Klug und poetisch: Kabarett mit Matthias Brodowy

Stand: 03.01.2024 00:01 Uhr

Matthias Brodowy ist seit Jahrzehnten eine Institution in der norddeutschen Kabarett- und Varieté-Szene. Dabei ist es ihm egal, ob er als Kabarettist, Comedian, Komiker, Literat, Conférencier oder Entertainer bezeichnet wird. Irgendwie trifft nämlich alles auf ihn zu.

Matthias Brodowy ist vor allem Bühnenmensch und Vollblutmusiker. Der legendäre Kabarettist Hanns Dieter Hüsch hat sein Talent früh erkannt und Matthias Brodowy schon in jungen Jahren ausdrücklich zur Profilaufbahn geraten. Und so sind bis heute zehn Soloprogramme entstanden sowie diverse Projekte mit anderen Künstlern. Darüber hinaus schreibt er Bücher, engagiert sich ehrenamtlich für schwerkranke Menschen und ist Mitherausgeber eines Straßenmagazins. Bei NDR Kultur hat Matthias Brodowy ein Soloprogramm aus unterhaltsamen und nachdenklichen Texten präsentiert - teils gesungen, teils rezitiert.

Diese ewige Frage: Was ist Kabarett, was ist Comedy? Du nennst dich selber auch Comedian. Ist man immer alles zur gleichen Zeit? Hast du eine Nummer, wo du sagst, die ist jetzt einfach nur lustig, und dann kommt gleich wieder etwas Nachdenkliches. Oder ist man immer alles?

Matthias Brodowy: Ich versuche alles zu sein, weil ich diese Schubladen nicht so mag. Ich mache Kabarett, weil ich einen gewissen literarischen Anspruch habe. Ich mache Comedy, weil ich mal gnadenlos albern sein möchte. Ich mache Musik und ich schreibe auch. Im Moment schreibe ich an einem Buch, zu meinem neuen Programm "Klappstuhl und ich", das soll dann hoffentlich nächstes Jahr erscheinen. Das heißt, ich versuche, insgesamt etwas literarischer zu arbeiten. Das Gesamtpaket hieße dann, wenn man es ins Englische übersetzte, Entertainment. Das ist eigentlich das, was ich möchte. Ich möchte, dass die Leute sich unterhalten fühlen. Dann kommt dieser berühmte Satz: "Kabarett ist Unterhaltung, aber mit Haltung." Ich möchte auch, dass die Leute rausgehen und einen schönen Abend hatten und gleichzeitig irgendwas mitnehmen und vielleicht drei, vier, fünf Tage später bei einer Zeitungsnotiz noch mal sagen: Stimmt, darüber hat er gesprochen, da habe ich mir auch Gedanken drüber gemacht. So etwas finde ich die Königsklasse.

Matthias Brodowy ist mit Konfetti überdeckt und blickt leicht irritiert in die Kamera. © T. Rodriguez
AUDIO: Kabarett mit Matthias Brodowy: klug und poetisch (54 Min)

Du hast einen schönen Satz auf deiner Homepage dazu geschrieben: "Die Bühne kennt seit jeher alternative Fakten, obgleich das Kabarett doch stets auf der Suche nach Wahrheit bleibt." Ist dieses Entlarven und auf Missstände aufmerksam machen auch immer dabei?

Brodowy: Immer nicht. Aber ich finde schon, Kabarett dient dazu, Wirklichkeit zu entdecken, auch zum Beispiel die Satire in der Wirklichkeit. Wir leben in Zeiten, in denen die Wirklichkeit, die Realität die Satire immer wieder überholt. Es gibt verschiedene Dinge, die kann man nicht mehr überzeichnen. Das heißt, das Kabarett ist manchmal realistischer als die Realität. Das ist schon sehr absurd.

Sag mal ein Beispiel aus dem aktuellen Nachrichtengeschehen?

