Der Norden und die Bundestagswahl: Der Tag danach
CDU/CSU haben die Bundestagswahl klar gewonnen, die SPD ihr historisch schlechtestes Ergebnis, ist aber wohl der einzige infrage kommende Koalitionspartner. Denn eine Zusammenarbeit mit der AfD, der zweitstärksten Partei, schließt ein Kanzler Merz aus. Norddeutsche Politiker reagieren heute sehr unterschiedlich auf das Wahlergebnis.
Selbstkritisch äußerte sich der Co-SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil im Interview mit NDR Info: "Wir haben zu spät auf das Thema Wirtschaft und Arbeitsplätze gesetzt." Außerdem habe man den Eindruck erweckt, dass es der SPD "zu sehr um das Bürgergeld geht und zu wenig darum, dass hart arbeitende Menschen gesehen werden", sagte Klingbeil. Nach dem historisch schlechten Ergebnis der SPD bei der Bundestagswahl brauche es politische Korrekturen, die man jetzt vornehmen werde. In möglichen Koalitionsgesprächen mit der Union rechne er mit schwierigen Verhandlungen. Klingbeil soll künftig auch Fraktionschef der Sozialdemokraten sein. Der noch amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz hatte gestern angekündigt, nicht als Verhandlungsführer der SPD zur Verfügung zu stehen.
Habeck zieht sich zurück, Kubicki will durchstarten
Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck, der seinen Wahlkreis Flensburg-Schleswig bei der Bundestagswahl nicht verteidigen konnte, hat heute angekündigt: "Ich werde keine führende Rolle in den Personaltableaus der Grünen mehr beanspruchen oder anstreben." Seine Partei ist bei der Bundestagswahl auf 11,6 Prozent abgesackt, nach 14,7 Prozent bei der letzten Bundestagswahl.
Grünen-Parteichef Banaszak sagte auf NDR Info, er rechne nicht damit, dass die Union seine Partei zu Koalitionsverhandlungen einlädt. Banaszak verwies darauf, dass Merz immer gesagt habe, er würde gern ohne die Grünen regieren, wenn es rechnerisch möglich sei.
Der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, Wolfgang Kubicki, überraschte am Tag nach der Wahl mit einer Kehrtwende: Nachdem der 72-Jährige gestern noch nach der Wahlniederlage der Liberalen angekündigt hatte, sich aus der Politik zurückziehen zu wollen, strebt er nun den FDP-Vorsitz an. Der bisherige Chef der Liberalen, Christian Lindner, hatte noch am Wahlabend seinen Rückzug aus der Politik erklärt.
Niedersachsen: SPD muss sich neu aufstellen
Wie auch Lars Klingbeil hatte bereits gestern Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) gesagt, die SPD müsse sich angesichts eines Grundsatzprogramms von 2007 Gedanken machen, wie sehr man noch auf der Höhe der Zeit sei. Zudem gelte es zu schauen, wo man besser kommunizieren könne.
Silvia Breher: CDU und SPD müssen bessere Lösungen liefern
Die stellvertretende CDU-Vorsitzende und Vorsitzende des Landesverbandes Oldenburg Silvia Breher sagte auf NDR Info - auch mit Blick auf den Wahlerfolg der AfD -, nötig sei eine stabile Regierung, die die besseren Lösungen habe. Sie rief die SPD auf, sich zügig an Koalitionsverhandlungen zu beteiligen: "Wir und auch genauso die SPD sind als Demokraten verpflichtet, jetzt in Gespräche einzutreten." Eine stabile Mehrheit im Bundestag sei mit der SPD möglich.
Auch Niedersachsens CDU-Chef Sebastian Lechner plädierte für eine schnelle Regierungsbildung und stimmte versöhnliche Töne an. Es gehe in den nächsten Tagen darum, "manche Gräben zuzuschütten, wieder Brücken zu bauen und möglichst zügig zu einer handlungsfähigen Regierung zu kommen". Dies sei die Erwartung der Menschen.
