Festspiele MV: "360 Grad Saxofon" begeistert in Ulrichshusen
Sechs Konzerte standen bei "360 Grad Saxofon" in Ulrichshusen auf dem Programm. Vier Mal spielte der Preisträger in Residence: das SIGNUM saxophone quartet. Höhepunkte: die Erstaufführung von Christian Josts konzertanter Dichtung "Das Eismeer", zwei Gesprächskonzerte und ein fulminantes Finale mit neun Saxofonen.
Jetzt erst mal ein Bier und eine Zigarette! Nach den Gratulationen und vor der Abreise zum Bahnhof findet Blaž Kemperle noch Zeit für eine kurze Bilanz: "Es war sehr bunt, und es war auch unsere Idee, den Leuten die ganze Bandbreite von unserem Instrument zu zeigen. Wir glauben, dass das Saxofon ein Chamäleon ist und wahnsinnig gut die Farben wechseln kann, von Jazz über Tango und Klassik bis zu zeitgenössischer Musik. Und es ist wunderschön zu erleben, wie offen die Leute sind. Wenn sie den Mut haben hinzukommen und man ihnen das schön präsentiert, dann ist alles gut, dann können sie das auch genießen." Sein Kollege Alan Lužar ergänzt: "Es ist großartig! Wir durften sehr, sehr viele schöne Momente erleben, auf der Bühne und außerhalb, wo wir mit vielen Leuten in Berührung kommen und unsere Musik teilen durften. Uns geht’s gut!"
Faszinierend für Ohren und Augen
Christian Josts "Eismeer" ist ein Auftragswerk der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern und der Stadt Greifswald zum 250. Geburtstag des Malers Caspar David Friedrich. "Ich war ein relativ unbeschriebenes Blatt, was Friedrich betrifft", gesteht der Komponist. "Das Bezauberndste an der Aufgabe war, dass ich die Gelegenheit hatte, mich - von außen angestoßen - intensiv mit ihm zu beschäftigen. Das war eine absolute Offenbarung und Bereicherung."
Ein Konzert für Saxofonquartett und Kammerorchester hatte Festspielintendantin Ursula Haselböck bestellt, und weil zufällig Daniel Hope bei den ersten Gesprächen anwesend war, kam auch sein Zürcher Kammerorchester mit ins Spiel: "Ich genieße das Zusammenspiel zwischen den musikalischen Welten sehr. Die unterschiedlichen Intonationsebenen von Saxofonen, Vibraphon und Streichorchester sind, glaube ich, faszinierend für das Ohr - aber auch für das Auge. Ich bin sehr beeindruckt. 'Eismeer‘ ist ein positives und nachdenkliches Stück, aber es rüttelt auch auf. Deshalb passt es zu unserer Zeit und unserer Gesellschaft, und ich finde, das ist das, was wir im Moment brauchen."
Schlaflose Nächte vor der Premiere
Ganz ähnlich wie Daniel Hope sieht es der Komponist selbst: "Die Musik muss immer etwas haben, was uns packt. Sobald es um die DNA geht, die uns alle als Menschen zusammenhält, sind wir dabei. Um genau diese Aufmerksamkeitsmomente geht es mir in meiner Arbeit."
Die eigentliche Uraufführung hat bereits einen Tag zuvor im Greifswalder Dom stattgefunden - mit ebenso großem Erfolg wie am Samstagabend in Ulrichshusen. Beide Konzerte waren für Christian Jost mit einigen schlaflosen Nächten verbunden: "Bis zum heutigen Tag bin ich nervös, aufgeregt und angespannt. Ich sage mir zwar immer, warum eigentlich? Es ist doch alles gut! Aber ich bin’s trotzdem, wie damals, als ich als Junge meine ersten Werke selbst gespielt habe."
