documenta-Chef Hoffmann: "Wir müssen Vertrauen neu aufbauen"
Die documenta steht ohne Findungskommission für die Künstlerische Leitung da. Andreas Hoffmann, Geschäftsführer der bedeutenden Kunstmesse, zu den Vorgängen. Wird sie die documenta neu positionieren?
Die documenta in Kassel kommt nicht zur Ruhe: Seit Kurzem weiß man: Die Documenta steht komplett ohne Findungskommission für die Künstlerische Leitung der nächsten Ausstellung 2027 da. Erst Anfang der Woche waren zwei Mitglieder ausgetreten, nun auch der Rest der Gremiums. Der Arbeitsprozess der Findungskommission für die Künstlerische Leitung der "documenta 16" sei in den vergangenen Wochen immer mehr unter Druck geraten, heißt es in einer Erklärung.
Nach den ersten zwei Rücktritten von Ranjit Hoskoté und Bracha Lichtenberg Ettinger gab es ja schon in einer Pressemitteilung drei Möglichkeiten: aufstocken, weitermachen oder Neustart. Haben Sie schon damit gerechnet, dass die anderen vier dann auch zurücktreten würden aus der Findungskommission?
Andreas Hoffmann: Ich glaube, dass wir doch ganz klar sagen müssen, dass wir eine Situation haben, in der unter dem Eindruck der Terrorattacken der Hamas am 7. Oktober 2023 und dem zunehmenden Antisemitismus in Deutschland, den wir einfach greifen können, sowie auch den polarisierten Debatten sehen können und sehen konnten, dass der Arbeitsprozess der Findungskommission für die künstlerische Leitung der documenta 16 in den vergangenen Wochen immer stärker unter Druck geraten war. Wie eben schon gesagt, es gab die Rücktritte von Bracha Lichtenberg Ettinger und Ranjit Hoskoté. Und es gab dann eben intensive Gespräche mit den verbliebenen vier Mitgliedern der Findungskommission für die documenta 16 über die möglichen Konsequenzen. Dabei wurden tatsächlich von uns verschiedene Varianten, verschiedene Möglichkeiten erwogen: Zum einen eben die Aussetzung des Findungsprozesses aufgrund der besonderen Weltlage nach dem Terrorangriff der Hamas in Israel. Erwogen wurde auch die Fortsetzung des Prozesses mit den verbliebenen vier Mitgliedern. Erwogen wurde auch eine Aufstockung der Kommission um zwei neue Mitglieder. Und erwogen wurde schließlich auch die komplette Neuauflage des kompletten Findungsprozesses.
Wir haben diese Fragen sehr intensiv mit den verbleibenden vier Mitgliedern der Kommission besprochen. Uns war sehr wichtig, auch in respektvoller Haltung mit ihrer Position dazu umzugehen. Am Ende haben gestern Abend alle vier Mitglieder der Kommission ihren Rücktritt aus der Kommission erklärt. Wir werden jetzt in der Folge dem Aufsichtsrat vorschlagen den Findungsprozess für die documenta 16 völlig neu aufzusetzen. Nun werden Sie fragen, zu welchem Zeitpunkt das sein wird: Da werden wir den Vorschlag unterbreiten, dass wir zunächst einmal die Organisationsuntersuchung, die im Moment ja sozusagen noch läuft und fast abgeschlossen ist, auch vollständig abschließen.
Ich werde auch nicht nur fragen, zu welchem Zeitpunkt, sondern unter welchen Vorzeichen. Haben Sie als Geschäftsführer und die übrigen Gremien, die zuständig sind, schon einen inneren Kompass, wie das funktionieren könnte?
Hoffmann: Ich glaube, dass im Moment Folgendes Priorität hat: Es geht, glaube ich, ganz wesentlich darum, das durch die antisemitischen Vorfälle auf der documenta 15 verloren gegangene Vertrauen wieder aufzubauen, und es geht darum, die documenta gut in die Zukunft zu führen. Wir sind gewissermaßen in einer Situation des Neustarts. Bei dieser Frage, wie es weiter geht, muss es, glaube ich, tatsächlich erst einmal darum gehen, einen guten Rahmen für eine nächste documenta-Ausstellung zu schaffen. Dabei geht es jetzt weniger darum, schon jetzt konkrete Zeiträume zu benennen, sondern erst einmal muss sozusagen die Voraussetzung dafür geschaffen werden - für eine neue künstlerische Leitung, die in einem neuen Findungsprozess zu bestimmen ist.