Mecklenburg-Vorpommern: Schwesig enttäuscht - AfD, CDU und Linke feiern
In Mecklenburg-Vorpommern erreichte die AfD dem vorläufigen Endergebnis zufolge 35 Prozent der Stimmen und gewann auch alle sechs Wahlkreise. Sie verdoppelte damit ihr Ergebnis von 2021 und verdrängte die SPD, die vor dreieinhalb Jahren noch klare Wahlsiegerin war, vom Spitzenplatz. Die AfD werde aus der Opposition für einen Politikwechsel eintreten, sagte Mecklenburg-Vorpommerns AfD-Landeschef Leif-Erik Holm auf NDR Info. "Die AfD hat sich gegründet, weil konservative Politik unter Frau Merkel nicht mehr vertreten war in der CDU."
Die SPD-Landesvorsitzende und Ministerpräsidentin Manuela Schwesig räumte die Wahlschlappe ihrer Partei ein. Der Dauerstreit in der Ampel habe Kanzler Scholz und der SPD massiv geschadet. Für die Zukunft werde sich die SPD neu aufstellen müssen. Im Abschneiden der AfD sieht Schwesig einen "Auftrag an alle demokratischen Kräfte, die drängenden Probleme gemeinsam zu lösen".
Der CDU-Landesvorsitzende Daniel Peters sieht den Wahlsieg der Union als Bestätigung des Parteikurses. "Die Union ist in etwa so stark wie SPD und Grüne zusammen", sagte Peters. "Der Versuch, die CDU mit einer Schmutzkampagne zu überziehen, hat offenkundig nicht funktioniert."
Der Landesvorsitzende der Linken in MV, Hennis Herbst, feierte den Wiedereinzug seiner Partei in den Bundestag als "phänomenalen Erfolg". Das gebe auch der rot-roten Regierungskoalition in Mecklenburg-Vorpommern Rückenwind für die weitere Arbeit.
Van Aken: Haben den Menschen Hoffnung gegeben
Der Partei Die Linke ist nach parteiinternen Querelen ein Comeback gelungen. Vor allem mit einem sozial- und umververteilungspolitischen Angebot konnte die Partei punkten und die Co-Vorsitzende Heidi Reichinnek konnte viele junge Wähler ansprechen - wie es aber auch der AfD gelungen war. Darauf angesprochen sagte der Linken-Co-Vorsitzende Jan van Aken auf NDR Info: "Die AfD ist keine demokratische Partei. Mit ihrem Lügen-Wahlkampf hat sie Bauernfängerei betrieben. Wir haben über die Themen geredet, die den Menschen auf der Seele liegen." Im Hinblick auf die Bürgerschaftswahl in Hamburg am kommenden Sonntag sagte der Reinbeker: "Da kommt es auf jede Stimme an."
Hamburg: Thering sieht Rückenwind für CDU, Schmidt eine schwere Niederlage
Der Spitzenkandidat der Hamburger SPD, Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt bezeichnete das bundesweite Abschneiden seiner Partei als "bitteren Tag für die SPD in Deutschland". "Es ist eine sehr schwere Niederlage", sagte er nach Vorliegen der ersten Hochrechnungen. Schmidt selbst wird dem neuen Bundestag nicht angehören. In seinem Wahlkreis Hamburg-Eimsbüttel verlor Schmidt gegen den Grünen-Kandidaten Till Steffen. Auch über die SPD-Landesliste reicht es für ihn nicht. Anders als im Bund bekam die SPD in der Hansestadt aber die meisten Stimmen.
Der CDU-Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl am kommenden Sonntag, Dennis Thering, sieht sich durch das Abschneiden seiner Partei bei der Bundestagswahl gestärkt. "Ein kurzer, aber intensiver Bundestagswahlkampf endet mit einem klaren Sieger", sagte der Hamburger CDU-Chef.
Schleswig-Holstein: Vertrauen zurückgewinnen
In Kiel wollen am Abend die CDU von Ministerpräsident Daniel Günther und die SPD jeweils über die Ergebnisse bei der Bundestagswahl in Schleswig-Holstein und die bundespolitische Lage beraten. Günther forderte schnellstmöglich eine "stabile und vorausschauende Koalition" in der demokratischen Mitte. "Nur so werden wir die riesigen Aufgaben, die vor uns liegen, meistern und das Vertrauen der Menschen in die Politik und ihre Handlungsfähigkeit zurückgewinnen."
SPD-Bundesvize Serpil Midyatli bezeichnete das Ergebnis ihrer Partei bei der Bundestagswahl als bittere Enttäuschung. Es habe sich seit gut zwei Jahren abgezeichnet. Es sei den Sozialdemokraten nicht gelungen, die erhoffte Aufholjagd zu starten.
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