Verhandeln mit der "Letzten Generation": Geht das?
Während viele Politiker*innen auf Verhandlungen mit den Aktivist*innen der "Letzten Generation" verzichten, hat Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay einen ganz anderen Weg gewählt. Ein Gespräch.
Herr Onay, die CDU in Hannover, aber auch der Deutsche Städtetag sind sehr skeptisch: Sie sagen, Sie würden mit Straftätern sprechen. Was entgegnen Sie?
Belit Onay: Wir haben in Hannover sehr unschöne, sehr aggressive, polarisierende Situationen gehabt. Ähnlich, wie wir sie bundesweit sehen. Die Protestaktionen der "Letzten Generation" waren ab Anfang Februar auch in Hannover präsent, und für mich war klar, dass das so nicht weiter geht. Ich habe den Aktivisten der "Letzten Generation" deutlich gemacht, dass wir gerne miteinander sprechen können, aber dann müssten diese Protestaktionen unterbrochen werden oder enden. Dem ist entsprochen worden, man hat sich zusammengesetzt, und da war klar: Es geht den Aktivistinnen und Aktivisten vor allem um das Thema Klimaschutz und welche Rolle der Bund da spielen muss. Insofern haben wir da schnell eine Lösung gefunden. Es war besser miteinander zu sprechen, als nicht miteinander zu sprechen. So eine Law-and-Order-Position: Die Gruppe zu kriminalisieren, zu marginalisieren - das führt nicht weiter. Das zeigen viele Beispiele in anderen Städten.
Das Argument eher konservativer Stimmen, dass man gar nicht mit solchen Aktivistinnen und Aktivisten sprechen sollte, das sehen Sie anders?
Onay: Absolut. Ich höre auch als Vorwurf: Was macht ihr denn, wenn eine andere Gruppe mit anderen Anliegen kommt, sprecht ihr dann auch? Zunächst einmal: Klar, ich spreche mit allen Bürgerinnen und Bürgern. Mit Menschen, die irgendein Anliegen in meine Richtung haben. Die Frage ist ja nicht, ob man miteinander spricht, sondern auch worüber und welche Haltung man vertritt. Die Haltung zum Thema Klimaschutz ist aus meiner Sicht vollkommen legitim und auch berechtigt. Die Aktionen, die die "Letzte Generation" macht, habe ich immer wieder kritisiert. Und heute können wir feststellen, dass wir sie in Hannover beendet haben. Aber bei anderen Positionen, wo beispielsweise aktuell wieder Geflüchtete marginalisiert oder auch diffamiert werden, da gehe ich natürlich nicht mit einer Position rein, die Asyl beschränkt. Sondern mit einer klaren Position, wo wir für eine solidarische Stadt eintreten. Insofern ist es entscheidend, dass man miteinander spricht, aber auch eine klare Vorstellung hat, worum es eigentlich geht.
Sie sind den Aktivist*innen entgegengekommen, zum Beispiel dadurch, dass sie einen Brief an alle Fraktionsvorsitzenden des Bundestags geschrieben haben - außer der AfD. Das ist ja erstmal gar nicht so viel, was Sie da tun mussten.
Onay: Das ist erstmal nicht allzu viel. Aber auch inhaltlich waren wir sehr schnell beieinander. Das ist mir wichtig, das deutlich zu machen. Es kommt immer der Vorwurf, wir hätten uns da zu einer Position erpressen oder nötigen lassen. Das ist ausdrücklich nicht der Fall. Die Position, die ich dort vertrete, mit einem Nachfolger des Neun-Euro-Tickets, mit einer Tempolimit-Lösung, mit einem Bürger*innenrat, wo wir mehr Menschen an Fragen des Klimaschutzes beteiligen können, sind absolut meine Positionen. Das ist das Kerngeschäft: Verkehrs- und Mobilitätswende, soziale Einbindung und Teilhabe - das machen wir in der Stadt tagtäglich. Insofern war, einen solchen Brief zu schreiben, für mich kein wirklich großer Schritt. Das hat auch deutlich gemacht, dass wir beim Thema Klimaschutz und den inhaltlichen Positionen offensichtlich nicht weit auseinander sind.
