Protestierende hocken vor einem mit Essen beworfenen Bild in einem Museum. © picture alliance / abaca | ABACA

Kartoffelbrei-Aktivismus im Museum: Wo ist die Grenze?

Stand: 16.03.2023 08:32 Uhr

Was darf und sollte Klimaprotest im Kunst- und Kulturbereich? Das beurteilen Klimaaktivistinnen und -aktivisten auf der einen und Museumsdirektoren aus Niedersachsen auf der anderen Seite recht unterschiedlich.

Protestierende hocken vor einem mit Essen beworfenen Bild in einem Museum. © picture alliance / abaca | ABACA
Beitrag anhören 3 Min

von Michael Brandt

Kartoffelbrei und Suppe auf Gemälde. Für Klimaktivist Theodor Schnarr von der Gruppe "Letzte Generation" erfüllt diese Protestform eine Funktion von Kunst: "Kunst ist ja unter anderem auch dazu gedacht, uns als Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten - und das hat diese Aktion sehr stark getan. Sie hat uns nämlich die Frage gestellt: Worüber empören wir uns gerade? Empören wir uns darüber, dass hier ein Gemälde nicht kaputt gegangen ist, weil es hat ja keinen Schaden genommen, oder empören wir uns darüber, dass unsere Lebensgrundlagen systematisch zerstört werden?"

Klimaaktivist: Kunst ist durch die Folgen des Klimawandels bedroht

Kunst sei bereits durch die Folgen des Klimawandels bedroht, so der Klimaaktivist. Der Klimaschutz sei die große Frage, die jetzt gesellschaftlich beantwortet werden müsse. Das sieht auch Thomas Richter, der Direktor des Herzog Anton Ulrich-Museums in Braunschweig, grundsätzlich ähnlich. Aber wenn Kartoffelbrei oder Suppe auf historische Gemälde geschüttet werde, dann sei das für ihn eine symbolische Zerstörung. 

Museumsdirektor: "Wie ein Schlag ins Gesicht" 

"Wir sind ja nicht die Wärter, sondern die Hüter", so Richter. "Wir hüten nicht nur Kunstwerke in ihrer Substanz, sondern eben auch die Ideen, die Menschen vor 100, 300 oder 600 Jahren damit verbunden haben. Wir sind die Sachwalter der Menschen, die das für uns bewahrt und überliefert haben. Und wenn man dann so vorgeht, dann ist das wie ein Schlag ins Gesicht."

Andreas Beitin: Sympathien für die Ziele, Ablehnung der Mittel

Klimaaktivist Schnarr hält den Protest in Museen hingegen für erfolgreich. Viele Kulturschaffende hätten sich im Nachhinein mit der Bewegung solidarisiert. Auch Andreas Beitin, der Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg, hat grundsätzlich Verständnis für radikalere Formen des Klimaprotestes: "Im Grunde genommen ist es natürlich abzulehnen, wenn Kunst beschädigt und Hausfriedensbruch begangen wird. Dennoch muss ich gestehen, dass ich eine gewisse Sympathie für die Klimaaktivisten habe - vor dem Hintergrund ihrer Verzweiflung und weil der Eindruck entsteht, dass die meisten Teile der Gesellschaft den Klimanotstand ignorieren und an ihrem Lebenswandel eigentlich nicht viel ändern", sagt Beitin. Aber auch wenn die Aktivisten vorher möglicherweise geprüft hätten, ob eine Glasscheibe vor den Kunstwerken ist, lehnt der Museumsdirektor die Protestform ab. Denn es sei nicht auszuschließen, dass die Werke doch Schaden nehmen.

Kartoffelbrei und Co.: "Es produziert Schäden"

Das sieht sein Braunschweiger Kollege Richter ähnlich: "Es ist eine Mär zu glauben, dass wenn das Gut, das man da drauf bringt, zwischen Rahmen und Glas herunterläuft, keine Schäden produziert. Das ist nicht der Fall - es produziert Schäden." Im Herzog Anton Ulrich Museum sind auch historische Werke wie jene von Albrecht Dürer oder Jan Vermeer ausgestellt. Besucherinnen und Besucher müssten nun Jacken und selbst kleinste Taschen abgeben.

