Ein Mann steht vor einem Klinikgebäude und hält ein Buch mit dem Titel "Rausch" in die Kamera. © Unimedizin Rostock Foto: Unimedizin Rostock
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Ein Mann steht vor einem Klinikgebäude und hält ein Buch mit dem Titel "Rausch" in die Kamera. © Unimedizin Rostock Foto: Unimedizin Rostock
AUDIO: Fusion-Arzt Dr. Rücker: "Drogennotfälle sind relativ selten" (10 Min)

Fusion-Arzt Dr. Rücker: "Drogennotfälle sind relativ selten"

Stand: 28.06.2023 19:54 Uhr

"Wir sind das medizinisch am besten ausgerüstete Festival in Europa", sagt Festival-Arzt Dr. Gernot Rücker über den Bereich auf der Fusion, den er seit rund 20 Jahren leitet. Im Interview spricht er auch über die gefährliche Ecstasy-Tablette "Blue Punisher".

Ab Mittwoch treffen sich in Lärz in Mecklenburg-Vorpommern rund 70.000 Menschen auf dem Fusion Festival zum gemeinsamen Feiern. Eine solche Kleinstadt braucht auch medizinische Versorgung. Dr. Gernot Rücker ist seit rund 20 Jahren der ärztliche Leiter des Festivals.

Herr Dr. Rücker, manche werden beim Wort Festival vielleicht zuerst ans Schleswig-Holstein Musik Festival oder an das Hurricane Festival denken. Die Fusion ist anders. Können Sie uns ein paar Bilder und Eindrücke geben?

Ein Mann in einem roten T-Shirt. © NDR Foto: NDR
Dr. Gernot Rücker forscht an der Universität Rostock seit Jahren zum Thema Drogenkonsum und dessen Folgen.

Gernot Rücker: Die Fusion ist ein Kulturfestival mit musikalischer Begleitung. Es gibt Bands, aber auch viele andere Darbietungen, Kleinkunstdarsteller und ein Kinoprogramm. Das kann man nicht mit einem klassischen Festival vergleichen, wo nur Musik-Acts spielen.  Es ist ein Multikulti- und auch ein sehr inklusives Festival, das von Gästen aus der ganzen Welt besucht wird.

Wie würden Sie die Stimmung auf der Fusion beschreiben? Sie sind ja seit 20 Jahren da.

Rücker: Die Stimmung ist ausgelassen und extrem friedlich. Wir sehen seit Jahren kaum Übergriffigkeit. Ich kann mich nicht entsinnen, in den letzten 20 Jahren ernsthaft eine Schlägerei gesehen zu haben. Es ist ein sehr, sehr friedvolles Festival, ein großes Kulturtreffen, das alle Berufsgruppen und eben auch alle Krankheiten miteinander vereinigt. Denn das Festival hat den Charme, dass der medizinische Bereich dort so hochgefahren ist, dass wir in der Lage sind, Personen mit schweren chronischen Grunderkrankungen zu behandeln und diejenigen über die eine Woche, die das Festival dauert, adäquat medizinisch zu versorgen. Das gibt es in dieser Form kaum. Deswegen hat sich das natürlich etabliert und unser medizinisches Angebot wird speziell von diesen Gruppen genutzt.

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Also das Festival ist offen für Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten und die werden dann durch Sie unterstützt?

Rücker: Genau. Dieses Jahr sind 180 Medizinstudierende im Umlauf. Wir haben 35 Ärzte, ein psychologisches Team mit 60 Leuten und natürlich Pflegekräfte dabei. Der ganze Medizinstab umfasst über 400 Personen. Das lässt natürlich zu, dass Patienten mit Erkrankungen das Festival besuchen können, denen so etwas sonst nicht möglich ist. Wir haben auch Patienten, die querschnittsgelähmt sind bis zum Hals, die mit einem Pflegezelt anreisen. Oder Menschen, die insulinpflichtig zuckerkrank sind. Die haben einen ganzen Kühlschrank voll Pens dabei, die sie abgeben, weil es, wenn es sehr heiß ist, schwierig ist mit der Lagerung. Es gibt auch andere Medikamente, die gekühlt werden müssen. Wir gewährleisten, dass das alles möglich ist: Geht nicht, gibt's nicht.