Und dennoch haben die Menschen, die bei diesen Aktionen teilnehmen, eine große Verzweiflung in sich, die dazu führt, dass sie diese Aktionen durchführen. Wie erklären Sie sich das?
Onay: Ich kann die Aktionen nicht gutheißen. Ich habe immer wieder deutlich gemacht, dass ich das kritisiere. Dass das vom eigentlichen Thema - vom Klimaschutz ablenkt und den Fokues auf spektakuläre Aktionen legt. Das war auch in Hannover so. Da wurde nur noch über das diskutiert, was dort passiert - und nicht mehr, worum es geht. Allerdings: Dass der Bund nicht genug macht beim Thema Klimaschutz, dass er nicht den Vorgaben des Klimaschutzgesetzes und den Vorgaben des Pariser Klimaschutzabkommens nachkommt - da haben die Aktivistinnen und Aktivisten aus meiner Sicht einen Punkt. Die Frustration kann man absolut nachvollziehen und die teilen wir auch auf kommunaler Ebene: Wir weisen immer wieder darauf hin: Gebt uns endlich die Rahmenbedingungen. Gibt uns endlich das Werkzeug, um effizienten Klimaschutz vor Ort in der Kommune umzusetzen.
Hannover soll im Jahr 2035 klimaneutral werden. Wie soll das gelingen? Den Flughafen können Sie ja nicht schließen und auch nicht entscheiden, welche Autos die Menschen dann fahren.
Onay: Wir können viele Rahmenbedingungen beeinflussen. Was wir machen, das ist zum Beispiel das Entwickeln einer autofreien Innenstadt als Teil einer echten Verkehrs- und Mobilitätswende. Der Ausbau von Radverkehr, von ÖPNV, das Zurückzudrängen des Automobilverkehrs - und dafür gute Alternativen für klimafreundliche Mobilität. Ein weiteres Thema ist das Thema Kohleausstieg und Wärmewende. Wir haben noch ein Kohlekraftwerk in Hannover und haben nach meiner Wahl den Ausstieg aus der Kohle von 2030 auf 2026 vorgezogen. Ein sehr ambitioniertes Programm. Bei all diesen Punkten wird deutlich, dass die Städte sehr viel machen und vor Ort umsetzen können. Aber wir brauchen die Rahmenbedingungen, die Finanzierung, die rechtlichen Möglichkeiten vonseiten des Bundes und der Länder. Daran hapert es ganz deutlich. Der Wille ist da auf kommunaler Ebene da, nur die Rahmenbedingungen sind noch nicht optimal.
Sie sind Oberbürgermeister von Hannover und Sie sind nicht verantwortlich für das, was in der Koalition passiert. Gleichzeitig wird die Polarisierung zwischen FDP und Grünen durch Ihre Aktion noch einmal verschärft, oder?
Onay: Ich glaube nicht, dass sie durch meine Aktion verschärft wird, sondern durch eine für mich absolut nicht nachvollziehbare Position des Bundesverkehrsministers was das Thema Tempolimit angeht. Eine Maßnahme, die nichts kostet, aber sehr schnell CO2 einsparen würde. Sogar mehr als bisher gedacht worden war. Auch das Thema E-Fuels und die Diskussion, den Verbrenner nicht anzutasten, ist für mich absolut nicht nachvollziehbar. Wir sind aktuell in einer Klimakrise, teilweise in einem Klimanotstand. Wir merken das in den Städten, wir müssen jetzt handeln. Und was uns aufgetischt wird, ist eine sehr seltsame Debatte vonseiten des Bundes, insbesondere des Bundesverkehrsministeriums, die überhaupt nicht nachvollziehbar ist. Wir haben nicht nur eine FDP-Grünen-Konfliktlage, sondern die Kommunen wollen zum Beispiel eine Regelung zu mehr Freiheit zu Tempo 30, um besser vor Ort Maßnahmen entwickeln zu können. Das ist Teil des Koalitionsvertrages, und immer noch warten wir auf der kommunalen Ebene parteiübergreifend auf entsprechende Maßnahmen seitens des Bundesverkehrsministeriums. So kann Klimaschutz nicht gelingen.
Das Interview führte Mischa Kreiskott