Lilit Grigoryan: Album "Sonata facile" mit vermeintlich einfachen Stücken
Das Einfache ist in der Kunst nicht immer das Leichte - im Gegenteil: Es ist oft das Schwerste. Wolfgang Amadeus Mozart hat einer seiner berühmtesten Klaviersonaten den Titel "Sonata facile" gegeben. So heißt auch das neue Album von Pianistin Lilit Grigoryan.
Für ihr Debütalbum beim Label Berlin Classics hat die armenische Pianistin vermeintlich einfache Sonaten und Sonatinen ausgewählt, die es tatsächlich in sich haben: Diese kurzen Klavierwerke von Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven, Maurice Ravel, Nikolai Medtner, Reynaldo Hahn und Hermann Goetz sind alles andere als leichte Kost, sondern musikalisch tiefgründig und technisch anspruchsvoll.
Als Solistin und Kammermusikerin hat sich Grigoryan international längst einen Namen gemacht. Zurzeit lehrt sie an der Hochschule für Musik und Theater Rostock und ist seit April 2023 Yamaha Artist. Bei NDR Kultur EXTRA stellt die Künstlerin eine Auswahl der Werke vor, die sie für ihr neues Album eingespielt hat. Denn das ist ein weiterer Meilenstein in der Karriere von Lilit Grigoryan. Im Februar ist ihr Solo-Debütalbum "Sonata facile" bei Berlin Classics erschienen.
Einfachheit ist eine ganz große Kunst, sie ist der Leitgedanke Deines neuen Albums. Es gibt zum Beispiel Stücke mit der Anweisung, möglichst ohne Pedal zu spielen. Ich frage mich, was ist daran einfach?
Lilit Grigoryan: Das ist eine gute Frage. Deshalb habe ich mich auch mit diesem Thema beschäftigt. Ich finde, wir Pianisten haben ein unglaublich großes Repertoire und darunter sind auch viele Werke, die extrem virtuos sind und viele Töne beinhalten. Ich wollte mich mit der Frage beschäftigen: Was ist eigentlich Virtuosität? Auch am Schluss meiner Studienzeit, als ich als Künstlerin in Residenz bei Maria João Pires war, hat Maria diese Frage wahnsinnig oft gestellt: Was ist eigentlich Virtuosität? Ist Virtuosität, wenn man wahnsinnig schnelle Finger hat oder ist Virtuosität, wenn man sich mit Legato-Spiel oder Klangkultur beschäftigt? Die Antwort ist für mich, dass alles eine Art Virtuosität ist. Am Ende soll alles leicht und einfach klingen.
Haben wir heutzutage vielleicht ein bisschen verlernt, uns von einfachen Dingen überwältigen und berühren zu lassen?
Grigoryan: Das kann sehr gut sein. Ich glaube, wir leben heute in einer sehr komplexen Welt. Wir sind wahrscheinlich so verknüpft und vernetzt wie noch nie. Die Wege sind extrem nah geworden, angefangen bei Flugreisen, bei denen man heutzutage wahnsinnig schnell von A nach B reisen kann. Das war im 19. Jahrhundert noch nicht möglich. Ich glaube, wir sind überflutet von Nachrichten, Kontakten und Informationen. Sich gerade in so einer Welt zurückzunehmen und sich an einfachen Sachen zu begeistern, kommt selten vor. Zum Beispiel, dass man sich mal hinsetzt und sich über den Sonnenschein, den blauen Himmel und das Vogelzwitschern freut. Das ist schon sehr schön. Ich glaube, das verlernen wir leider immer häufiger. Wir müssen es wieder bewusster lernen, damit es uns gut geht.
Du bist 2020 schon einmal bei NDR Kultur EXTRA aufgetreten, was ist seitdem bei Dir passiert?
Grigoryan: Ich glaube, dass wahrscheinlich Größte und Neueste, was passiert ist: Ich bin Mutter geworden. Ich war damals gerade mal nach zehn Jahren wieder zurück nach Rostock gezogen, wo ich bis heute lebe. Mittlerweile habe ich auch eine sehr schöne Aufgabe an der Hochschule. Ich unterrichte nicht nur meine Klavierstudierenden, sondern mittlerweile bin ich auch sehr aktiv bei der Young Academy Rostock tätig, das ist das Frühförderungsinstitut der Musikhochschule. Ich glaube, gerade als Mutter ist es mir wichtig, unsere Kunst weiterzugeben, die nächste Generation auszubilden, sie an ihren Anfängen mitzunehmen, Konzertmöglichkeiten zu geben, sie zu unterrichten und sie an der Hochschule einzubinden. Ich glaube, das ist sehr wichtig für die ganze Gesellschaft. Selbst wenn sie am Ende keine Musiker werden. Das ist dann später unser Publikum, was wir brauchen.
Euer Kind ist zweieinhalb Jahre alt. Nun ist Dein Beruf einer, bei dem Du Dir als freischaffende Künstlerin zum Teil die Zeit auch ein bisschen selbst einteilen kannst. Wie lassen sich Auftritte und Kind miteinander vereinbaren?
Grigoryan: Es ist nicht leicht, wie man sich vorstellen kann. Ich habe manchmal das Gefühl, ich habe drei verschiedene Vollzeitjobs, die ich gleichzeitig erledigen muss: einmal meine Tätigkeit an der Hochschule, dann bin ich Mutter und natürlich bin ich auch Künstlerin, also Konzertpianistin. Es wäre nicht schön gewesen, wenn ich auf eine dieser drei Säulen verzichten würde. Ich glaube, es ist unser Schicksal als Musiker oder Musikerinnen, eine Art Balance zu halten.
Mein Glück ist wahrscheinlich, dass mein Mann kein Musiker ist und eine Arbeit hat, die vor Ort stattfindet. Er unterstützt mich sehr in meinen Vorhaben. Das war letztes Jahr teilweise für ihn und für mich sehr schwierig, weil ich sehr viel unterwegs war. Das Paradoxe ist: Früher habe ich das Reisen geliebt und konnte es nicht erwarten loszureisen. Heutzutage kann ich es nicht erwarten, zurückzukehren. Obwohl ich das Reisen auch weiterhin toll finde. Aber am liebsten würde ich mein Kind und meinen Mann immer mitnehmen. Das klappt nicht immer, aber wenn es klappt, ist das wunderschön.
Das Gespräch führte Philipp Cavert.
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