Da sehen Sie wahrscheinlich viele dankbare und glückliche Gesichter.

Rücker: Absolut. Das ist natürlich ein Highlight. Sie müssen sich vorstellen: Wenn sie zum Beispiel beim Wacken Festival oder anderswo eine Schlammschlacht haben, dann kommen Sie da mit dem Rollstuhl nicht durch. Da gibt es einfach physikalische Grenzen. Und hier geht es wunderbar: Das Festival findet auf einem ehemaligen Flugareal vom Militär statt, es gibt befestigte Wege. Das Gelände ist sehr weitläufig und man hat viel Raum zur Verfügung. Das sind Faktoren, die die Inklusion fördern.

Sie haben das Gelände gerade ein bisschen beschrieben. Wie können wir uns denn die medizinischen Einrichtungen vorstellen? 

Rücker: Wir sind das medizinisch am besten ausgerüstete Festival in Europa. Wir haben haben zwei Intensiv-Überwachungscontainer mit acht Überwachungsplätze. Ansonsten gibt es alles, was eine normale Poliklinik ausmacht: Wir haben Sprechstunden für Chirurgie und Innere Medizin, einen Zahnarzt, eine Gynäkologie und eine Urologie. Es gibt ein Labor und zwei Ultraschallgeräte. Patienten mit Baucherkrankungen zum Beispiel lassen sich hier gerne schallen. Dann freuen sich die Studierenden, wenn die Radiologen das beurteilen und ihnen zeigen. Die Patienten, die da sind, nehmen das auch dankbar an, weil Schulungsunterricht, wenn der gut gemacht ist, weitaus mehr Ergebnisse liefert und gründlicher ist, als wenn sie im Massenbetrieb einfach durchlaufen. Man kann sich hier mehr um die Patienten kümmern,  weil es weniger Bürokratie gibt. Jeder hat hier Spaß, und das merkt man natürlich auch dem Team an. Das wird wiederum honoriert durch die Patienten, die gerne zu uns kommen und das Festival auch dafür nutzen. 

Mit welchen Notfällen haben Sie zu tun während des Festivals? 

Rücker: Es gibt vom explodierten Gaskocher über das geplatzte Kondom mit Pille danach bis zum Sturz vom Fahrrad eigentlich die gleichen Notfälle, die man auch in einer normalen Stadt hat. Zum Festival kommen 70.000 bis 80.000 Menschen, das wäre eine Stadt in der Größe von Neubrandenburg. Wir können hier keine Knochenbrüche richten, da wir keine Operationen durchführen. Aber Wunden nähen oder Asthmaanfälle und Kreislaufzusammenbrüche zu behandeln, kriegen wir hier gut hin. Vergiftungen behandeln wir übrigens auch, weil wir ein Spezialteam dafür haben. 

Die Fusion ist ein Festival, wo neben Alkohol und auch sogenannte illegale Drogen konsumiert werden. Wie groß ist dieses Thema von der medizinischen Seite?

Cover von "Rausch" von Dr. Gernot Rücker © Mosaik / Penguin Random House
In seinem Buch "Rausch" schreibt Dr. Gernot Rücker über den sicheren Konsum von Drogen.

Rücker: Wir sind sehr gut vernetzt und betreiben viel Aufklärungsarbeit. Wir haben eine Drogenberatungsstelle, die Tag und Nacht im Einsatz ist. Bei der sind fast alle Pillen gelistet und ausgehängt, die im Umlauf sind. Wir können in Datenbanken nachschauen, haben aber auch ein leistungsfähiges Labor. Wenn nun Patienten mit Vergiftungserscheinungen zu uns kommen, können wir die Substanz, die diese mutmaßlich ausgelöst hat, analysieren und dann entsprechend reagieren. Tatsächlich ist die Beratung hier so gut und das Ganze wissenschaftlich so hochgefahren, dass wir Drogennotfälle relativ selten zu sehen bekommen. 

