Die blaue Moschee (Imam-Ali-Moschee) an der Hamburger Außenalster. © NDR Foto: Carolin Fromm
Die blaue Moschee (Imam-Ali-Moschee) an der Hamburger Außenalster. © NDR Foto: Carolin Fromm
Die blaue Moschee (Imam-Ali-Moschee) an der Hamburger Außenalster. © NDR Foto: Carolin Fromm
AUDIO: Wie weiter mit blauer Moschee? (5 Min)

Hamburg: Was wird aus der geschlossenen Blauen Moschee?

Stand: 03.10.2024 06:00 Uhr

Knapp drei Monate ist es her, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) das Vereinsverbot gegen das "Islamische Zentrum Hamburg" (IZH) ausgesprochen und die Imam-Ali-Moschee geschlossen hat. Nun stellt sich die Frage: Wie geht es weiter mit Hamburgs prominentester schiitischer Moschee? Zahlreiche Akteure bringen sich in Position.

von Carolin Fromm, NDR.de

Die Sonne scheint, aber es stürmt an der Hamburger Außenalster an diesem Freitagmittag. Wenige Meter vor der geschlossenen Imam-Ali-Moschee versammeln sich mehr als hundert Männer und Frauen zum im Islam wichtigen Freitagsgebet - auf dem Bürgersteig. Neben der Lautsprecher-Anlage liegt ein weggeworfener Pappbecher. Als zum Gebet gerufen wird, schaltet der Gärtner im Garten gegenüber seinen Rasentrimmer an. Zwei Autos kommen sich in die Quere, lautes Hupen. Ein Polizist hebt ein rot-weißes Metallgitter vor die Betenden, damit keiner versucht, durch die knienden Leute durchzulaufen.

Niemand will ein Gebet auf dem Bürgersteig

Ein Imam predigt vor Gläubigen auf dem Bürgersteig vor der Imam-Ali-Moschee. © NDR Foto: Carolin Fromm
Jeden Freitag versammeln sich gut 100 Menschen zum Gebet auf dem Bürgersteig.

Niemand will diese Gebete auf dem Bürgersteig. Das sei kein gutes Signal, heißt es aus Hamburgs muslimischer Gemeinschaft. Nachbarn fühlen sich gestört, CDU-Chef Thering schaltete sich auch ein. Auch die Gläubigen selbst wollen nicht unter freiem Himmel beten.

"Wenn Sie eine Kirche haben, in der Sie beten wollen, aber Sie werden verbannt: Was ist das für ein Gefühl?", fragt ein Mann nach dem Freitagsgebet. "Viele Leute gucken, das ist nicht gut", ergänzt eine irakisch-stämmige Wandsbekerin. Eine ältere Dame mit Rollator schiebt sich dazwischen. "Wir hatten in der Moschee eine Tiefgarage, aber jetzt kriegt man hier keinen Parkplatz und ich muss mit dem Ding kommen. Man kann uns die Moschee doch nicht einfach wegnehmen! Ohne Begründung!" Ihr Gebet habe nichts Politisches, sagen sie hier. Und einige fragen: Wo sind die Beweise für die Vorwürfe?

"Islamisches Zentrum Hamburg" klagt gegen Verbot

Die Türen ihrer Moschee sind verschlossen, weil die Leitung des IZH laut Bundesinnenministerium eine demokratiefeindliche, antisemitische Ideologie des iranischen Regimes propagierte. Ein radikaler Islam, der Politik und Religion zusammen denkt. Die Führung des IZH ist mittlerweile ausgereist. Gegen das Verbotsverfahren hat sie Klage eingereicht. Wann das Bundesverwaltungsgericht darüber entscheidet? Wer Recht bekommt? Unklar. Es kann Jahre dauern.

So lange verwaltet das Innenministerium das Gebäude lediglich, es soll sich um die Sicherheit und Reparaturen kümmern - bis rechtskräftig wird, wem die Moschee zukünftig gehört. "Erst mit der Unanfechtbarkeit der Verbotsverfügung erwirbt der Bund die Immobilien als Teil des Vereinsvermögens durch Einziehung nach Vereinsgesetz", schreibt das Bundesinnenministerium dem NDR. Die Imam-Ali-Moschee hängt also rechtlich in der Luft.

Gläubigen fehlt das religiöse Zuhause

Die schiitischen Muslime fragen sich derweil: Wie wird es weitergehen mit ihrer Moschee? Denn Gemeinde-Mitglieder, die vor der Imam-Ali-Moschee beten - und damit auch ihren Protest kundtun - empfinden die Gemeinde als Heimat. Man hat dort geheiratet, jeden Monat den Zakat - also die im Islam verpflichtende Spende - abgegeben, trifft nach dem Gebet Bekannte. Einfach so in eine andere Gemeinde zu wechseln, ist auch sprachlich nicht für alle einfach. Die Prediger auf dem Bürgersteig vor der Imam-Ali-Moschee, die auch aus anderen Städten anreisen, sprechen Deutsch.

