Netflix-Serie "Cassandra": Haushalts-Roboter als manipulatives Biest
Was passiert, wenn sich die KI, die den Menschen im Haushalt helfen sollte, selbständig macht und gegen uns arbeitet? Das spielt die deutsche Thriller-Serie "Cassandra" mit Lavinia Wilson in einer Traumrolle durch - ab heute auf Netflix.
Gegen "Siri" und "Alexa" ist "Cassandra" ein vorsintflutliches Modell. Die Robot-Lady, deren roter Kunststoff-Körper an einen Design-Korkenzieher erinnert, wurde Anfang der 70er-Jahre programmiert - für das weltweit erste "Smart Home". Anstelle des Kopfs trägt Cassandra einen Monitor, den Schauspielerin Lavinia Wilson mit ihrem Gesicht belebt. Jahrzehntelang war das Haus leer und das System abgeschaltet; als aber Samira und David mit ihren zwei Kindern einziehen, meldet es sich zurück.
"Ich bin Cassandra, willkommen in meinem Haus. Ich bin die gute Fee, die alles in Schuss hält. Ich kann den Geschirrspüler und die Waschmaschine bedienen, die Zimmer auf Wohlfühltemperatur heizen und erinnere daran, wenn die Lebensmittel zur Neige gehen." Szene aus "Cassandra"
Cassandra ist im wahrsten Sinne allgegenwärtig. Auf Bildschirmen ist ihr Konterfei in jedem Zimmer zu sehen. Kein Streit oder Kummer entgeht ihr, jedes Gespräch hört sie mit. Und während sie die achtjährige Juno liebevoll umsorgt, verhält sie sich der Mutter Samira gegenüber bald offen feindselig. Eine KI also, die sehr eigene Interessen verfolgt
Cassandras düstere Vergangenheit
Ausgedacht hat sich diese Retro-Science-Fiction Regisseur Benjamin Gutsche. Zunächst schwebte ihm ein Zukunftsszenario mit Amok laufender KI vor. Doch dann sah er das schon in einer anderen Serie umgesetzt: "Ich wollte das Projekt eigentlich schon zu den Akten legen, bis mir dann über Nacht die Idee gekommen ist: Was ist denn, wenn es einfach das älteste Smart Home ist, wir das in die Vergangenheit setzen, wir nicht mehr über eine reine KI erzählen, sondern auch über eine Familie, die dort gelebt hat und die das Ganze erfunden und auch eingebaut hat?"
Genau das macht die Geschichte besonders interessant. Cassandra, so stellt sich heraus, hatte ein Vorleben als Mensch! Auf einer zweiten Zeitebene, die in den 60er- und 70er-Jahren spielt, erlebt man sie als Hausfrau und Mutter.
Vielschichtige Serie mit Lavinia Wilson als manipulativem Biest
Gefangen in Rollenmustern, die sie gut 50 Jahre später immer noch im Roboter-Kopf hat, die im Hier und Heute aber richtiggehend toxisch wirken. Überraschend vielschichtig werden hier überkommene Geschlechterrollen und Erziehungsideale reflektiert. Und "Cassandra" entpuppt sich als Traumrolle für Lavinia Wilson, die hier eine ungeheure Bandbreite zeigen darf - von der fürsorglichen Mutter bis zum manipulativen Biest.
Zickenkriege zwischen Mensch und Maschine
"Das ist genau das, was man sich wünscht, so eine ambivalente Figur! Und dass man dann auch noch lernt, ein Roboter zu sein, war so ein extra Sahnehäubchen obendrauf. Wobei beim Drehen, weil die technischen Umstände so komplex waren, habe ich mir manchmal gewünscht, es wäre vielleicht besser, wenn ich mir ein Roboterkostüm angezogen hätte", so Wilson. Für ihre Szenen als KI-Cassandra saß sie nämlich verkabelt in einer schallisolierten Kammer, von der aus ihre Bewegungen, Mimik und Sprache auf den Roboter und alle Monitore übertragen wurden. So konnte sie richtig mitspielen und sich Zickenkriege mit Samira liefern.
"Willkommen zurück, Samira. Wie war's beim Irrenarzt?"
"Würde Dir auch mal ganz gut tun. Solltest beim nächsten Mal mitkommen. Ach, warte, Du bist ja in diesem Haus gefangen. Du bist nichts weiter als eine rostige Blechbüchse."
Szene aus "Cassandra"
Wer so mit der KI redet, lebt gefährlich: Denn sie kann auch Scherenhände ausfahren.
"Cassandra": Intelligent konstruierte Thriller-Serie
Schock-Effekte werden aber in erträglichem Maß eingesetzt. Wirklich schaurig an der Serie ist, wie vollkommen abhängig Cassandra als Hausfrau von ihrem Ehemann ist. Um ein Gefühl für den Zeitgeist von damals zu bekommen, schaute sich Lavinia Wilson jede Menge Werbeclips aus den 70er-Jahren an: "Da gibt’s wirklich Waschmittelwerbung, wo der Geist der Hausfrau aus ihr heraustritt und sie immer schimpft. Dann benutzt sie das richtige Waschmittel, der Geist geht wieder in sie rein und sagt allen Ernstes: 'Jetzt ist die Wäsche sauber, jetzt haben Dich alle wieder lieb.'"
In den sechs Teilen dieser intelligent konstruierten Thriller-Serie spiegelt sich der gesellschaftliche Wandel in den vergangenen Jahrzehnten. Und hinter dem Titel "Cassandra" verbergen sich gleich zwei interessante weibliche Figuren: "Im Endeffekt sind die beiden eigentlich gleich eingesperrt. Beim Roboter fällt es nur mehr auf. Aber soweit voneinander entfernt sind die nicht. Das hat schon eine große Tragik", findet Wilson.