Komponist Christian Jost im Portrait © Oliver Borchert Foto: Oliver Borchert
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AUDIO: Wie klingt Caspar David Friedrichs Werk "Das Eismeer"? (9 Min)

Wie klingt Caspar David Friedrichs Werk "Das Eismeer"?

Stand: 26.07.2024 06:00 Uhr

Der Komponist Christian Jost hat im Auftrag der Festspiele MV eine konzertante Dichtung zu Caspar David Friedrichs "Eismeer" komponiert. Am Freitag feierte sie im Greifswalder Dom ihre Uraufführung. Ein Gespräch mit dem Komponisten.

Christian Jost hat eine musikalische Reflexion über Friedrichs berühmtes "Eismeer" komponiert - ein Bild der gescheiterten Hoffnung, auf dem ein Schiffswrack zwischen aufgetürmten Eisschollen liegt. Interpretiert wird die dreisätzige Komposition von Daniel Hope und seinem Zürcher Kammerorchester, dem Signum Saxophone Quartet und Lukas Böhm am Vibraphon. Christian Jost selbst übernimmt die musikalische Leitung der Uraufführung. NDR Kultur hat vorab mit ihm gesprochen.

Eine arktische Landschaft mit sich auftürmenden Eisschollen: Wie klingt "Das Eismeer"?

Christian Jost: Im Grunde finde ich es immer wieder so spektakulär bei Caspar David Friedrich, dass er eine Geschichte hinter dem Bild erzählt. Er eröffnet uns einen Raum, den er gar nicht über die malerische Perspektive zeigt, sondern er schafft es, die Imagination des Betrachters dahingehend zu lenken, dass etwas passiert, was auf dem Bild nur angedeutet oder vorgezeichnet wird. Genau diesen Bereich dessen, was Caspar David Friedrich uns da imaginativ eröffnet, habe ich versucht, in Klang, in ein weiteres Narrativ umzusetzen. Dazu hat mich "Das Eismeer" insbesondere inspiriert, weil es durch dieses versunkene Schiffsheck, was man zwischen den Eisschollen herausstechen sieht, eine Vorgeschichte haben muss - ein Drama, eine Tragödie, die der ganzen Sache vorangegangen ist. Die durchleuchte und erzähle ich.

Das Gemälde zeigt eine Natur, in der es scheinbar kaum Geräusche gibt - vielleicht bis auf das knirschende Verschieben von Eisschollen, vielleicht fliegt ein Vogel vorbei oder es pfeift der Wind. Ein Schiff wird zerdrückt: Man könnte sich vorstellen, dass das zu einer erwartbaren dissonanten Klangsprache einlädt - oder ist die Musiksprache im weitesten Sinne doch auch eine romantische hier?

Jost: Sie ist sogar zu 100 Prozent romantisch und dadurch eine sehr bekennende Musik. Wir haben bei den Proben mit dem Zürcher Kammerorchester und dem Signum Saxophone Quartet ganz deutlich festgestellt, dass die Musik bei allem romantischen Gestus dennoch sehr stark im Heute steckt und komplett unverbraucht daherkommt. Es ist eigentlich eine ganz zarte Eislandschaft, die durch ganz zarte, filigrane Figuren im Saxofon beginnt. Es ist eine Stimmung, die eine gewisse Kälte suggeriert, aber die etwas undefiniert ist, fast schon etwas nebelverhangen, bevor sich das Ganze immer weiter steigert und von einer dramatischen Zuspitzung zur nächsten getrieben wird. Dazu ein zweiter, sehr langsamer, sehr elegischer Satz, der auf das Entstehungsjahr des Gemäldes zurückgreift. Und dann ein Finale furioso, das in dieses zeitlose Bild von Caspar David Friedrich passt, das uns eine Naturgewalt schildert.

