Stand: 17.09.2014 15:22 Uhr

Ein blühendes Kind der Wende

von Jette Studier

Aber nicht alle verlassen die DDR fluchtartig. Die Bürgerinitiative bleibt. Für sie steht schnell fest: Die LPG haben nach der Wende keine Zukunft. Hans-Heinrich Jarchow wird 1990 der erste frei gewählte Bürgermeister der Gemeinde. Noch heute schwingt bei diesem Satz eine große Portion Stolz in seiner Stimme. "Wir mussten eine Übergangslösung schaffen, den Leuten eine Alternative bieten", sagt er heute. Jarchow und seine Mitstreiter gründen einen Verein.

Vom Truppenübungsplatz zum Naturschutzgebiet

Mit dem Bauwagen in Wangelin  Foto: Jette Studier
"Wir mussten das ganze Leben neu lernen", sagt Hans-Heinrich Jarchow im Rückblick auf den Aufbruch 1990.

Unter dem Namen "Verein zur Förderung angemessener Lebensverhältnisse" will die Initiative die Arbeitslosigkeit nach dem Umbruch abfedern. Das Motto: "Die Leute sollen kein Laub fegen, sondern müssen sinnvoll beschäftig werden", meint Jarchow. Aus dem Verein wird eine Beschäftigungsgesellschaft. Mithilfe von ABM-Maßnahmen sanieren die Frauen der Gemeinde ein altes Fachwerkaus. Heute sitzt hier die Filzmanufaktur "Ülepüle", die mit ihren Produkten sogar schon einmal einen Scheich belieferte. Den ehemaligen Übungsplatz der Sowjet-Armee lässt der Verein nach dem Abzug der Truppen räumen. Munition wird abtransportiert und ein Naturschutzgebiet für die Fläche beantragt. Auf 1200 Hektar Land blüht hier heute lilafarbene Heide. Auch ein Lehmbauzentrum und der Wangeliner Garten entstehen auf Initiative des Vereins.

"Eine außergewöhnliche Entwicklung"

Gegen den Widerstand vieler LPG-Genossen macht sich der Bürgermeister für ein Gewerbegebiet in der heutigen Gemeinde Ganzlin stark. "Ich konnte mit dem Wort ‚Gewerbegebiet‘ ehrlichgesagt nicht anfangen", gibt Jarchow heute zu. "Wir mussten ja das ganze Leben neu lernen." Sein Vorhaben gelingt trotzdem. Ein Holzgroßhandel aus Schleswig-Holstein macht den Anfang. Mittlerweile sitzen auf dem Gelände des ehemaligen LPG-Trockenwerks unter anderem ein Beschichtungspulver-Hersteller und ein Metallwerk.

Wangeliner Garten

Größter Kräutergarten Mecklenburgs
Nachtkoppelweg
19395 Wangelin
Tel. (038737) 201 42

Öffnungszeiten:

Mai bis Sept.
tägl. 10:00-18:00 Uhr
April u. Okt.
tägl. 10:00-16:00 Uhr

Die Möglichkeiten der Wende genutzt

Heute stehen Jarchow, Hirrich und Schickert bei strahlendem Sonnenschein im Wangeliner Garten. Natürlich sei es wirtschaftlich nicht immer einfach, wirft Hirrich ein: "Das hier zu betreiben ist ein Drahtseilakt." Doch im Rückblick, fasst Annette Schickert zusammen, hätten die Wangeliner die Möglichkeiten der Wende einfach früh erkannt und selbst in die Hand genommen: "Es ist eine außergewöhnliche Entwicklung, die wir hier genommen haben - alle zusammen."

 

Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 17.09.2014 | 19:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

DDR

NDR Logo
Dieser Artikel wurde ausgedruckt unter der Adresse: https://www.ndr.de/geschichte/Ein-bluehendes-Kind-der-Wende,wangelin108.html
Bauwagen der" Geschichts Reporter" vor dunklem Himmel und menschlichen Silhouetten (Montage) © fotolia.com, NDR

Unsere Geschichte: Atlas des Aufbruchs

25 Jahre nach der friedlichen Revolution in der DDR trägt der NDR einen norddeutschen Atlas des Aufbruchs zusammen. Von Güstrow bis Grimmen, von Schwerin bis Stralsund: Schreiben Sie mit! mehr

Mit dem Bauwagen in Wangelin  Foto: Jette Studier

Mit dem Bauwagen durch die Geschichte

Tour durchs Land: Ihre Erinnerungen sammeln die NDR Reporter für den Atlas des Aufbruchs. Mit einem umgebauten Bauwagen waren sie unterwegs. Die Erlebnisse in Bildern. mehr

Mehr Geschichte

Susan Alviola (Mitte) sitzt mit ihren Kindern Alvin und Clarizze auf dem Sofa. © Screenshot

Kirchenasyl gebrochen: Vor 40 Jahren wird Familie Alviola abgeschoben

Am 15. November 1984 dringt die Polizei in eine Hamburger Kirche ein und schiebt Susan Alviola und ihre Kinder ab. Ein Tabubruch - heute vor 40 Jahren. mehr

Norddeutsche Geschichte