Antje Weithaas: "Beethoven wollte Musik für die Ewigkeit schreiben"
Antje Weithaas gehört zu den großen Geigerinnen unserer Zeit, dennoch gibt es auch für sie immer noch Herausforderungen. Welche das sind, erzählt sie uns im Interview.
Zweifellos gehört Antje Weithaas zu den großen Geigerinnen unserer Zeit. Dass diese Tatsache nur einem Teil des Klassikpublikums bekannt ist, liegt vermutlich auch an ihrem bescheidenen Wesen. Antje Weithaas beherrscht nicht nur ihr Instrument meisterlich, sondern auch die Kunst des Understatements. Dabei spielt sie als Künstlerpersönlichkeit im deutschen Musikleben eine wichtige Rolle - nicht zuletzt wegen ihrer langjährigen Lehrtätigkeit an der Berliner Hochschule für Musik Hanns Eisler. Wer bei Weithaas Geige studiert, hat oft eine Solistenkarriere vor sich. Ihr geschulter Blick für junge Talente ist bekannt und spielt auch beim internationalen Joseph Joachim Violinwettbewerb Hannover eine Rolle, den sie künstlerisch leitet. Darüber hinaus ist sie regelmäßig als Solistin zu erleben und macht leidenschaftlich Kammermusik. Derzeit spielt Antje Weithaas alle zehn Violinsonaten von Beethoven ein. Bei NDR Kultur EXTRA präsentiert sie gemeinsam mit dem italienischen Pianisten Enrico Pace Werke von Beethoven, Schumann und Debussy.
Wo liegen für dich als Geigerin die besonderen Herausforderungen bei den Sonaten von Beethoven?
Antje Weithaas: Beethoven hat eine sehr eigene Sprache. Es ist selten fließend, nur in den unglaublich beglückenden Momenten, die es in jedem Stück gibt. Ansonsten sind die Stücke kantig und voll von Humor. Das ist natürlich eine Herausforderung, das auf der Geige so hinzubekommen, dass auch wirklich jeder Ton in dem Moment so spricht, wie er sprechen soll. Die Herausforderung ist, das zum Beispiel ein Fortepiano anders klingt als das Forzato. Man braucht auf der Geige eine eigene Technik. Aber ich bin sowieso der Meinung, dass man jedes Stück so spielen kann, wie es das Stück braucht.
Enrico, wie klar sind die Vorgaben von Beethoven und wieviel Freiraum lässt er euch als Interpreten?
Enrico Pace: Es ist so, das die Einzeichnungen eigentlich relativ genau sind, aber in den verschiedenen Veröffentlichungen haben sich auch immer wieder Dinge verändert. Heutzutage muss man einfach immer genau schauen, was ist das, was Beethoven jetzt wirklich meinte. Gehört das Piano jetzt dahin oder ist es vielleicht sinnvoller, schon einen Moment früher zu spielen? Uns begleitet immer die Frage: Hat sich Beethoven das so gedacht?
Weithaas: Das beste Beispiel, dass es unterschiedlich interpretierbar ist, ist das, was wir in seiner Handschrift sehen. Das sind die unterschiedlichen Urtextausgaben. Es gibt mehrere Verlage und ich finde das schon spannend, wie unterschiedlich das teilweise ist. Das zeigt aber auch, dass es Interpretationen sind. Das Beste ist, wir schauen uns seine Handschrift an, denn darin kann man sehr viel sehen, zum Beispiel, wie er einen Akzent oder ein Crescendo schreibt, mit welcher inneren Spannung er gerade schreibt und all solche Sachen. Das hilft einem schon, diese relativ limitierte Möglichkeit, die die Notenschrift bietet, noch besser zu verstehen. Es ist sozusagen ein Zwischen-den-Zeilen-lesen.
Kannst du was dazu erzählen, wie das bei den Sonaten in seiner Handschrift aussieht?
Weithaas: Beethoven und seine Manuskripte sind viel Arbeit. Er hat einen inneren Kampf mit sich selbst geführt, seiner Persönlichkeit entsprechend. Seine Arbeiten waren nie gut genug. Er wollte Musik für die Ewigkeit schreiben und er war der Erste, der das wusste, dass er das tut.
Antje, du bist nicht nur als Solistin und Kammermusikerin unterwegs und Professorin an der Hanns Eisler Musikhochschule in Berlin, du bist auch künstlerische Leiterin des Joseph Joachim Violinwettbewerbs in Hannover zusammen mit Oliver Wille. 1991 hast du den Wettbewerb selbst gewonnen und hast in vielen Interviews gesagt, dass du Wettbewerben kritisch gegenüberstehst. Warum hast du trotzdem einen übernommen?
Weithaas: Erstmal ist es ein unglaubliches Privileg, dass die Stiftung Niedersachsen uns so unterstützt, wie sie das tut, und uns künstlerisch totale Freiheit lässt. Dann habe ich mich mit Oliver getroffen, bevor ich Ja gesagt habe. Wir haben ein langes Gespräch in Berlin geführt, mit viel Wein, und haben uns gefragt, ob wir das machen wollen und was wir machen wollen, damit es Sinn macht. Wir haben festgestellt, dass wir auf einer Linie liegen und zugesagt. Uns ist wichtig, etwas zu durchbrechen und den Wettbewerb wieder mehr an das normale Konzertleben anzudocken. Das fast Wichtigste ist uns, dass wir eine enge Zusammenarbeit mit Veranstaltern haben, die uns treu bleiben. Wir haben auch ein paar Neue dazugewonnen. Es geht darum, dass wir den erwachsenen Musiker suchen. Wir suchen nicht den schnellsten Geiger und auch nicht den, der am lautesten spielen kann. Sondern wir suchen den erwachsenen Musiker, der in dieser veränderten Musikwelt, die wir haben, seine Rolle spielen kann. Das heißt: bitte intelligent, bitte wirklich stilistisch so, dass Bach anders klingt als Tschaikowsky. Außerdem sollte er mit einem Hintergrundwissen Programme gestalten können. Was wir auch wollten war, dass es einen Kammermusik-Teil gibt. Den haben wir ein bisschen erschwert, weil wir nicht wollten, dass alle mit ihrem Hauptfachlehrer zu Hause arbeiten. Das heißt, die Teilnehmer müssen einen Haydn-Streichquartettsatz leiten, also mit den anderen Mitgliedern des Quartetts die erste Geige spielen. Die Noten bekommen sie 48 Stunden vorher. Das ist für einen guten Geiger machbar und überhaupt kein Problem. Das passiert übrigens auch im normalen Leben.
Im September 2024 findet der nächste Joseph Joachim Violinwettbewerb in Hannover statt. Die Bewerbungsfrist startet am 2. Januar.
Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.