Die Hochkultur wird zur Erlebniskultur - eine Branche im Wandel
Egal ob Digitalisierung, Fachkräftemangel oder das Erschließen neuer Zielgruppen - es gibt zahlreiche virulente Themen im Kulturbetrieb. Die Einrichtungen im Norden rüsten sich für die Herausforderungen.
Wenn Kulturbetriebe im Norden danach gefragt werden, wie sie sich ihre Zukunft in fünf oder zehn Jahren vorstellen, fällt zunächst auf, dass die Einrichtungen sich sehr unterschiedliche Gedanken mit Blick auf Ihre Zukunft machen. So beschäftigt sich das European Media Art Festival in Osnabrückprimär mit den Bedingungen, unter denen Kulturarbeit im Moment stattfindet. So müsse Kulturarbeit in ökologischer und ökonomischer Hinsicht nachhaltiger werden, stehe gleichzeitig aber unter zunehmendem finanziellen Druck. Das mache es immer schwerer, Mitarbeitende fair zu bezahlen und längerfristige Arbeitsbeziehungen aufzubauen, heißt es auf die Anfrage von NDR Kultur.
Ebenso wirke sich dies auch auf die Möglichkeiten auf, Ökologie systematisch in der Kulturarbeit zu verankern. Die Einrichtungen zu verkleinern oder Personal zu kürzen, könne nicht die alleinige Lösung sein. Diesbezüglich wünscht sich das European Media Art Festival neue Strategien, die für Kulturinstitutionen mit unterschiedlicher Größe und Anforderungen gut umsetzbar sind. Schließlich seien Kunst und Kultur grundlegend für die Freiheit und Vielfalt der Gesellschaft.
Europäisches Hansemuseum: Mitarbeiter müssen diverser werden
Das Europäische Hansemuseum (EHM) in Lübeck sieht vielfältige Herausforderungen mit Blick auf die Zukunft des Hauses. Dazu gehören Themen wie Transformation, Digitalisierung von Sammlungsbeständen, Künstliche Intelligenz oder der Umgang mit Krisen wie dem zunehmenden Rechtsextremismus. Auch Partizipation und Zugänglichkeit spielen für das EHM eine Rolle. Den Schlüssel, um diesen großen Herausforderungen zu begegnen, sieht das Haus vor allem in der eigenen Mitarbeitendenschaft. Diese müsse über kurz oder lang diverser werden, um auch weiterhin gesellschaftsrelevante Themen abbilden zu können und ein wichtiger Ort des Diskurses zu bleiben. Nur so könne die Einrichtung in Zukunft noch eine wichtige Rolle als identitätsstiftender Ort spielen.
Partizipation als wichtiger Baustein
Ein weiterer Baustein sei darüber hinaus die Partizipation. Hier setzt das Hansemuseum beispielsweise mit freiem Eintritt für junge Menschen unter 18 Jahren an. Weitere Konzepte, um auch anderen Gruppen freien Zugang zum Haus zu ermöglichen, seien in Planung. Letztlich handele es sich dabei aber um langwierige Prozesse, bei denen es keine schnelle Lösung geben könne.
Horst-Janssen-Museum: Neue Aufgaben für Museen
Auch Museumsdirektorin Jutta Moster-Hoos beobachtet viele Themen, die das Horst-Janssen-Museum in Oldenburg gerade in Atem halten. Dazu gehören Diskurse wie Deutungshoheit, unterrepräsentierte Gruppen oder Provenienzen. "Ein kleines Beispiel: Wenn ich gleichzeitig gendern und leichte Sprache verwenden soll, kommt es zwangsläufig zu Kollisionen." Zudem würden Künstlerinnen und Künstler gerade mit Moralscannern durchleuchtet. Doch auch die Aufgaben an die Häuser hätten sich verändert. Laut Moster-Hoos gehe es verstärkt darum, kulturelles Grundwissen zu vermitteln beispielsweise können Narrative aus der Bibel oder der griechischen Mythologie nicht mehr vorausgesetzt werden. Sie ist überzeugt, dass sich Aufgaben und Anforderungsprofile an Museumsmitarbeitende künftig noch weiter verändern werden, sie freue sich darauf.
Greifswalder Bachwoche: Sorge um Berichterstattung in der Lokalpresse
Die Greifswalder Bachwoche hofft laut Dompastor Tilman Beyrich darauf, dass die Musikfestivals auch in Zukunft noch so viele Menschen ansprechen werden wie bisher. Er ist überzeugt, dass Live-Konzerte und die dazugehörigen Begegnungen auch auf lange Sicht technisch nicht zu ersetzen sind. Sorgen bereite ihm und seinem Team aber die immer geringer werdende Berichterstattung über Kulturveranstaltungen seitens der Lokalzeitungen. "Das führt zu einer Verarmung des lokalen Bewusstseins der Leute."