Diese zeitlose Bild: Man könnte es auch als fast modernistisch, kubistisch lesen. Das Irritierende, Bestürzende an dem Gemälde ist auch, dass es quasi eine Fortschreibung der Gletscher-Alpenpanoramen mit anderen Mitteln ist. Statt Erhabenheit wird hier der Mensch ganz klein dargestellt - beziehungsweise das Segelschiff, das zwischen Eisschollen zerdrückt wird.

Jost: Exakt. Genau diese Naturgewalt ist es, die unseren Planeten am Laufen hält. Im Grunde genommen ist es - wenn es auch eine große Tragik widerspiegelt - eine Kraft, eine Energie, die der Planet braucht, um fortbestehen zu können. Genau das habe ich auch versucht, musikalisch umzusetzen.

Zu Caspar David Friedrichs Zeiten galt: Was gefroren ist, vergeht nicht und bleibt konserviert. Das ist längst nicht mehr unbedingt so. Sie haben das Abschmelzen der Pole in Verbindung mit dem Klimawandel angedeutet. In welchem Maße hat das eine Rolle gespielt bei Ihrer Komposition, wenn man heute weiß, dass das sogenannte ewige Eis nicht mehr ewig sein dürfte?

Jost: Insofern hat es eine Rolle gespielt, weil ich eine zeitlose Musik schaffen wollte, was ich zwar immer mit meinen Werken versuche herzustellen, aber mit diesem Stück in einem ganz besonderen Maße. Dazu gehört eine bestimmte Unmittelbarkeit der Klangsprache, die den Hörer im Moment packen soll und damit wiederum eine Tür öffnet, das Stück immer wieder hören zu wollen. Das ist eigentlich die Idee des Ganzen. Nicht, dass etwas auf einen schreckhaften Effekt zielt, sondern dass etwas auf eine Dramatik, eine starke Emotionalität zielt. Ich glaube, das Bekenntnis zur Emotion, das Bekenntnis zum Narrativ, das Bekenntnis zur Lebendigkeit ist etwas, was wir heute unbedingt brauchen, um auch aus einer bestimmten Lethargie herauszutreten. Egal, wo wir hinschauen: Es muss Bewegung in das Ganze hinein. Da ist für mich die musikalische Sprache mit ihrem starken Zugriff von Emotionalität ein ganz wichtiges Medium.

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Oft wird "Das Eismeer" kunstgeschichtlich als eine Darstellung des endgültigen Scheiterns betrachtet. Spiegelt sich das Schroffe, irritierend Schöne auch in der Komposition wieder?

Jost: Ja, zu 100 Prozent, vor allen Dingen im langsamen Satz. Der beginnt mit einem mehr oder weniger eingängigen Motiv. Durch die Spielweise der Streicher haben wir dem Ganzen einen sehr kalten, fast schon schmerzhaften Ton gegeben, sodass die Schönheit, die in der Harmonik entsteht, immer einen Bruch, einen gewissen Schmutz erhält, eine Fragwürdigkeit hinter der Schönheit, und trotzdem auch einen Appell zum Bewahren der Schönheit darstellt.

Daniel Hope an der Violine, Lukas Böhm am Vibraphon, das Signum Saxophone Quartet und das Zürcher Kammerorchester: eine luxuriöse Besetzung für die Uraufführung. Wie war die Zusammenarbeit? Wir haben die das Werk zusammen aufgenommen und erarbeitet?

Jost: Wir haben eine sehr intensive Probenphase in Zürich hinter uns gebracht. Ich darf sagen, dass es allenthalben auf große Begeisterung gestoßen ist. Das liegt vielleicht auch an der Unmittelbarkeit des Werkes. Das Saxofonquartett hatte die Noten schon seit einem längeren Zeitpunkt und hat sich intensiv damit auseinandergesetzt. Die waren topvorbereitet. Das Ganze musste nur noch klanglich zusammengebracht werden. Es war für uns alle eine intensive, aber eine wirklich große Freude.

Das Gespräch führte Philipp Cavert. Die Komposition wird am 27. Juli 2024 in der Festspielscheune Ulrichshusen ein zweites Mal aufgeführt.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 26.07.2024 | 08:20 Uhr

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