Wie eine Ausstellung die Deutschen spaltete
Bilder von Gräueltaten deutscher Soldaten schockieren 1995 die Öffentlichkeit. Sie sind Teil einer Ausstellung zu Verbrechen der Wehrmacht. Es kommt zu heftigen Protesten.
Üble Verunglimpfung ehemaliger deutscher Soldaten oder überfällige Aufarbeitung historischer Tatsachen? Selten hat eine Ausstellung Besucher, Medien und Politiker in Deutschland so polarisiert wie die Wehrmachtsausstellung, die am 5. März 1995 unter dem Titel "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" in Hamburg eröffnet wurde.
"Aufräumen mit der Legende der sauberen Wehrmacht"
Was die Deutschen damals derart spaltet, ist die Kernthese der Ausstellung, die sich auf die Rolle der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg bezieht. Sie sei aktiv beteiligt gewesen an einem "Vernichtungskrieg gegen Juden, Kriegsgefangene und Zivilbevölkerung, dem Millionen zum Opfer fielen". Erklärtes Ziel der Schau sei es, mit der "Legende von der sauberen Wehrmacht" aufzuräumen, so der Ausstellungskatalog.
Dass deutsche Wehrmachtssoldaten Kriegsverbrechen begingen, ist 1995 unter Historikern längst nicht mehr umstritten - in der breiten Öffentlichkeit ist diese Sichtweise aber noch nicht angekommen und kommt einer Provokation gleich.
Die Macht der Bilder
Um ihre These zu belegen, setzen die Ausstellungsmacher unter Leitung des Historikers und Publizisten Hannes Heer vor allem auf die Wirkung von Bildern: Auf großen Stellwänden zeigen sie Fotostrecken und Einzelbilder von Wehrmachtssoldaten bei Gräueltaten, darunter etwa lachende Soldaten vor Gehenkten. Die Bilder sollen bewusst schockieren und empören. Zwar gibt es auch erklärende Texte und historische Dokumente, wie etwa Befehle, Ausschnitte aus Feldpostbriefen und Zitate von Augenzeugen. Doch angesichts der rund 1.400 großenteils erschütternden Fotografien nehmen viele Besucher die einordnenden Texte kaum noch wahr.
"Nestbeschmutzung" oder überfällige Klarstellung?
Obwohl der Katalog darauf hinweist, dass die Ausstellung "kein verspätetes und pauschales Urteil über eine ganze Generation ehemaliger Soldaten fällen" wolle, fühlen sich zahllose ehemalige Wehrmachtsangehörige persönlich diffamiert und pauschal verurteilt: "Dass man das generell der Wehrmacht anlastet, das finde ich sehr beschämend. Wir sind Nestbeschmutzer, wir machen uns selber lächerlich", urteilt etwa ein Hamburger Besucher gegenüber dem NDR. Von einer Generationenlüge, die nun endlich aufgeklärt werde, sprechen dagegen andere.
Heftige Reaktionen überraschen die Ausstellungsmacher
Die Wanderausstellung, die vom Hamburger Institut für Sozialforschung und dessen Gründer und Vorstand, Jan Philipp Reemtsma, verantwortet wird, trifft auf ein gewaltiges gesellschaftliches Echo, insgesamt sehen mehr als 850.000 Menschen in 34 Städten in Deutschland und Österreich die Schau. Unzählige andere bleiben demonstrativ fern oder reagieren empört. Die heftigen Reaktionen treffen die Ausstellungsmacher unvorbereitet.
Politik und Medien reagieren gespalten
Schnell schaukelt sich die Kontroverse zwischen Gegnern und Befürwortern hoch, die Ausstellung wird zum Politikum. In Medien und Landtagen kommt es zu erhitzten Debatten, auch der Bundestag befasst sich mit dem Thema in einer aktuellen Stunde.
Krawalle und ein Anschlag
Die Auseinandersetzung bleibt nicht auf das Verbale beschränkt: In mehreren Städten kommt es zu Aufmärschen von Neonazis und gewaltsamen Ausschreitungen mit linken Gegendemonstranten, darunter auch in Kiel, wo bei Krawallen zehn Menschen verletzt werden. In Saarbrücken wird auf die Ausstellungsräume ein Sprengstoffanschlag verübt. Bis heute ist ungeklärt, ob ihn möglicherweise das rechtsextreme Terrortrio NSU verübte.