Kann der Großajatollah helfen?

Mohammad Zolfaghari lehnt an einer Säule. © NDR Foto: Carolin Fromm
Mohammad Zolfaghari wünscht sich eine Einbeziehung religiöser Oberinstanzen.

"Wir wollen nicht, dass es sich jahrelang hinzieht. Wir wollen eine schnelle Lösung. Eine schnelle Lösung wäre, dass die Tore sofort aufmachen", sagt auch Mohammad Zolfaghari. Der schiitische Imam iranischer Herkunft war nicht Teil des ehemaligen IZH. Der 26-Jährige sagt, für die Gläubigen gehe es bei der Frage nach der Zukunft der Blauen Moschee nicht um Politik, sondern um eine theologische Frage. "Wir glauben an die Trennung von Politik und Religion. Von daher sollte die Stadt uns Schiiten das überlassen", meint er. Mit Großajatollah Ali Al-Sistani gebe es einen Ansprechpartner, der über die Zukunft der Moschee mitentscheiden und von den Behörden dazu kontaktiert werden sollte, findet er. Der konservative Al-Sistani, über 90 Jahre alt, lebt im Irak, stammt aus dem Iran und tritt im Gegensatz zu Irans Führer Ali Chamenei eher für eine Trennung von Staat und Religion ein.

Welche Rolle spielen religiöse Instanzen?

Doch auch Al-Sistani habe sich immer mal wieder in politische Debatten eingemischt, sagt Michael Kiefer, Islamwissenschaftler an der Universität Osnabrück. "Im Grunde haben wir mit Auslandssteuerung immer schlechte Erfahrungen gemacht. Es bedarf einer konkreten Initiative hier vor Ort. Man braucht ja eine Körperschaft, einen Vorsitzenden und jemanden, der die Geschicke des Hauses leitet."

Auch Zolfaghari wünscht sich einen neuen Trägerverein, vielleicht sogar einen neuen Staatsvertrag zwischen Hamburg und den schiitischen Muslimen. "Wir müssen als Erstes einen Dialog führen. Es gibt nicht einen einzigen Weg. Wir müssen gucken: Was passt zu uns und was passt der Stadt?" Aber eine neue Trägerschaft müsse von den Schiiten auch akzeptiert werden - dabei könne eine religiöse Instanz helfen. "Die Imam-Ali-Moschee ist nicht nur eine Moschee. Es ist ein Symbol: Wer hat das Sagen hier? Wer ist der Führer der Schiiten? Darum geht es", erläutert der Hamburger Zolfaghari.

Was unterscheidet Schiiten und Sunniten?

Der islamische Glaube spaltete sich in den Jahren nach Mohammeds Tod (632 n. C.) in Sunniten und Schiiten, als Muslime darüber stritten, wer der rechtmäßige Nachfolger des Propheten Mohammed sei. Heute sind etwa 15 Prozent der Muslime weltweit Schiiten, die große Mehrheit gehört zu den Sunniten. Im Iran, Irak, Aserbaidschan und Bahrain stellen jedoch Schiiten die Mehrheit der Bevölkerung. In Deutschland sind etwa vier Prozent der Muslime schiitischen Glaubens. In Hamburg sollen schätzungsweise 20.000 bis 30.000 Schiiten leben. Die Zahlen sind umstritten.

Schura will als anerkannter Vermittler die Moschee sichern

Einen Dialog will auch die mehrheitlich sunnitische Schura, der Rat der islamischen Gemeinschaften Hamburg, und bietet sich allen Beteiligten als Vermittler an: der Stadt, Zivilgesellschaft, den Parteien und den schiitischen Gläubigen. "Wir sind als anerkannte Religionsgemeinschaft seit 20 Jahren bekannt. Im Moment hat sich nach dem Wegfall des Islamischen Zentrums noch keine Gruppe formiert, die den Anspruch gestellt hat, zu sagen: 'Wir sind da, wir sind gesprächsbereit und sehen uns in der Pflicht'", erläutert Vorstand Fatih Yildiz. In diesem Vakuum wolle die Schura vor allem sicherstellen, dass keine "wilden Ansprüche" gestellt würden. "Wir möchten, dass die Kirche im Dorf, also die Moschee in Hamburg bleibt, als Gebetsstätte."

Gedenkstätte? Kulturzentrum? Moschee!

Denn es gibt auch andere Ideen: So veranstalten Exil-Iranerinnen und Iraner, der Verein Kulturbrücke und "International women in power" sowie Aktivisten verschiedener Bereiche am Tag der offenen Moschee eine Kundgebung. Sie wollen aus der Moschee eine Gedenkstätte für die von der iranischen Sittenpolizei getötete Jina Mahsa Amini machen. Unterstützt werden sie unter anderem vom Beauftragten für jüdisches Leben in Hamburg, Stefan Hensel, und Mitgliedern von CDU und FDP. Sie befürchten, dass die Moschee zukünftig erneut für extremistische Zwecke instrumentalisiert werden könnte. Statt eines schiitischen Gebetshauses wünschen sie sich ein Kulturzentrum.