Hito Steyerl, Kulturwissenschaftlerin Künstlerin, die ihr Werk von der documenta 15 aus Protest zurückgezogen hat, hat den Freundinnen und Freunden von Deutschlandfunk Kultur Folgendes gesagt: "Dass die Paradigmen der Gegenwartskunst, die seit etwa 20 Jahren bestand hatten, dass die jetzt sozusagen in eine Sackgasse geraten sind und immer wieder neue Konflikte reproduzieren. Das heißt, dass wir uns jetzt alle erst mal ganz ruhig überlegen sollten, was bedeutet Kunst heute? Wie kann sie überhaupt noch mit den Konflikten der Welt umgehen?" Andreas Hoffmann, wie schätzen Sie das ein? Würden Sie zustimmen, würden Sie widersprechen?
Hoffmann: Ich sagte ja eben schon, dass die aktuellen Terrorattacken der Hamas und der zunehmende Antisemitismus aber eben auch die polarisierten Debatten darum ganz wesentlich dazu beigetragen haben, dass der Arbeitsprozess der Findungskommission so stark unter Druck geraten ist. Und dann haben wir es natürlich mit einer besonderen Situation in der Gegenwart zu tun, in der zu fragen ist: Wie geht eine große, vielleicht die weltweit bedeutendste Kunstausstellung, mit diesen existentiellen Konflikten Krisen und Kriegen am Ende um?
Wie haben Sie denn die Vorwürfe, die ja von der Süddeutschen Zeitung aufgemacht wurden, gegen Ranjit Hoskoté aufgefasst, der sich danach ja auch distanziert hat, dass er eine Erklärung des BDS unterschrieb, das aber inhaltlich Recht gut begründen konnte? Was hat das in Ihnen ausgelöst?
Hoffmann: Was die konkrete Unterzeichnung dieses Statements aus dem Jahr 2019 von Ranjit Hoskoté angeht, so muss man zunächst einmal sagen, dass beim Blick in dieses Statement natürlich auch deutlich wird, dass hier klar antisemitische Formulierungen, Positionen, Passagen in einer eklatanten Weise vorliegen. Von daher ist natürlich die Unterzeichnung eines solchen Statements durch ein Mitglied der Findungskommission der D16 erst einmal für uns inakzeptabel. Ranjit Hoskoté hat sich im Nachgang dann klar vom Antisemitismus und von jeder Nähe zur BDS-Bewegung und ihren Zielen distanziert. Er hat zudem auch die schrecklichen Ereignisse des 7. Oktober verurteilt. Wir hatten ihn in der Folge dann darum gebeten, auf der Grundlage dieser Distanzierung eben auch eine Distanzierung von seiner Unterzeichnung des Statements aus dem Jahre 2019 vorzunehmen und sich von den antisemitischen Formulierungen klar zu distanzieren. Wir waren im Gespräch, als Ranjit Hoskoté entschieden hat, dann seinen Rücktritt von der Findungskommission zu erklären.
Thomas E . Schmidt, Kulturkorrespondent der Zeitung "Die Zeit", schreibt gestern - da konnte er noch nicht vom kompletten Rücktritt des Gremiums wissen - in "Die Zeit": Keiner wolle auf der documenta judenfeindliche Abbildungen sehen, aber ein strikt an der deutschen Staatsräson ausgerichtetes Kulturereignis wäre kein kulturelles Ereignis mehr. Hat er recht?
Hoffmann: Grundsätzlich gelten zwei Dinge: Es geht natürlich darum, wirksame Maßnahmen, konkreten Schutz gegen Antisemitismus, Rassismus und jede Form von Diskriminierung umzusetzen. Was bei der documenta 15 passiert ist, das darf sich so nicht wiederholen. Auf der anderen Seite gilt aber auch - und das muss auch sehr klar sein -, dass die Auswahl der Künstlerinnen und Künstler und der Werke allein in der originären Verantwortung der Künstlerischen Leitung liegt. Das gilt auch für künftige Ausstellungen. Das bedeutet, dass nur das eine wesentliche Garantie für die künstlerische Freiheit ist. Es ist grundgesetzlich, wie wir einfach spätestens seit dem Gutachten von Christoph Möllers noch einmal vorgeführt bekommen haben, natürlich auch kategorisch ausgeschlossen, künstlerische Programme einer vorherigen staatlichen Kontrolle zu unterwerfen, denn das wäre Zensur. Die Kunstfreiheit in der Ausstellung, in der Auswahl der Künstlerinnen und Künstler, muss sozusagen auch gewährleistet sein.
Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.