Die Pillen haben eine einzigartige Prägung und Farbe. Mit Zugriff auf Datenbanken können wir am Computer mit wenigen Handgriffen die Milligramm des Wirkstoffs detektieren und den Leuten sagen, ob eine Pille gefährlich ist oder nicht. Wenn wir merken, dass Pillen im Umlauf sind, die gefährlich sind, dann gibt es sofort eine Warnmeldung, die ausgehängt wird für alle. Insofern ist das sehr liberal und natürlich auch sicher. Deswegen sehen wir natürlich in der Summe relativ wenige Vergiftungsfälle, weil das alles mündige Bürger sind, die auch mit Drogenmündigkeit gut aufgestellt sind. Wir halten natürlich auch medizinisch sofort dagegen, aber Prävention ist die beste Medizin, so dass die Schäden auf einem Minimum gehalten werden.

Es gab einen tragischen Todesfall, einer 13-Jährigen aus Altentreptow, die eine hochdosierte Ecstasy-Pille eingenommen hatte. Wie kann so etwas passieren, dass dann ein Mädchen stirbt von diesem Stoff? 

Rücker: Es ist natürlich wie bei allem: Die Dosis macht das Gift. Der Ecstasy-Wirkstoff MDMA ist eigentlich eine Droge, die gut handlebar ist. Die Droge hat einen unglaublich hohen Verbreitungsgrad, zirkuliert weltweit millionenfach und es gibt sie in unterschiedlichen Ausprägungsformen. Es gibt eine Dosis, die sie brauchen, um ein Rauschziel zu erreichen - dabei gibt es Oberwerte, ab wann es gefährlich wird. Wenn Sie jetzt eine hochdosierte Pille bekommen und sich darüber nicht bewusst sind, dann wird es sehr gefährlich. Die Pille in diesem Fall, eine "Blue Punisher", hat fast 300 Milligramm Wirkstoff. Wenn Sie davon ausgehen, dass ein kleineres, schmächtiges Mädchen vielleicht nur 50 oder 60 Kilogramm wiegt, dann liegt die Rausch-Obergrenze aber bei 50 bis 70 Milligramm. Die Droge sorgt dafür, dass Kreislauf und Blutdruck hochgehen und das Hunger- und Durstgefühl gestillt werden. Dann ist klar, dass es schwerste Nebenwirkungen gibt. Die können sich zum Beispiel in einem Gehirnkrampf, einem Ausfall von Nieren und Leber oder einer bedrohlichen Störung der Herzfrequenz zeigen. All diese Erkrankungen sorgen dafür, dass der Patient relativ schnell ans Limit gerät und stirbt.

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Aber wenn man sich vorher darüber klar ist, was das für ein Pille ist, dann ist es mit zwei Handgriffen möglich, im Internet zu recherchieren, wie viele Milligramm in dieser Pille drin sind. Diese Mittel stehen jedem im Handy zur Verfügung: Man kann sehen welche Dosierung vorliegt und weiß so, ob man die Pille nehmen sollte oder nicht.

Bei der "Blue Punisher" war es so, dass der Hersteller, wissend über die hohe Dosis, eine Bruchkante auf der Rückseite eingerichtet hat. So können Sie die Pille in der Mitte durchtrennen, um an die Hälfte der Dosis zu kommen. Wenn Sie das nicht wissen oder sich da nicht sachkundig gemacht haben, befinden Sie sich natürlich sofort in Lebensgefahr. Denn nach einer halben Stunde ist der Wirkstoff im Blut und nach einer Stunde hat die Wirkung ihr Maximum erreicht. Dann gibt die volle Bandbreite der Nebenwirkungen natürlich eine lebenslimitierende Situation vor, mit der mancher Organismus einfach nicht mehr umgehen kann. 

Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.

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