Anne Rabe über AfD-Erfolg im Osten: "Massiv in Zivilgesellschaft investieren"
Deutschland hat gewählt und bundesweit ist die AfD zweitstärkste Kraft geworden, in Ostdeutschland liegt sie auf Platz eins. Was bedeutet dieses starke Abschneiden? Ein Gespräch mit der in Wismar geborenen Autorin Anne Rabe.
Anne Rabe setzt sich in ihren Essays und in ihrem Roman "Die Möglichkeit von Glück" mit der Geschichte Ostdeutschlands auseinander.
Frau Rabe, haben Sie schon geguckt, wie Wismar, die Stadt, aus der Sie kommen, abgestimmt hat?
Anne Rabe: Die Stadt selber nicht, aber ich habe mir Mecklenburg-Vorpommern und den Landkreis angeguckt, und in Mecklenburg-Vorpommern ist das Wahlergebnis leider sehr eindeutig zugunsten der AfD.
Was bedeutet das starke Abschneiden der AfD im Osten? Wie erklären Sie sich das?
Rabe: Einerseits muss man sagen, dass das schon eine längere Entwicklung ist. Das kommt nicht ganz überraschend, das haben wir bei den letzten Landtagswahlen und auch bei den Europawahlen gesehen. Die AfD ist dort zur festen Kraft geworden, hat es geschafft, sich zu etablieren. Vor allen Dingen: Umso rechter sie wurde, umso erfolgreicher wurde sie. Das scheint das zu sein, was die Bevölkerung dort im Moment am meisten präferiert.
Man hört immer wieder Begriffe wie "Protestwahl" oder "nicht gesehen werden". Das sind die gängigen Erklärungen für das unterschiedliche Wahlverhalten in Ost und West. Wie müsste die gesamtdeutsche Politik besser auf diese Phänomene eingehen?
Rabe: Wir müssen das vor allen Dingen ernst nehmen. Wir haben in dem Wahlkampf sehr viel über Kriminalität von Migrantinnen und Migranten gehört. Dort wurde eine große Angst geschürt. Es ist natürlich nachvollziehbar, wenn man von solchen Taten hört, dass das Angst macht. Wovon wir sehr wenig gehört haben, ist zum Beispiel, wie massiv die rechtsextreme Gewalt zugenommen hat. Es gibt auch Probleme in den Verwaltungen, in den Schulen, bei der Polizei, wo es immer wieder Vorfälle gibt und wo klar ist, dass es da rechtsextreme Strukturen gibt, die sich fest verankert haben. Wir müssen massiv dagegen vorgehen, um das nicht weiter zu normalisieren.
Wie geht man ganz konkret vor Ort damit um? Eine Kollegin von mir kommt aus Mecklenburg-Vorpommern, aus einem Dorf im Speckgürtel von Rostock. Es gibt einen Laden, die Infrastruktur ist vorhanden, und trotzdem sind 54 Prozent der Stimmen an die AfD gegangen. Für meine Kollegin und manch andere ist dieses Ergebnis ein Schock. Sie fragen sich: Was kann ich nun tun?
Rabe: Wir haben in den letzten 30 Jahren gesehen, dass bestimmte Strukturen wie eine Parteizugehörigkeit, kulturelle Angebote und so weiter nicht so stark vorhanden waren, und dass man das auch unterschätzt hat. Das ist etwas, was wir massiv fördern müssen. Angesichts der schwierigen finanziellen Herausforderungen, vor denen wir stehen, und der internationalen politischen Probleme, dürfen wir da nicht nachgeben. Da hat die AfD eine ganz gute Struktur geschaffen: Die sind sehr aktiv, sind überall vorhanden und machen eigentlich das, womit auch schon die NPD früher recht erfolgreich war: kulturelle, feierliche Angebote und so weiter zu machen. Da müssen wir auf jeden Fall ganz massiv in die Zivilgesellschaft investieren.
Dieses Gefühl, was sich im Osten breitgemacht hat - "wir können jetzt denen da mal zeigen, wo es langgeht; die tanzen mal nach unserer Pfeife" -, da kann nur die Politik mit Lösungen für tatsächliche Probleme und Herausforderungen dagegenhalten, sodass deutlich wird, dass die AfD kein richtiges Angebot hat. Alice Weidel hat gestern immer wieder prophezeit, dass das Land gegen die Wand fahren wird, dass Kanzler Merz nicht erfolgreich sein wird, dass seine Regierung nicht halten wird. Sie suchen also die Katastrophe und den Zusammenbruch, und da müssen die demokratischen Parteien dagegenhalten. Das ist ganz wichtig, um etwas anderes anzubieten.
Sie würden also nicht sagen, dass man diese sehr deutliche Spaltung von Ost- und Westdeutschland vielleicht auch einfach akzeptieren sollte?
Rabe: Wenn man für die Demokratie ist oder das für die richtige Staatsform hält, dann kann man das nicht hinnehmen. Man kann diesen Angriffen auf die Demokratie nicht einfach tatenlos zusehen und sagen: Das ist es jetzt einfach. Es geht doch um mehr, auch in Europa: Es geht um unsere Freiheit, die gerade massiv angegriffen wird, sowohl von den USA als auch von Putin. Da sind so viele Dinge, die uns in Gefahr bringen. Ganz vieles, was wir gerade auch in Ostdeutschland eigentlich sehr schätzen, was 1989 erst möglich war, drohen wir zu verlieren. Da lohnt es sich zu kämpfen.
Also zuhören, mit den Leuten sprechen und auf keinen Fall die Leute aufgeben?
Rabe: Auf jeden Fall, ja.
Machen Sie sich Sorgen um die Zukunft der Demokratie?
Rabe: Ich mache mir große Sorgen. Ich mache mir vor allen Dingen Sorgen um die Akteurinnen vor Ort, um Menschen, die sich immer noch aktiv einsetzen. Das ist eine massive Gefahr, die da auf sie zukommt. Ich mache mir sehr viel Sorgen um Menschen, die sich in Vereinen, in Freizeitgruppen für ein anderes Miteinander einsetzen, um Migrantinnen. Ich mache mir auch Sorgen um die wirtschaftliche Zukunft, gerade auch des Ostens. Der Osten wird nicht attraktiver für all die Arbeitskräfte, die wir brauchen. Das zieht dann wieder eine Stimmung nach sich und vielleicht auch einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Abschwung, der dann wieder extreme Wahlergebnisse begünstigen könnte.
Das Gespräch führte Anna Novák.
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