Album der Woche: Seong-Jin Cho spielt Maurice Ravel
Seit Seong-Jin Cho 2015 den legendären Chopin-Wettbewerb in Warschau gewann, hat er eine atemberaubende Karriere hingelegt. Jetzt hat er zum 150. Geburtstag von Maurice Ravel dessen sämtliche Klavier-Solowerke aufgenommen.
Ein zartes Flirren, ganz leise, und dann setzt eine geheimnisvolle Melodie ein. "Ondine", die Wassernixe, heißt das erste Stück aus Ravels berühmtem Zyklus "Gaspard de la nuit". Gaspard ist nur ein Vorname persischen Ursprungs, damals ein Schatzmeister. Aber der "Schatzmeister der Nacht" ist niemand anderer als der Teufel.
Atemberaubende Aufnahme
Seong-Jin Cho taucht mit unglaublich feinem Gespür in diese unwirkliche, mystische, bedrohliche Welt ein. Es ist faszinierend, wie er die verschiedenen, sich oft überlagernden Schichten von Ravels Klangkosmos mit einer unendlichen Palette an Farben und Anschlagsnuancen verdeutlicht. Und bei Seong-Jin Cho fasziniert nicht nur sein Klangsinn, sondern genauso seine atemberaubende Technik.
Wenn ein Label seinen Künstler mit Superlativen anpreist, bin ich erstmal vorsichtig. "Einer der elegantesten und versiertesten Pianisten der Gegenwart" sei Seong-Jin Cho, heißt es im Promotiontext. Aber es stimmt, ich halte vom ersten bis zum letzten Ton auf diesem Album den Atem an.
Mit Feinsinn und Eleganz
Seong-Jin Cho hat Ravels Klavier-Solowerke in chronologischer Reihenfolge aufgenommen. Es ist spannend, in dieser frühen "Sérénade grotesque" schon bestimmte Rhythmen, Harmonien oder melodische Wendungen des reiferen Ravel zu entdecken. Spannend auch, den Bogen zu verfolgen bis zum letzten Klavier-Solowerk, "Le tombeau de Couperin". Das "Grab Couperins" ist eine Hommage an den französischen Barock-Komponisten Couperin, aber die sechs Stücke sind auch musikalische Nachrufe auf im Ersten Weltkrieg gefallene Freunde.
Eleganter, feinsinniger kann man das kaum spielen. Das Beschwingte des alten italienischen Tanzes Forlana mischt sich mit Anklängen an jazzige Unterhaltungsmusik Anfang des 20. Jahrhunderts. Das hört man auch in den "Valses nobles et sentimentales". Wunderbar, wie Seong-Jin Cho das Edle und Sentimentale in den Walzern ausbalanciert.
Straffe Rhythmen und fließende Melodien
Seong-Jin Cho hat ein fantastisches Gespür für Balance, für das Verhältnis von wichtigen und etwas weniger wichtigen Stimmen, für den Aufbau von Dynamik, für straffe Rhythmen und fließende Melodien, für die Balance von verinnerlichter Reflektion und Virtuosität.
"Alborada del gracioso" (Morgenlied des Narren) aus dem Zyklus "Miroirs" (Spiegel) ist eines der populärsten, aber auch schwierigsten Klavierwerke von Ravel. Einmal mehr zeigt Seong-Jin Cho hier seine pianistische Souveränität, seine flexible Technik, seinen Feinsinn, seine Eleganz. Vor allem zieht Cho niemals eine Show ab - er nimmt sich zurück, bei ihm geht es nur um die Musik.
Maurice Ravel: Sämtliche Klavier-Solowerke
- Zusatzinfo:
- Seong-Jin Cho, Klavier
- Label:
- Deutsche Grammophon
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Klassik
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