Volkstheater Rostock: Neue Formate, mehr Partizipation
Volkstheater-Rostock-Intendant Ralph Reichel glaubt, dass sich in den kommenden Jahren bestimmte Trends verstärken werden: "Einer ist eine immer größere Rolle von Partizipation, von Beteiligung, Vermischung von Künstler und Zuschauer." Seiner Beobachtung nach wollen viele Menschen aktiv an Veranstaltungen teilhaben - daher erwartet er eine Veränderung von Formaten, zum Beispiel im Sinne einer Aufhebung von Bühne und Zuschauerraum. Die kleine Bühne im Neubau des Hauses habe man bereits entsprechend konzipiert. Als Stadttheater sei es wichtig, mit den Trends mitzugehen und mit der Stadtgesellschaft und anderen Kunstformen im Austausch zu bleiben, so Reichel. Seiner Meinung nach ist die Relevanz von Theatern weiterhin sehr hoch.
Hochschule für Musik und Theater Rostock: Kultur als Ausgleich
Auch die Hochschule für Musik und Theater in Rostock (HMT) hat sich bereits mit verschiedenen Zukunftsszenarien befasst. Es sei davon auszugehen, dass die gesamte Branche sich ständig weiterentwickeln und von verschiedenen Faktoren beeinflusst werde. So erwartet die HMT, dass in einer Gesellschaft, in der Technik immer mehr an Bedeutung dazu gewinnt, Kunst und Kultur als eine Art Ausgleich einen neuen Stellenwert erlangt. Schließlich könne sie dem Menschen im Gegensatz zur Künstlichen Intelligenz ein sinnerfülltes Leben geben.
Neues Wirkungsfeld für die Kulturbranche
Somit würde sich für die Kulturbranche ihr gesamtes Wirkungsfeld erweitern: Sie müsse nicht nur den klassischen, bildungsbürgerlichen Kulturbereich bedienen, sondern auch neue Formate für eine breitere Zielgruppe entwickeln. Dabei werde der Kultur nach Erwartungen der HMT auch eine stärkere vermittelnde und pädagogische Aufgabe zukommen. Auch mit Blick auf Künstlerinnen und Künstler sieht die HMT große Veränderungen: Für sie werde es in Zukunft wichtiger werden, selbst finanzielle Mittel für Aufführungen zu akquirieren. Sie werden vermehrt auch selbst zu Veranstaltern werden.
Kunsthalle Bremen: Menschen suchen Gemeinschaftserlebnis
Die Kunsthalle Bremen befasst sich ebenfalls auf vielfältige Weise mit dem Blick in die Zukunft. So präge der demografische Wandel schon seit zehn Jahren die Themen des Hauses und schlage sich in einem Programm nieder, das die Vielfalt der Bremer Stadtgesellschaft im Publikum widerspiegeln soll. Zum Beispiel durch interreligiöse Podien, mehrsprachige Events oder barrierefreie Angebote. Besonders sozioökonomisch benachteiligte Kinder habe die Kunsthalle dabei im Fokus.
Gleichzeitig geht das Museum davon aus, dass es als Ort der Begegnung auch in Zukunft gefragt sein wird. Aus Publikumsbefragungen sei bekannt, dass viele Menschen vor allem das Gemeinschaftserlebnis suchten. Darüber hinaus werden laut einer Sprecherin des Hauses die analogen Veranstaltungen besser angenommen als digitale.
Immersive Ausstellungen als Trend
Eine Entwicklung, die das Haus mit Sorge betrachtet, ist die Bedeutung des Originals. Oftmals können Besuchende nicht glauben, dass wirklich echte Gemälde von beispielsweise Vincent van Gogh zu sehen sind, weil viel Werke im Internet so leicht zu finden seien. Das stelle die Kunstmuseen vor große Herausforderungen. Denn die umfassenden Sammlungen der Häuser seien natürlich ein großes Kapital.
In vielen Einrichtungen, die sich selbst als Museen bezeichnen, stehe außerdem der Erlebnischarakter im Vordergrund. Wissen werde dabei durch spektakuläre Präsentation und Interaktion vermittelt. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich in letzter Zeit immersive Ausstellungen, die lediglich digitale Projektionen oder Reproduktionen von Kunstwerken zeigen. Diese Entwicklung beeinflusse auch die Inszenierung von Ausstellungen in der Kunsthalle. Zuletzt habe das Haus beispielsweise Ankäufe von Kunstinstallationen getätigt, die immersiv sind.