Engpässe in Kliniken: Was erleben Notärzte auf dem Land?

Stand: 28.12.2022 06:00 Uhr

Die Krankenhäuser sind voll, beim Pflegepersonal in Kliniken gibt es einen hohen Krankenstand. Immer wieder melden sich Krankenhäuser deswegen vorübergehend bei der Leitstelle ab - weil sie keine Patienten mehr aufnehmen können. Doch wo sollen Notärzte dann hin?

Dietrich Benckert arbeitet seit 22 Jahren als Notarzt. Im Moment ist er als Honorarkraft im Landkreis Lüchow-Dannenberg (Niedersachsen) auf der Rettungswache vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) tätig. NDR Info hat mit ihm über die aktuelle Situation gesprochen.

Welche Auswirkungen hat die allgemein angespannte Lage in den Krankenhäusern für Ihre Tätigkeit?

Dietrich Benckert: Was man tatsächlich merkt, ist, dass seit der Pandemie die Betten, die uns hier im Landkreis zur Verfügung stehen, relativ häufig schnell belegt sind. Und die Herausforderung ist dann für einen Patienten, wenn er Hilfe und ein Krankenhausbett braucht, dieses auch möglichst in der Nähe zu finden.

Was hat sich dadurch in Ihrem Arbeitsalltag verändert?

Benckert: Wenn ich zu einem Einsatz komme, kümmere ich mich erstmal um das medizinische Problem. Und dann habe ich noch organisatorische Aufgaben, die früher ein, zwei, drei - maximal aber fünf Minuten gedauert haben. Jetzt dauert es auch mal 30 oder 45 Minuten, bis ich irgendwann ein Krankenhaus gefunden habe, das die Patienten aufnehmen kann. Außerdem wird meine Einsatzanzahl größer, weil mich gelegentlich Rettungswagen anrufen, die kein Bett finden und ich dann einspringen soll. Leider werden die Notfallsanitäter von Krankenhäusern viel schneller abgewimmelt - wir Notärzte haben bessere Chancen, tatsächlich ein Bett zu kriegen.

Warum ist das gerade im ländlichen Raum ein Problem?

Benckert: Generell muss man sagen, dass die Erstversorgung durch den Notarzt im ländlichen Raum wichtiger ist als in der Stadt. In der Stadt hat man sieben Minuten bis man im nächsten Krankenhaus ist. Wir fahren normalerweise 25 bis 30 Minuten, wenn wir das nächstgelegene Krankenhaus anfahren können. Wir sind aber auch schon anderthalb Stunden gefahren, bis wir im Krankenhaus angekommen sind.

Was heißt das für die medizinische Versorgung?

Notarzt Dietrich Benckert © NDR Foto: Anina Pommerenke
Dietrich Benckert arbeitet seit 22 Jahren als Notarzt.

Benckert: Der Patient wird von mir im Auto versorgt. Das ist zwar schon sehr, sehr gut, aber es ist noch nicht die optimale Versorgung. In der Notfallmedizin gibt es das Konzept der "Golden Hour of Shock". Das heißt, eigentlich sollte es von der Sichtung des Notarztes bis zur Ankunft eines Patienten im Krankenhaus maximal eine Stunde dauern. Das konnten wir in den letzten Jahren sehr häufig nicht einhalten.

Wie steht es in dieser Zeit, in der Sie im Auto unterwegs sind, um die Notarzt-Versorgung im Landkreis?

Benckert: Die ist dann nicht vorhanden! Generell ist es im Notarzt-Dienst so, dass man eigentlich für seinen eigenen Landkreis zuständig ist. Lüchow-Dannenberg ist ein sehr großer Landkreis. Wenn hier kein Notarzt mehr zur Verfügung gestellt werden kann, dann wird aus den Nachbarkreisen alarmiert, je nachdem, wo der nächste Notarzt zur Verfügung steht. Und auch das ist wieder so eine Zeit-Problematik: Ein zeitkritischer Patient sollte einen Notarzt innerhalb von zwölf Minuten sehen. Wenn der aber aus einem anderen Landkreis kommt, dann hat er eine Anfahrt von einer halben Stunde.

Was macht diese Situation persönlich mit Ihnen?

Benckert: Das Arbeiten bringt schon weniger Spaß, weil ich mich mehr um Sachen kümmern muss, um die ich mich eigentlich gar nicht kümmern will, nämlich Organisation. Ich bin ja in der Notfallmedizin, weil es mir um den Menschen und um den Patienten geht. Die Arbeit am Patienten ist mir wichtig! Dann nachts unter Umständen zweimal eine Dreiviertelstunde zu telefonieren, bis man überhaupt weiß, wo man hinfahren kann - das macht nicht so viel Spaß und es macht auch nicht so zufrieden. Außerdem sind die Patienten nicht optimal versorgt.

Gab es auch schon Fälle, wo sich diese Situation auf die medizinische Versorgung ausgewirkt hat?

Benckert: Wir können schon jeden Patienten versorgen. Zur Not fahre ich jedes Krankenhaus an, sei es noch so klein, ob es die benötigte Fachrichtung hat oder nicht. Man kann den Patienten erst einmal versorgen. Die Qualität der Versorgung ist natürlich davon abhängig, dass möglichst schnell ein geeigneter Arzt zur Stelle ist. Also wenn ich einen neurologischen Notfall habe, dann müssen wir erst mal in einen anderen Landkreis fahren, weil hier im Landkreis gibt es keinen Neurologen, den ich anfahren kann. Das macht mich natürlich auch ein bisschen unzufrieden, wenn man nicht das Bestmögliche tun kann, obwohl man es gerne würde.

Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern oder verbessern?

Benckert: Generell kann man sagen, das ist ein Personalschlüssel-Problem. Bei uns, den Notärzten, bei den Notfallsanitätern, bei den Rettungssanitätern. Alle, die im Rettungsdienst arbeiten, sind überlastet, haben Überstunden ohne Ende, dürften eigentlich gar nicht krank werden, weil dann ein Auto nicht besetzt werden kann. Das zieht sich durch alle Bereiche: Wir bräuchten viel mehr Hausärzte, damit die Patienten nicht so schnell den Rettungsdienst anrufen, sondern sich erstmal an den Hausarzt wenden, wie das früher war. Wir bräuchten vielmehr Krankenhauspersonal, damit alle Betten, die in den Krankenhäusern sind, auch wirklich befahren werden können. Ich glaube, das Personal im Gesundheitswesen ist schon einer der Hauptschlüssel.

Das Gespräch führte Anina Pommerenke.

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 28.12.2022 | 08:03 Uhr

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