documenta: Komplette Findungskommission zurückgetreten
Rund dreieinhalb Jahre vor Beginn der nächsten Ausstellung steckt die Kunstschau in einer tiefen Krise. Nun steht sie ohne Findungskommission für die Künstlerische Leitung da.
Die Findungskommission für die "documenta 16" im Jahr 2027 ist komplett zurückgetreten. Die verbliebenen Kommissionsmitglieder Simon Njami, Gong Yan, Kathrin Rhomberg und María Inés Rodríguez hätten sich "in einer äußerst schwierigen Entscheidungsfindung dazu entschlossen, ihrerseits an dem Findungsprozess nicht mehr teilhaben zu wollen", teilte die documenta auf ihrer Webseite mit.
Zuvor traten bereits Mitglieder der Findungskommission zurück
In den vergangenen Tagen hatten sich bereits zwei Mitglieder der Findungskommission, Bracha Lichtenberg Ettinger und Ranjit Hoskoté, unter anderem wegen Antisemitismusvorwürfen gegen Hoskoté aus der Kommission für die Kasseler Weltkunst-Ausstellung zurückgezogen. "Unter dem Eindruck der Terrorattacken der Hamas am 7. Oktober 2023 und dem zunehmenden Antisemitismus in Deutschland sowie den polarisierten Debatten darum, ist der Arbeitsprozess der Findungskommission für die Künstlerische Leitung der 'documenta 16' in den vergangenen Wochen immer mehr unter Druck geraten", heißt es in der Erklärung der vier nun zurückgetretenen Mitglieder.
Nach einem "intensiven Gespräch über mögliche Konsequenzen für den weiteren Findungsprozess" hätten die vier Kommissionsmitglieder sich zum Rückzug entschlossen und diese Entscheidung am Donnerstagabend der Geschäftsführung mitgeteilt. Diese respektiere die Entscheidung und habe sich bei allen Beteiligten bedankt, hieß es weiter. Sie werde dem Aufsichtsrat vorschlagen, "den Findungsprozess für die 'documenta 16' vollständig neu aufzusetzen".
Kurator Ranjit Hoskoté im Fokus
Hoskoté war am vergangenen Sonntag aus der ursprünglich sechsköpfigen Kommission zurückgetreten, die mit der Auswahl der Künstlerischen Leitung der 16. Ausgabe der documenta im Jahr 2027 betraut ist. Er war in den Tagen zuvor aufgrund seiner Unterschrift unter dem "Statement against consulate general of Israel, Mumbai s event on Hindutva and Zionism" vom 26. August 2019 in die Kritik geraten.
In dieser Erklärung wurde Zionismus als "rassistische Ideologie" bezeichnet. Bereits zuvor hatte die israelische Künstlerin, Philosophin und Psychoanalytikerin Bracha Lichtenberg Ettinger ihren Rückzug aus der Findungskommission erklärt und ihre Entscheidung mit der aktuellen Situation im Nahen Osten erklärt.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth fordert "glaubwürdigen Neustart"
"Wir brauchen jetzt einen glaubwürdigen Neustart", forderte Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Der Bund sei bereit, an der Neuaufstellung mitzuarbeiten. Roth sagte, sie begrüße es sehr, "dass sich die documenta GmbH zunächst mit der eigenen, grundsätzlichen Neubestimmung und Strukturreform befasst, bevor die Planung für die Ausgabe 2027 beginnt". Der Bund sei bereit, an einer Neuaufstellung mitzuarbeiten. Die Gesellschafter der documenta - das Land Hessen und die Stadt Kassel - wollen nach eigenen Worten das verloren gegangene Vertrauen wieder aufbauen. Erster Schritt sei, das "Betriebssystem" der documenta neu zu starten, sagt Geschäftsführer Hoffmann. Erst, wenn dieser Prozess der Neuaufstellung abgeschlossen ist, könne man den nächsten Schritt angehen und den Findungsprozess neu beginnen.
Bereits 2022 Antisemitismusvorwürfe gegen documenta
Bereits die "documenta fifteen" im vergangenen Jahr wurde seit der Vorbereitungsphase von Antisemitismusvorwürfen überschattet. Kurz nach Eröffnung der Ausstellung Mitte Juni war das Banner "People's Justice" des indonesischen Künstlerkollektivs "Taring Padi" wegen antisemitischer Motive abgehängt worden.
Weitere israelfeindliche Werke und Filme wurden als antisemitisch kritisiert. Die Generaldirektorin der Kunstschau, Sabine Schormann, wurde abberufen. Jüngst hatte Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) der documenta finanzielle Konsequenzen angedroht.