2 x Hören: "Durch" von Fabien Lévy
Neue Musik gab es auch schon zum Festivalauftakt: "2 x Hören" mit dem Signum saxophone quartet und Fabien Lévy. Der französische Komponist hatte sein Quartett "Durch" mitgebracht - und für die Konzertbesucher auch gleich Kopien einer Partiturseite mit komplizierten Spielanweisungen: einen Viertelton höher oder tiefer, Flatterzunge, tonloses Blasen und verschiedene "Slap Tongue"-Effekte. Was beim ersten Hören vielleicht unbemerkt durchläuft, erschließt sich nach ein paar Demonstrationen und Erklärungen im Gespräch ganz anders. Auch wenn zeitgenössische Werke nicht ihr Schwerpunkt sind, haben die SIGNUMs "Durch" schon dutzende Male aufgeführt - "und trotzdem musste ich in den letzten Tagen dafür am meisten üben", sagt Blaž Kemperle mit einem Augenzwinkern.
Vom Soprillo bis zum Jazzophon - eine Ausstellung
Regelrecht entspannend dann das zweite Gesprächskonzert am Nachmittag: 30 historische Instrumente haben zur Eröffnung der Ausstellung "178 Jahre Saxofon" in der Remise eine Reise von Rom nach Ulrichshusen angetreten. Sie stammen aus dem weltweit größten Saxofon-Museum von Attilio Berni in Fiumincino. Berni, der selbst natürlich auch Saxofon spielt, gilt als einer der größten Kenner des vergleichsweise jungen Instruments, das Adolphe Sax in den 1840er Jahren erfunden hatte.
Vom Soprillo bis zum 20 Kilo schweren und fast zwei Meter hohen Kontrabass-Saxofon ist alles dabei, dazu etliche Kuriositäten wie ein "Jazzophon" mit zwei Schallbechern, eine saxofonförmige Mundharmonika, ein elektronisches Saxofon und das legendäre Conn-O-Sax mit einem bauchigen Schallbecher, einem außergewöhnlichen Tonumfang und einem unverwechselbaren Klang. Einige dieser Raritäten spielte der Sammler auch im Gespräch mit Ursula Haselböck an, nachdem die SIGNUMs das wahrscheinlich erste Saxofonquartett der Musikgeschichte von Caryl Floyd zunächst mit ihren eigenen und dann mit ausgewählten historischen Instrumenten aufführen - selbst für Laien ein deutlich hörbarer Unterschied!
Moderne Grooves mit Swing-Einlagen
Sommerliche Stimmung will an diesem kühlen, nassen Tag nicht so recht aufkommen. Dafür heizt aber das Jakob Manz Project am späten Abend dem Publikum noch mal so richtig ein. Der junge Saxofonist und seine Jazzband haben einen Mix aus Funk, Soul, Pop und Hip-Hop entwickelt, die auch die grauhaarigen Herrschaften in Schwung bringt. Ein Paar fängt sogar im Hintergrund an zu tanzen. Wer mit dieser Musik weniger anfangen kann, wird mit einem kurzen Gastspiel getröstet: der Sammler Attilio Berni hat ein paar Instrumente ausgewählt, die legendäre Jazzmusiker einst spielten, und swingt mit den jungen Leuten in die gute alte Zeit.
Fünf Saxofonisten aus fünf Ländern
Der zweite Festivaltag beginnt ohne Regen und mit einer fulminanten Show im wiederaufgebauten Wasserschloss: der Matinee "Sax Voyage" mit Five Sax. Five Sax ist 2011 aus einem Studentenquartett an der Wiener Musikuniversität hervorgegangen. Weil die vier Jungs auch Straßenmusik machen wollten, holten sie sich einen fünften für kleine szenische Einlagen dazu. Als sie ihre ersten Bühnenshows konzipierten, wurde der fünfte Spieler kurzerhand fest integriert, und neue Arrangements entstanden. "Wir haben gelernt, dass diese fünfte Stimme wirklich einen Unterschied macht", erzählt Joel Diegert. Er selbst spielt Sopran-, Alt- und Baritonsaxofon im Ensemble - ein weiteres Markenzeichen von Five Sax. Denn: "Wenn du eins spielen kannst, lernst du relativ schnell auch alle anderen. Das ist die die moderne Methode, Saxofon zu spielen. Das können wir natürlich wunderschön in unsere Show einbeziehen." Und, betont Michał Knot (Sopran und Alt), "wir spielen auch klassische Musik mit ein bisschen Humor".
