen Kolonien stammen und damit einen Gewalthintergrund haben könnten.
"In Europa besser aufgehoben"
Eine Rückführung halten viele der Sammler und Händler für übertrieben, wie etwa Kunstsammler Klaus-Jochen Krüger: "Diese Schädel, die so einen kulturellen Wert haben aufgrund von den Zeremonien, die mit ihnen gemacht worden sind, die muss man nicht zurückgeben. Denn die sind in Europa viel besser aufgehoben." In ihren Heimatländern interessiere sich nur eine verschwindende Minderheit dafür. Auch andere Besucher einer Auktion in Würzburg sehen das ähnlich. Auf der Auktion kommt auch ein Ahnenschädel aus Neuguinea unter den Hammer, der aus der Kolonialzeit stammt.
Auch der Münchner Sammler Arno Henseler hat die Auktion besucht. Er argumentiert, dass die Herkunftsländer bezahlen müssen, um ihre Ahnenschädel zurückzubekommen: "Wenn die sehen, dass das wichtig ist, dann geben die dafür auch mal später sehr viel Geld aus." Das Auktionator in Würzburg wollte vor der Kamera kein Interview geben. Schriftlich teilt er nach der Auktion mit: man habe sich entschieden, "künftig keine Kunstwerke oder Arbeiten aus menschlichen Überresten mehr anzubieten". Es hatte öffentlich Protest gegen den Verkauf des Ahnenschädels gegeben.
Handel grundsätzlich nicht illegal
Grundsätzlich illegal ist dieser Handel bisher nicht. Der Besitz und Handel von Menschenschädeln ist in Deutschland gesetzlich nicht klar geregelt, sofern Straftaten, die damit verbunden sind, nicht nachgewiesen werden können, erklärt Daniel Bein, der als Gutachter für den Zoll arbeitet und immer wieder auch Schädel einschätzen soll. Schädel, die etwa aus Ozeanien stammen und kunstvoll verziert sind mit Muscheln oder Schnecken.
Am Ende kommt es dann vor allem auf die Muschel oder Schnecke an, berichtet er. Denn bei Tieren und Pflanzen gebe es strenge Artenschutzbestimmungen, die harte Strafen vorsehen für diejenigen, die damit handeln. Bei den Muscheln sei das dann ganz eindeutig, "das ist die Art XY, die ist geschützt und die darf nicht außen eingeführt werden", sagt Bein. Beim Verkauf eines Schädels müsste man erst konkret nachweisen, dass damit eine Straftat verbunden war, Diebstahl oder Mord. Und das ist im Einzelfall nach über 100 Jahren schwierig.
Staatsministerin fordert Verbot von privatem Handel
Der Bundesregierung war das Ausmaß dieses Handels von Menschenschädeln und Knochen aus der Kolonialzeit nicht bekannt. Die Bundesregierung hatte zwar sich verpflichtet, die "Rückgabe von Objekten aus kolonialem Kontext" etwa aus staatlichen Sammlungen und Museen zu unterstützen. Die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte ist Teil des geltenden Koalitionsvertrages. Der private Handel ist aber bisher nicht geregelt. Das bestätigt Staatsministerin Katja Keul, die im Auswärtigen Amt für die Aufgaben rund um das koloniale Erbe zuständig ist. Ihre Reaktion auf die Panorama-Recherche: "Das ist inakzeptabel. Das ist kein Umgang. Das sind Menschen. Es sind oft Opfer von Verbrechen." Sie will jetzt gesetzlich nachbessern, um den privaten Handel zu verbieten.
Der für Instagram verantwortliche Konzern "Meta", betont, dass der Handel mit menschlichen Körperteilen in seinen Gemeinschaftsrichtlinien verboten sei. Jedoch scheint das nach "Panorama"-Recherchen die Händler dort kaum zu stören.
Handel bisher weitgehend unbekannt
Der Provenienzforscher Dr. Mikaél Assilkinga aus Kamerun sucht in der anthropologischen Sammlung der Universität Göttingen im Auftrag seiner Regierung in Deutschland seit Jahren Menschenschädel aus seinem Heimatland. Kamerun war über 30 Jahre lang deutsche Kolonie; Schädel, die damals geraubt wurden, will er nun finden und zurückbringen. Zehn Schädel aus Kamerun hat er in der Göttinger Sammlung schon ausfindig gemacht. Dafür musste er Tagebucheinträge deutscher Expeditionsteilnehmer von Grabraub, Diebstahl oder sogar Mord lesen, um die Geschichte und den Herkunftsort der Schädel zu bestimmen. "Es gab Tage, wo ich meine Arbeit unterbrochen habe, weil es mir zu viel war", sagt er. Für ihn sind die Schädel Belege der kolonialen Gewalt.
Als er durch die Panorama-Recherchen erfährt, dass Köpfe aus Kamerun heute noch privat gehandelt werden, kann er es kaum glauben: "Nein, das geht ganz einfach nicht." Denn in seiner Heimat haben die Schädel der Ahnen für viele Kameruner eine große Bedeutung, oft werden sie in den Familien in sogenannten Ahnenzimmern aufbewahrt: "Sie spielen eine sehr aktive Rolle im Leben, von jeder Familie, die so eine Ahnenzimmer zu Hause hat, weil sie kommunizieren mit den verstorbenen Personen, durch die sie Schädel zu Hause. Und das heißt. Solche Ahnenzimmer sind auch sakrale Orte", erklärt Assilkinga.
Nachfahre in Neuguinea: Die Ahnenschädel sind uns heilig
In Europa seien die Ahnenschädel besser aufgehoben, dort interessiere sich kaum einer dafür, hatten Sammler am Rande der Kunst-Auktion gesagt, bei der ein Ahnenschädel vom Sepik-Fluss in Papua-Neuguinea verkauft worden war. Panorama hat die Spur des Schädels zurückverfolgt, über den deutschen Forschungsreisenden, der ihn damals mitbrachte, bis hin zu einem Dorf am Sepik-Fluss in Neuguinea. Und einen möglichen Nachfahren dort ausfindig gemacht.
Im Video-Telefonat berichtet Peter Kipma, wie ihm der Großvater einst erzählte, dass die Deutschen sie mitgenommen hätten, dass die Großväter sich aus Angst nicht dagegen wehrten. Er sagt, die Ahnenschädel seien ihnen heilig und dass sie sie niemals verkaufen würden. Und er berichtet vom Schmerz über den Verlust, der bis heute anhält: "Unsere Bräuche und unsere Kultur des Dorfes wurden zerstört. Wie können wir davon erzählen, wenn diese Bräuche und Traditionen vernichtet wurden und ich sie nie wirklich kennenlernen konnte".