Dirigent Riccardo M Sahiti: "Sie spielen diese Musik leidenschaftlicher"
Was es lange nicht gegeben hat, war ein klassisches Orchester mit und für Sinti- und Roma-Musiker*innen. Vor 22 Jahren hat der Dirigent Riccardo M Sahiti eines gegründet.
Die Roma und Sinti Philharmoniker sind mittlerweile längst ein vollwertiges Orchester, das europaweit konzertiert. Gründer und Leiter Riccardo M Sahiti berichtet über Sinti und Roma in der Musik.
Wo steht Ihr Orchester heute?
Riccardo M Sahiti: Es ist ein professionelles Orchester, das ein Botschafter für die Kultur ist, für das Gute, das Schöne. Das Erbe der Roma und Sinti ist sehr reich. Und dieses Orchester hat in diesen 22 Jahren einige Konzerte in großen Häusern präsentiert mit ernster Musik, mit Roma-Musik und mit Musik aus aller Welt.
Wer sind denn die bedeutenden Komponisten der Sinti und Roma, können Sie ein paar Beispiele nennen?
Sahiti: Das ist Roger Moreno Rathgeb, er hat das "Requiem für Auschwitz" komponiert. Oder Adrian Gaspar in Österreich, und weitere. Deswegen ist diese Präsentation der Roma-Philharmoniker sehr wichtig. Und: Die Roma-Philharmoniker interpretieren diese Musik noch leidenschaftlicher, mit reiner Freude. Genau das brauchen wir heute.
Wenn wir sagen: Die Roma sind so tolle Musiker und die waren immer Gaukler, dann sind wir schnell in der Welt der Vorurteile. Gleichzeitig gibt es wahnsinnig viele, unendlich begabte Musiker*innen, die Roma sind. Was ist das, was den besonderen Umgang mit Musik ausmacht?
Sahiti: Das ist dieses Talent und diese Tradition. Gerade bin ich mit einem russischen Roma-Sänger beschäftigt. Er war so berühmt wie Elvis Presley. Aber die Leute wissen nichts über ihn. Dann gibt es György Cziffra. Er ist ein Roma. Er ist auch ungarischer Pianist, aber er ist ein Weltstar, in derselben Kategorie wie Rubinstein oder wie Horowitz. Das ist dieses Talent. Es ist ein Reichtum von Menschen, Generationen und Generationen.
Sie haben das "Requiem für Auschwitz" von Roger Moreno Rathgeb schon angesprochen, das gerade das Sinti-Roma-Orchester spielt. Was ist das für ein Stück? Erzählen Sie uns davon.
Sahiti: Das ist eine Messe in acht Teilen. Wir haben das Werk 16 Mal gespielt, das letzte Mal in Belgrad im Nationaltheater. Es ist ein diatonisches Werk mit wenig Dissonanzen. Aber wenn alle zusammen dieses Werk spielen, mit Chor, mit den vier Solisten und Orgel, dann kommen genau diese Erzählungen ans Licht: Wie 500.000 Menschen, Roma und viele andere Menschen, vergast und umgebracht wurden, dass sie gestorben sind. Man sieht, dass die Menschen leben wollten und jemand ihnen das Leben nehmen wollte. Da gibt es diese höhere Lage, wo die Chöre hoch singen. Das ist dieser Schrei: "Ich möchte leben!" Es ist ein Werk für Versöhnung und Zusammenhalt - und dafür, dass wir Frieden brauchen. Das ist die Botschaft von diesem musikalischen Werk.
Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.