Brodowy: Ich finde aus dem aktuellen Nachrichtengeschehen ist für mich das beste Beispiel Donald Trump. Die Tatsache, dass ein Milliardär, der sich in die tausende von Affären verstrickt hat, es locker schafft, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden und mal eben so sagt: "Ich erkenne die Wahl nicht an". Und der hat eine derart große Anhängerschaft! Das ist etwas, was ich nicht verstehe. In unseren heutigen Zeiten geht es gar nicht um Meinungen, sondern, dass es einfach jemand schafft. Oder Boris Johnson, der ohne Rücksicht auf Verluste, auch ohne Rücksicht auf Demokratien, Aufklärung zurückdreht: Das erschreckt mich. Das ist natürlich überhaupt nicht witzig, und es ist es auch wahnsinnig schwer, das zu persiflieren. Aber vielleicht noch mal zu entdecken, wie wertvoll Demokratie ist, dass man sich noch mal klarmacht: Über Jahrhunderte haben Menschen dafür gekämpft, haben damit gerechnet, dass sie ihre eigene Freiheit verlieren, sie haben sie verloren, sind getötet worden, weil sie für Freiheit gekämpft haben. Das ist ein so großer Wert. Und das ist jetzt genau der Moment, wo man vorsichtig sein muss, dass man nicht moralisierend wird.

Ich finde, Kabarett hat schon die Aufgabe, immer auf dem Boden des Humanismus' zu stehen und auf dem Boden der Aufklärung und daran einfach zu erinnern: Wir leben eigentlich in einer sehr wertvollen Zeit, weil wir Freiheit haben. Wenn Leute sagen, früher war alles besser, dann würde ich gerne sagen, welches Früher? Vor 80 Jahren, vor 150 Jahren, vor tausend Jahren, in welche Zeit möchte man zurück? Wenn man die Zeiten durchdenkt, bin ich mir sehr sicher, dass viele sagen: "Nein, ist ganz okay heute." Deshalb gilt es eben auch, dieses Heute zu verteidigen.

Wenn du die 30 Jahre durchdenkst, die du das jetzt machst, hat sich das in der Zeit verändert, worüber die Leute lachen oder wie man sie irgendwie packen kann?

Brodowy: Ja, kolossal. Ich finde zum Beispiel auch durchaus bezeichnend, dass man heute sehr viel mehr durchdenkt: Kann ich etwas machen, oder kann ich etwas nicht machen? Trete ich jetzt jemandem auf den Schlips? Früher war die Bedingung von Kabarett, jemandem auf den Schlips zu treten. Heute, in so einer Empörungsgesellschaft, handelst du dir sofort einen Shitstorm ein, wenn du aus satirischen Gründen jemandem auf den Schlips trittst. Die Leute haben teilweise ihren Humor verloren. Ich finde, wir leben in sehr prüden Zeiten. Wir leben in sehr humorlosen Zeiten. Ich würde mir wünschen, dass wir ein bisschen mehr Gelassenheit hätten.

Ich finde es immer wichtig, respektvoll zu sein, also auch auf der Bühne den Respekt nicht zu verlieren. Andererseits ist es notwendig, das Kabarett mal überzeichnet. Um jetzt einmal Tucholsky und seinen berühmten Satz zu zitieren: "Satire darf alles." Das hat er gesagt. Allerdings weiß ich, dahinter steckt auch eine Aufgabe. Ich darf alles, wenn ich damit auch eine innere Haltung verknüpfe. Ich darf nicht nur etwas machen um der Pointe willen, ich darf nicht etwas machen, nur um Quote zu machen, aber ich habe schon das Recht, wenn ich einen tiefen Kern habe, auf den ich hinführen möchte, so zu überzeichnen, dass ich jemandem auf den Schlips trete.

Das Gespräch führte Jan Wiedemann.

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur EXTRA | 03.01.2024 | 13:00 Uhr

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