Johannes Kirchberg ist fasziniert von Hans Leip und seinen Gedichten
Mit literarischen Abenden zu Tucholsky, Kästner und Borchert ist der singende Wahlhamburger bekannt geworden. Aber Johannes Kirchberg hat auch den Dichter Hans Leip wiederentdeckt, von dem der Text des Welthits "Lili Marleen" stammt.
Ursprünglich wollte er mal ganz hoch hinaus und Skispringer werden. Für den Kulturbetrieb war es wohl besser, dass es nicht so kam. So tourt der gebürtige Leipziger Johannes Kirchberg seit nunmehr 25 Jahren durchs ganze Land mit seinen literarischen Abenden, Kabarett- und Liedprogrammen. Die Schriftsteller Kurt Tucholsky, Erich Kästner, Wolfgang Borchert und Johannes R. Becher haben es ihm besonders angetan. Für sein Album "Wie einst Lili Marleen", einer Hommage an den Hamburger Dichter Hans Leip, wurde Kirchberg mit dem renommierten Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Bei NDR Kultur EXTRA präsentiert er Lieder mit Texten von Leip, Borchert, Kästner sowie eigenes Material.
Wenn man sich deine Programme anhört, hat man das Gefühl, dass vor allem das Tiefgründige dein Thema ist: kleine Beobachtungen im Alltag und Zwischenmenschliches. Liege ich da richtig?
Johannes Kirchberg: Ja, da liegst du zumindest nicht falsch. Aber auch in diesem Privaten kann das Politische stecken und das, was vielleicht jeden was angeht.
Du hast viele literarische Programme und verwendest Texte von berühmten Literaten und Dichtern wie Kurt Tucholsky, Erich Kästner oder Wolfgang Borchert. Was macht deren Texte heute noch so aktuell?
Kirchberg: Es waren schon immer alles genaue Beobachter in ihren Zeiten. Jemand wie Kästner ist natürlich ein toller Literat, der Sachen so gut aufschreiben konnte, dass sie heute noch eine Gültigkeit haben. Vielleicht wiederholen sich auch die Zeiten. Das wäre zwar schade, aber möglicherweise ist da etwas dran.
Diese drei Genannten waren alle geprägt durch ihre Zeit und zwei Weltkriege, die sie mitbekommen haben, die Weimarer Republik, das Dritte Reich. Du selbst wurdest 1973 in Leipzig geboren, also in der DDR. Wann und wo bist du mit diesen Literaten das erste Mal in Berührung gekommen?
Kirchberg: Mit Wolfgang Borchert bin ich tatsächlich in der Schule in Berührung gekommen und habe als Sechzehnjähriger seine Gedichte verschlungen. Die Erzählungen haben mich sehr bewegt. Wenig später konnte ich nichts mehr damit anfangen und habe sie erst später wieder entdeckt.
Erich Kästner habe ich durch sein tolles Buch "Die lyrische Hausapotheke" entdeckt. Die benutzt man wie einen Apothekenschrank: Je nachdem, wie krank man ist, findet man ein Medikament - so funktioniert das in diesem Buch auch. Man schaut ins Inhaltsverzeichnis, guckt, wie es einem geht, ob man an Melancholie leidet oder an Heimweh oder ob man verliebt ist. Dann findet man eine Seitenzahl und das entsprechende Gedicht. So bin ich zu Kästner gekommen. Ich habe auch relativ schnell angefangen, Kästner zu vertonen, um die Gedichte zu meinen Liedern zu machen, weil sie mein Gefühlsleben so gut ausgedrückt haben.
Ein Dichter und Schriftsteller aus Hamburg hat es dir besonders angetan: Hans Leip, geboren 1893 in Hamburg. Sein Vater war Seemann, gestorben ist er 1983 in der Schweiz. Man kennt ihn und sein sehr umfangreiches Werk heute kaum noch. Aber was geblieben ist, ist der Text von Lili Marleen. 1939 wurde es von Lale Andersen eingesungen - das Soldatenlied, der erste deutsche Welthit.
Kirchberg: Man kennt ihn weltweit, die jungen Leute vielleicht jetzt nicht mehr, aber ansonsten ist das Lied in 70 Sprachen übersetzt worden. Das spricht schon für sich.
Hans Leip konnte das nicht ahnen, als er als junger Mann diesen Text geschrieben hat.
Kirchberg: Nein, das konnte er nicht. Er war Anfang 20, das war 1915 in Berlin, es war der Erste Weltkrieg. Er war dort stationiert und war in zwei Frauen zur gleichen Zeit verliebt: in Lili und in Marleen. Er hat sich wahrscheinlich gedacht, dass er das schnell in einen Text bringt. Das Gedicht hat er relativ schnell aufgeschrieben und selber vertont.
Hatte das Erfolg bei den Damen?
Kirchberg: Nein, weder bei Marleen noch bei Lili. Das Lustige ist: Nach dem Krieg wurde nach diesen beiden Frauen gesucht. Es haben sich über 250 Frauen gemeldet. Aber weder Lili noch Marleen waren dabei.
Du hast verschiedene Texte und Gedichte von Leip gesungen, nicht nur Lili Marleen. Was spricht dich in dieser Lyrik besonders an?
Kirchberg: Das ist wahrscheinlich dieses Maritime, was er hat. Er ist ein eher unpolitischer Autor und schreibt viel über Seemannsromantik, aber auch über Hamburg und über die Gegend hier. Dazu zählen viele Erzählungen und Kurzgeschichten über Hamburg. Das spricht mich an. Es ist auch dieses Gefühl von Heimat oder Heimatlosigkeit, dieses Getriebensein und in der Ferne dann doch wieder sich nach Hause wünschen. Vielleicht bin ich gerade in dem Alter, aber jetzt hat mich das angesprochen. Vor 30 Jahren hätte mich das vielleicht nicht bewegt.
Das Gespräch führte Claus Röck.