Lou Reed und John Cale: Zwei Wege aus dem Underground
Wie ging es nach ihrer Zeit bei "The Velvet Underground" für die Musiklegenden Lou Reed und John Cale weiter? Darüber sprechen Peter Urban und Ocke Bandixen im Podcast "Urban Pop".
Während ihrer gemeinsamen Zeit bei The Velvet Underground ab Mitte der Sechziger Jahre war die Beziehung zwischen Lou Reed (bürgerlich Lewis Allan Reed) und John Cale von Höhen und Tiefen geprägt: Einerseits verband sie schon damals das gemeinsame Musikmachen und ihre Liebe zu rohen, schrägen Rocksounds. Andererseits schwelte zwischen ihnen bereits in dieser Zeit eine gewisse Rivalität, wie NDR Musikexperte Peter Urban im ARD Podcast Urban Pop verrät: "Es stand oft die Frage im Raum, wer der Boss ist". 1968 soll Reed Cales Rausschmiss aus "The Velvet Underground" initiiert haben. Reed selbst stieg 1970 aus, laut Urban verlor er schlichtweg die Lust an der Band.
Lou Reed: Ein schwieriger Charakter
Doch nicht nur Cale kämpfte mit dem zu seinen Lebzeiten als schwierig und launisch geltenden Reed. Auch andere Musiker, darunter David Bowie und der Gitarrist Robert Quine, gerieten mit Reed aneinander, als der nach seiner Zeit bei "Velvet Underground" seinen eigenen musikalischen Weg ging: "Beim Album 'New Sensations' hat Lou Reed die Gitarrensounds von Quine einfach rausgeschmissen, seine Spuren einfach gelöscht. Also er war ein schwieriger Zeitgenosse, unser Lou", resümiert Urban.
Auch NDR Musikredakteur Ocke Bandixen sieht in Reed einen schwierigen Charakter: "Ich erinnere mich an ein Fernsehinterview, das Lou Reed zum Ende seiner Karriere hin, im Jahr 2011 bei der Veröffentlichung der Platte 'Lulu' gab, welche in Kollaboration mit Metallica entstand. Lou war bei diesem Interview unheimlich schlecht gelaunt und genervt von den Fragen des Moderators."
John Cale: Kammerpop mit 'Paris 1919'
Auch John Cale widmete sich nach seinem unfreiwilligen Ausstieg bei "Velvet Underground" eigener Musik. "1973 war er mit 'Paris 1919' in aller Munde. Das Album ist so eine Art Kammerpop, es wirkt wie ein Musical und es ist eine wunderschöne Platte", findet Bandixen.
Cale liebt es, seinen musikalischen Stil zu verändern: 1974 nimmt er mit der Sängerin Nico, dem Ex-Model, die eigentlich Christa Päffgen hieß und aus Deutschland kam, das Album "The End" auf. "Es ist wahnsinnig anstrengend, unheimlich düster, teilweise verstörend", erzählt Bandixen. Der letzte Song auf der Platte sorgt für Sprachlosigkeit und Unverständnis bei den Musikexperten: Nico singt alle drei Strophen von "Das Lied der Deutschen" – auch die erste, welche heute durch die Nazis, deren Diktatur und den Krieg negativ besetzt ist.
1990 veröffentlicht Cale mit dem britischen Musiker Brian Eno das elektronisch anmutende Album "Wrong Way Up". Urban findet: "Es hat wieder einen ganz anderen Stil. Es klingt ein bisschen nach Depeche Mode, nach Synthie-Pop, der New Romantic-Ära aus den Achtzigern. 'Spinning Away' ist für mich der herausragende Song."
Reeds schwieriges Verhältnis zur eigenen Kunst
Im Jahr 1972 schuf Lou Reed laut Urban mit "Transformer" und insbesondere mit dem bekannten Hit "Walk On The Wild Side" sein erfolgreichstes Soloalbum. Doch wie bei Cale war Reeds Schaffen geprägt von musikalischen Wechseln: Mit "Berlin" schuf er 1973 eine Art Konzeptalbum, welches durch Rocksongs eine durchgehende Geschichte erzählt. Und nur ein Jahr später veröffentlicht er mit "Sally Can't Dance" eine wiederum ganz anders anmutende Glamrock-Platte. "'Sally Can't Dance' ist total überproduziert, zu arrangiert. Wie es eben bei kommerziellem Poprock in den Siebzigern so war", findet Urban. "Das passte eigentlich überhaupt nicht zu Lou Reed".
Während "Berlin" damals floppte, verkaufte sich "Sally Can't Dance" wieder erfolgreich. "Die Plattenfirma war zufrieden", erzählt Urban. Ganz anders ging es allerdings dem Künstler selbst: "Lou Reed sagte später, 'Sally Can't Dance' sei ein furchtbares Album. Ich weiß auch nicht, warum er es gemacht hat. Er scheint damals kein richtiges Verhältnis zu seiner Kunst gehabt zu haben – vielleicht aufgrund seiner Drogensucht", mutmaßt Urban.