"Fridays for Future" sucht die Kooperation mit Museen

Aber besteht nicht auch das Risiko, dass wegen der Aktionen in Museen und anderen Kultureinrichtungen die Unterstützung für die Klimaprotest-Bewegung abnimmt? "Das können wir nicht leugnen", sagt Klimaaktivistin Nele Evers von Fridays for Future. Gewalt und Beschädigung lehne man ab. Bei den Aktionen in Museen gehe es vor allem um Aufmerksamkeit. Aber die Bewegung sei breit aufgestellt: Die Klimaschützerinnen und Klimaschützer von Fridays for Future suchen eher Kooperationen mit Kultureinrichtungen - auch mit Museen. So sei das Landesmuseum Natur und Mensch in Oldenburg Teil des Bündnisses "Museums for Future".

Andere wie die Gruppe "Letzte Generation" würden eher Aktionen innerhalb der Museen machen. "Diese Kombination führt dazu, dass zumindest in meiner Beobachtung kein Museum sagt: Wir arbeiten gar nicht mehr mit der Klimagerechtigkeitsbewegung zusammen, weil wir befürchten, dass sich jemand am Bild festklebt", so Evers. Denn diese Differenz zwischen der 'Letzten Generation' und 'Fridays for Future' ist ja immer noch da."

Thomas Richter: "Wir müssen einen Schulterschluss finden" 

Museumsdirektor Richter sucht das Gespräch mit Klimaaktivistinnen und -aktivisten. Denn dass sie mehr Klimaschutz fordern, könne er verstehen: "Ich kann den Zorn und die Ungeduld verstehen. Wir müssen schneller und effektiver werden. Da haben die jungen Leute völlig Recht. Da müssen wir einen Schulterschluss finden und nicht gegeneinander gehen. Wir sind nicht die Opponenten und Museen sind auch nicht die Obrigkeit." 

Weitere Informationen
Belit Onay (Grüne), Oberbürgermeister von Hannover, lächelt in die Kamera. © Landeshauptstadt Hannover

Verhandeln mit der "Letzten Generation": Geht das?

Ein Gespräch mit Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay, der mit den Klimaaktivisten Absprachen getroffen hat. mehr

Zwei am Asphalt festgeklebte Hände. © picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt

Undercover bei der "Letzten Generation"

Die Sozialpsychologin Maria-Christina Nimmerfroh hat die "Letzte Generation" von innen erforscht: Undercover unter falschem Namen. mehr

Zwei Umweltaktivisten der Gruppe ·Letzte Generation· stehen in der Gemäldegalerie Alte Meister an dem Gemälde ·Sixtinische Madonna· von Raffael © Sebastian Kahnert/dpa -  dpa-Bildfunk

Aktionen der "Letzten Generation": Sind Kunstwerke in Museen sicher?

Was tun Museen im Norden, um sich auf mögliche Aktionen vorzubereiten? Lassen diese sich präventiv verhindern? mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 15.03.2023 | 06:20 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Museen

Malerei

Ausstellungen

Ein leerer Bilderahmen hinter Polizei-Absperrband. © NDR Foto: Foto: [M] Aleksandr Golubev | istockphoto, David Wall | Planpicture

Kunstverbrechen - True Crime meets Kultur

Lenore Lötsch und Torben Steenbuck rollen spektakuläre Kunstdiebstähle auf. Sie nehmen uns mit an Tatorte, treffen Zeugen und Experten. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Hände halten ein Smartphone auf dem der News-Channel von NDR Kultur zusehen ist © NDR.de

WhatsApp-Channel von NDR Kultur: So funktioniert's

Die Kultur Top-News aus Norddeutschland direkt aufs Smartphone: NDR Kultur ist bei WhatsApp mit einem eigenen Kanal aktiv. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Sänger Maxim von der Band The Prodigy während eines Auftritts in Kopenhagen 2023. © picture alliance / Gonzales Photo/Nikolaj Bransholm Foto: Gonzales Photo/Nikolaj Bransholm

Hurricane Festival: The Prodigy, Apache 207 und Sam Fender 2025 dabei

Die englische Elektro-Punk-Band The Prodigy und ein Who-is-Who der deutschen Pop- und HipHop-Szene haben sich für kommendes Jahr angekündigt. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?