Fall Ibrahim A.: Justizsenatorin Gallina immer stärker unter Druck
Nachdem weitere Einzelheiten zum mutmaßlichen Messerangreifer von Brokstedt bekannt geworden sind, wächst die Kritik an Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne). Bürgerschaftsabgeordnete aller Parteien fordern eine Sondersitzung des Justizausschusses.
"Wer Fehler nicht erkennen will, der ist fehl am Platz", teilte CDU-Fraktionschef Dennis Thering am Montag mit. Gallina hatte in der vergangenen Woche in der Bürgerschaft und im Justizausschuss umfangreich über die Haftzeit von Ibrahim A. in der Justizvollzugsanstalt Billwerder informiert. Sie erwähnte dabei allerdings nicht, dass sich der 33-Jährige während der Haft mit dem Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, Anis Amri, verglichen haben soll.
Äußerungen von Ibrahim A. wurden Sonntag bekannt
"Es gibt nicht nur einen Anis Amri, es gibt mehrere, ich bin auch einer", habe der 33-Jährige im August 2022 zu Bediensteten gesagt, wie die Justizbehörde am Sonntag mitgeteilt hatte. Die Äußerung sei in einem sogenannten Wahrnehmungsbogen in der Gefangenenpersonalakte festgehalten worden. Zudem gehe daraus hervor, dass Ibrahim A. am 6. August 2022 bei der Vorbereitung für die Freistunde auf dem Hof nach Wahrnehmung eines Bediensteten "vor sich hinstammelte": "Großes Auto, Berlin, das ist die Wahrheit". Im Beisein eines weiteren Bediensteten äußerte er den Angaben zufolge auf dem Weg zum Hof zwei Mal, ob dieser auch "unter die Reifen" wolle. Anis Amri hatte am 19. Dezember 2016 einen Lastwagen in den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz an der Berliner Gedächtniskirche gesteuert. 13 Menschen wurden getötet.
CDU: "Entscheidende Information vorenthalten"
Bei der Äußerung von Ibrahim A. handele es sich um eine "entscheidende Information", die dem Justizausschuss vorenthalten worden sei, so die Kritik der CDU. Wenn es sich bewahrheiten sollte, dass der Mann mit einem Attentat drohen konnte und trotzdem ohne Konsequenzen aus der Haft entlassen wurde, dann sei die Justizsenatorin "endgültig nicht mehr zu halten", so Thering weiter. "Wir beantragen eine Sondersitzung des Justizausschusses, um Gallina zeitnah erneut zu befragen, was in ihrer Behörde alles schiefgelaufen ist."
Kritik auch von den anderen Oppositionsparteien
Auch AfD und Linke forderten schnellstmöglich eine Sondersitzung des Justizausschusses. Es liege jetzt auf der Hand, dass Ibrahim A. "niemals ohne weiteres hätte auf freien Fuß gesetzt werden dürfen", sagte Cansu Özdemir (Linke). AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann sprach von einem Versagen der Hamburger Justiz. "Wie kann es sein, dass ein mehrfacher Straftäter im Stile eines Anis Amri Attentatspläne ausspricht und die Behörden nicht alarmiert sind?", fragte Nockemann. Anna von Treuenfels (FDP) sprach von einem "skandalösen Justizversagen", von mangelnder Kommunikation mit Bundesämtern und Behörden der Nachbarländer. Gallina könne sich jetzt nicht mehr mit Nichtwissen herausreden.
Politiker von Rot-Grün fordern ebenfalls weitere Aufklärung
Auch Politikerinnen und Politiker der Regierungsfraktionen von SPD und Grünen forderten, dass die neuen Details, die jetzt bekannt wurden, schnellstmöglich in einer Sondersitzung des Justizausschusses aufgeklärt werden müssten.
Gallina nennt "ermittlungstaktische Gründe"
Gallina sagte am Montagnachmittag, die Äußerungen von Imbrahim A. aus der JVA Billwerder seien "aus ermittlungstaktischen Gründen" nicht in der jüngsten Sitzung des Justizausschusses zur Sprache gekommen. "Erfahrene Richter und Staatsanwälte" in ihrer Behörde seien zu dem Schluss gekommen, dass Zeuginnen und Zeugen unvoreingenommen zu der Messerattacke und möglichen Motiven des Ibrahim A. gehört werden sollten. Wann eine mögliche Sondersitzung des Justizausschusses stattfinden soll, steht noch nicht fest.
Eine Woche vor der Tat aus U-Haft in Hamburg entlassen
Ibrahim A. soll am 25. Januar in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg mit einem Messer auf andere Fahrgäste eingestochen haben. Zwei junge Menschen starben, fünf weitere wurden teils schwer verletzt. Der 33-jährige Palästinenser sitzt wegen des Verdachts des zweifachen Mordes und versuchten Totschlags in vier Fällen in Untersuchungshaft. Der mehrfach vorbestrafte Verdächtige war knapp eine Woche zuvor aus der U-Haft in Hamburg entlassen worden.