Sowohl Yildiz als auch Zolfaghari wollen die Moschee hingegen unbedingt als schiitische Moschee erhalten: "Würde man sich trauen zu sagen, wir machen aus einer Synagoge ein Gedenkhaus? Das verschärft die Spaltung nur, das hilft uns nicht. Man kann Gedenkstätten überall in Hamburg errichten. Ich bin auch dafür. Aber wieso in einem Gotteshaus?", fragt Zolfaghari.

VIDEO: Tag der offenen Moschee: Begegnungen und Protest in Hamburg (3 Min)

Nicht nur irgendeine Moschee

Denn die Imam-Ali-Moschee, gebaut in den 60er-Jahren dank iranischer Kaufleute, ist nicht nur ein schönes, denkmalgeschütztes Gebäude. Es gilt als das europäische Zentrum der Schiiten. Muslime aus Afghanistan, Irak, Libanon - und Konvertiten: Die Blaue Moschee ist nicht nur für iranisch-stämmige Menschen ein religiöses Zuhause. "Wir betrachten dieses Haus als ein schiitisches Gotteshaus, nicht als ein iranisches Gotteshaus", stellt Zolfaghari klar. Er hätte sich gewünscht, dass politisch unerwünschte Personen ausgewiesen werden - aber nicht die ganze Moschee geschlossen wird.

Neue Gruppe meldet sich zu Wort

Seit wenigen Tagen bringt sich eine neue Gruppe in die Diskussion ein: ein "Aktionskomitee zur Wiedereröffnung der Imam-Ali-Moschee". Die nach eigenen Angaben siebenköpfige Gruppe gehört zu den Organisatoren des Gebets vor der Moschee. Ihre Forderung: eine Öffnung der Moschee während der Gebetszeiten. "Wir sind der Auffassung, dass die Trennung von Rechtsverfahren gegen einen Verein und die zeitweise Öffnung der Moschee - zum Beispiel unter Aufsicht - durchaus möglich sein sollte." Auch die Gruppe will sich ab jetzt in die Zukunftsideen einbringen. Wie ihre Vorstellungen genau aussehen, bleibt auf Nachfrage des NDR noch offen.

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Welche Rolle spielen die Behörden?

Bundesinnenministerium und Stadt beantworten dem NDR ebenfalls nicht konkret, welche Pläne für die Zukunft und Anforderungen sie an einen neuen Träger haben - mit Verweis auf das laufende Gerichtsverfahren. Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) hatte sich in einem Interview mit der "Welt" dafür ausgesprochen, die Moschee "wieder als religiöses und kulturelles Zentrum" zu nutzen - "natürlich vollständig unabhängig von Teheran". Daher dürfe der Staat das Gebäude "auch nie wieder aus der Hand geben".

Der Staat dürfe sich in die Belange der Religion laut Gesetz gar nicht einmischen, sagt Islamwissenschaftler Kiefer. "Die Religionsausübung in Deutschland ist Sache der Gläubigen. Die Initiative muss meiner Meinung nach aus der Schia kommen - und dann kann man schauen, ob der Staat diese Partner unterstützen kann." Denn auch die problematischen Positionen, die im IZH vertreten wurden, seien ja noch da. Unpolitisch und vertrauenswürdig: Das sind die Anforderungen an einen neuen Träger.

Wer hat Geld und Personal?

Für einen zukünftigen Betreiber stellen sich neben theologischen vor allem praktische Fragen. Denn so eine Moschee zu betreiben, ist teuer: Wasser, Strom und Versicherung müssen bezahlt werden, soziale Angebote geschaffen und finanziert, Koran-Unterricht und Veranstaltungen organisiert werden.

In Hamburg gibt es einige andere schiitische Gemeinden: afghanisch, irakisch oder libanesisch geprägt. Gespräche laufen, doch ein so großes Haus wie die Blaue Moschee zu übernehmen, trauen sich nicht alle zu. Und religiöser Nachfolger des IZH zu werden, hat aufgrund der historischen Bedeutung Strahlkraft. "Da fragt man sich natürlich auch: In welche Konflikte gerate ich da hinein?", so Kiefer.

Um Licht in die Zukunft und bisherige Ideengeber zu bringen, plant die Schura einen Dialog für Politiker, Schiiten und andere Interessierte, erzählt Vorstandsvorsitzender Yildiz. "Wie fühlt sich die Gemeinde? Was sind Perspektiven für diese Moschee? Welches Konzept kann es geben? Da gibt es sehr viel Gesprächsbedarf."

Bis die Türen der Blauen Moschee wieder aufgehen, kann es noch Jahre dauern. Doch alle Beteiligten sagen: Bereits jetzt ist der Zeitpunkt, um seine Ideen einzubringen.

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Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 03.10.2024 | 19:30 Uhr

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