Historiker kritisieren falsch zugeordnete Fotografien
In dem lauten Getöse von Empörung und Zustimmung geht zunächst unter, dass auch einige Wissenschaftler die Ausstellung kritisieren. Als einer der ersten bemängelt der deutsch-polnische Historiker Bogdan Musial, dass einige Fotos falsch zugeordnet worden seien und statt Menschen, die von der Wehrmacht getötet wurden, Opfer des sowjetischen Geheimdienstes NKWD zeigten. Die Ausstellungsmacher unter Hannes Heer reagieren rüde: Sie überziehen Musial zunächst mit einer Klage.
Doch auch andere Historiker melden Kritk an und verweisen auf handwerkliche Fehler sowie einen problematischen Umgang mit den Fotos. Für die Gegner der Ausstellung ist das Wasser auf die Mühlen, sie nutzen die Kritik zur pauschalen Abwertung der Schau: Als "raffinierteste Darstellung historischer Irreführung in unserem Lande seit dem Dritten Reich" bezeichnet sie etwa der Fernsehjournalist Rüdiger Proske daraufhin.
Reemtsma zieht Ausstellung zurück
Jan Philipp Reemtsma zieht schließlich Konsequenzen: Er lässt die Ausstellung schließen und von einer Historikerkommission überprüfen. Nach einer einjährigen Prüfung erklärt diese, sie habe "Ungenauigkeiten bei der Verwendung des Materials" und "sachliche Fehler" festgestellt. Allerdings gebe es "keine Fälschungen im Sinne der leitenden Thesen". Damit bestätigen die Wissenschaftler die Grundaussage der Ausstellung von der Beteiligung der Wehrmacht an Kriegsverbrechen. Allerdings kritisiert die Kommission die Art der Präsentation: Sie sei suggestiv und zu pauschal.
Überarbeitete Fassung eröffnet 2001
Das Institut lässt daraufhin die Ausstellung unter neuer Leitung komplett überarbeiten. Am 27. November 2001 eröffnet sie in Berlin erneut unter dem Titel "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges". Obwohl die These die gleiche bleibt, ist der Unterschied zur ersten Ausstellung klar erkennbar: Die Bilder sind weniger dominant, stattdessen sind die erklärenden Texte ausführlicher. Die Herkunft der Bilder ist genau ausgewiesen und dort, wo sie nicht mehr klar nachvollziehbar ist, wird darauf eigens hingewiesen.
Abgesehen von Protesten Rechtsradikaler bleiben die heftigen Reaktionen bei der Neuauflage, die bis 2004 in etlichen Städten gezeigt wird, aus. Kritik gibt es trotzdem: Es handele sich um eine Art "Konsensausstellung", die die Debatte beende, bemängelt etwa der frühere Leiter Hannes Heer. Reemtsma habe die Ausstellung "nicht ausgehalten und eine neue, für die Gegner akzeptable präsentiert".
Eine historische Ausstellung schreibt selbst Geschichte
Längst ist die Wehrmachtsausstellung selbst ein Stück Zeitgeschichte. Trotz aller Kritik schreiben Historiker ihr eine wichtige Rolle in der Aufarbeitung eines dunklen Kapitels der deutschen Geschichte zu, so etwa der Historiker Norbert Frei: "Durch die Ausstellung wurden die Verbrechen der Wehrmacht erstmals in die Mitte der Gesellschaft gerückt. Das ist das große Verdienst dieser Ausstellung." Für andere, darunter Bogdan Musial, der mit seiner Kritik zum Rückzug der Schau beigetragen hatte, verriet die Wehrmachtsausstellung dagegen vor allem viel über das Selbstverständnis der Deutschen. So sagte er 2011: "Die Wehrmachtausstellung und der Konflikt um sie reflektieren die Probleme der Deutschen, die ihnen der Umgang mit der NS-Vergangenheit bis heute bereitet."