"Es scheint, je weniger ich mit einem Album zu tun habe, desto erfolgreicher ist es." LOU REED
Raus aus dem Vertrag: Reed macht absichtlich Flop-Album
Um Mitte der Siebziger Jahre nach "Sally Can't Dance" aus seinem unliebsamen Plattenvertrag herauszukommen, schuf Reed laut Urban absichtlich ein unkommerzielles Album, das floppen sollte: "Er nahm 'Metal Machine Music' auf. Darauf sind nur schrille Feedback-Töne zu hören, 40 Minuten Krach." Laut Urban ist es ein Album, das "Noisefreaks" gefällt. Das Album habe am Anfang kaum Anklang gefunden, erzählt Bandixen und fügt amüsiert hinzu: "Und später galt er damit in der Noise-Musik-Szene als Visionär."
Für Andy Warhol: Cale und Reed kurzzeitig wiedervereint
Im Jahr 1987 begegneten sich Reed und Cale auf einer Gedenkfeier ihres verstorbenen Velvet Underground-Managers Andy Warhol. Sie beschlossen, für ihren alten Freund ein gemeinsames Album aufzunehmen. 1990 erschien die Platte "Songs For Drella". Drella sei Warhols Spitzname gewesen, erzählt Bandixen. "Es ist ganz lustig, eine Verbindung aus Cinderella und Dracula." John Cale steuert unter anderem den Song "Style It Takes" bei, Reed erschafft mit "Hello It's Me" laut Urban einen sehr ehrlichen Abschiedsgruß. Im Song entschuldigt sich Reed auf emotionale Weise für sein Verhalten gegenüber Warhol.
I really miss you,
I really miss your mind
I haven't heard ideas like that
For such a long, long time
I love to watch you draw and watch you paint
But when I saw you last, I turned away
AUSZUG AUS "HELLO IT'S ME"
Cale in Reeds Schatten
Doch mit der erneuten Zusammenarbeit zwischen Reed und Cale traten auch die alten Probleme wieder auf: So fühlte sich Cale von Reed in den Hintergrund gedrängt. Bandixen berichtet: "Ich kann das ein bisschen nachvollziehen. Ich habe ein Interview gesehen, wo Lou Reed nach dem Erscheinen der Platte über Warhol befragt wurde und Cale, der natürlich genauso hätte erzählen können, saß im Hintergrund.
Reeds Ehefrauen: Kronstadt, Morales und Anderson
Lou Reed nahm laut Urban lange Zeit Drogen, schwor diesen jedoch gegen Ende der Siebziger Jahre ab. "Vielleicht einfach aus gesundheitlichen Gründen. Vielleicht aber auch für seine Frau Sylvia", mutmaßt Urban. Nach einer kurzen Ehe mit Bettye Kronstadt im Jahr 1973 war Reed von 1980 bis 1990 mit Sylvia Morales verheiratet, sie wurde später seine Managerin. Das Paar lebte in dieser Zeit auf einem Landsitz in New Jersey.
Laurie Anderson holte das Gute aus Reed
Während einer Trennungsphase von seiner Frau Sylvia funkte es im Jahr 1995 zwischen Reed und seiner langjährigen Freundin Laurie Anderson. Das Paar heiratete 2008. Die Beziehung hielt bis zu seinem Tod. Reed hatte keine Kinder. Urban sieht in Anderson eine passende Partnerin, welche das Beste aus seinem schwierigen Charakter herausholte: "Sie war eine großartige, eigenständige Künstlerin, aber auch seine Muse und eine verständige Frau." Bandixen fügt hinzu: "In einer Biografie wird sie als wahnsinnig positiver Einfluss beschrieben. Sie muss sehr geduldig gewesen sein."
Tod im Jahr 2013 mit 71 Jahren
Reed starb im Oktober 2013 im Alter von 71 Jahren. "Er litt an Leberkrebs und Leberzirrhose, hat eine Lebertransplantation nicht überlebt", erzählt Urban. Bereits im jungen Alter habe sich Reed laut Urban vermutlich durch verschmutzte Heroinspritzen mit Hepatitis C infiziert. "Das beeinträchtigt die Leber. Er musste daher über viele Jahre ein starkes Medikament nehmen. Er hatte da immer wieder Probleme", berichtet der Musikexperte nachdenklich.
John Cale: Tour 2025 kurzfristig verschoben
"John Cale hat 2023 mit 'Mercy' ein tolles Album gemacht", meint Urban. Bis heute geht der mittlerweile 83-Jährige auf Tour. Im März 2025 mussten vier Termine seiner Tour in Hamburg, Berlin, Köln und Leipzig aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig verschoben werden, diese wurden im April 2025 nachgeholt.
Lou Reed genieße mittlerweile einen gewissen Legendenstatus, meinen Urban und Bandixen. So wird sein Album "Berlin", das in der Anfangszeit floppte, heute gefeiert. Zu Lebzeiten erhielt er Orden und Auszeichnungen, er traf den Präsidenten und sogar den Papst. "Er wird von vielen Institutionen hochgehalten", meint Urban.
Dass Cale kommerziell nicht ganz so erfolgreich war wie Reed, könnte an seiner künstlerischen Vielfältigkeit liegen, meint Urban: "Cale hat immer neue Musikstile ausprobiert. Das ist ja nicht negativ. Aber wenn du Platten verkaufen willst, ist es besser, du hast einen Sound, den die Leute immer wiedererkennen."
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