Ein Mix aus Musik und Comedy als Markenzeichen
Fünf Musiker aus fünf Nationen - USA, Chile, Italien, Polen und China. Alle sind sie mit Blaskapellen und heimischer Folklore aufgewachsen, alle sind sie klassisch ausgebildet. Dann jedoch haben sie sich alle unterschiedlich weiterentwickelt. Diese kulturelle Vielfalt sorgt für viel Energie, findet Charles Ng, auch wenn heute im Internetzeitalter doch alle ähnlich spielen und das Quintett einen gemeinsamen Sound produziert. Aber: "In der Show 'Sax Voyage‘ präsentiert sich jeder als Individuum", betont Álvaro Collao, der zwischen Bariton- und Sopransaxofon wechselt. 'Sax Voyage‘, das älteste Programm der Gruppe, ist eine Mischung aus Musik und Comedy, seit über zehn Jahren weltweit erfolgreich. Dafür haben die Musiker sogar Schauspielunterricht genommen.
Für ihren Auftritt in Ulrichshusen haben Five Sax das Programm mit Elementen ihrer jüngsten CD "In Time" ergänzt; das Ergebnis ist eine unterhaltsame Mischung aus Tangos von Piazzolla, Hollywood Hits, dänischer Fiddle-Musik und Hits von Chick Corea und Herbie Hancock. Für die ganz große Show mit Licht und Kostümen reicht die kleine Bühne im Schloss nicht, aber das, was Five Sax dort präsentieren, sorgt noch immer für atemloses Staunen und Lachsalven.
Herausforderungen bei der Tonaufnahme
Gerade das bedeutet allerdings eine große Herausforderung für den NDR Tonmeister Dirk Lüdemann und den Ingenieur Dominik Blech: ein sauberes Klangbild zu erzeugen, wenn die Musiker ständig ihre Positionen wechseln, herumspringen, sich zu Boden werfen und sich schließlich sogar auf den Kopf stellen.
Kaum ist das gelungen, sorgen der erste Techniker Ole Möller und seine Kollegen dafür, dass alle Mikrofone wieder abgebaut werden und der Ü-Wagen zur Feldsteinscheune umgesetzt wird. Wegen der Hanglage müssen die Vorderräder des tonnenschweren Gefährts mit Hilfe von hydraulischen Stempeln aufgebockt werden - eine wichtige Maßarbeit, damit bei der Aufnahme alles stabil ist. Dann geht es ans nächste Set, zum großen Finale.
Volle Kanne die Bühne rocken
Im Abschlusskonzert tun alle neun Saxofonisten sich zusammen - klar. Aber weil ein bisschen Streicherklang ja doch ganz reizvoll ist, kommt noch der Cellist Konstantin Manaev dazu. Er ist kurzfristig eingesprungen für Harriet Krijgh (die damit übrigens die einzige Frau in dieser illustren Musiker-Runde gewesen wäre) und hellauf begeistert: "Wenn man mit einem so großartigen Team wie dem Signum saxophone quartet und Five Sax zusammenspielt, ist das ein einmaliges Erlebnis. Das macht wahnsinnigen Spaß! Man rockt die Bühne, volle Kanne!" Auf dem Programm: einer von Dvořáks Slawischen Tänzen, Bearbeitungen von Piazzolla und Tschaikowsky, drei Songs von den Doors und das Cellokonzert von Friedrich Gulda. Da es für Blasorchester komponiert ist, liegt die Umsetzung mit neun Saxofonen sogar relativ nahe. Aber Manaev findet: "Mit neun Saxen erreichst du ganz neue Farben und das Cello hat viel mehr Potenzial, ganz delikate 'dolce‘-Töne zu erzeugen als mit einem Blasorchester. Die Saxofone bilden eine Einheit und das Cello wird noch viel mehr zum Soloinstrument." Gulda hat in diesem Konzert fröhlich Rock, Jazz, Klassik und Volksmusik gemischt - für den Cellisten das perfekte Stück für einen Sommerabend: "Der letzte Satz ist wie ein Oktoberfest: Alle feiern, alle stoßen an, Happy End, ein großartiges Finale."