İlker Çatak: "Filmemachen ist eine Brücke in unbekannte Welten"
Am 10. März läuft die Oscar-Gala in Hollywood. İlker Çataks in Hamburg gedrehtes Drama "Das Lehrerzimmer" ist als bester internationaler Film nominiert. Der Regisseur bereitet seinen nächsten Film vor, diente nun bei der Berlinale als Juror - und hatte kurz Zeit für ein Gespräch.
Vor wenigen Wochen ist İlker Çatak 40 Jahre alt geworden - und steht auf dem vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere. Zahlreiche Filmpreise hat der Berliner Autor, Regisseur und Absolvent der Hamburg Media School ("Es war einmal Indianerland", "Es gilt das gesprochene Wort", "Borowski"-Tatort mit Lars Eidinger) mit Kurz- und Spielfilmen gewonnen. Dazu zählen der Studenten-Oscar (2015 mit "Sadakat"), der Deutsche Filmpreis mit "Das Lehrerzimmer", der fast komplett in Hamburg gedreht ist - und seit Kurzem eine Oscar-Nominierung als bester internationaler Film. İlker Çatak hat kurz vor der Preisverleihung der Berlinale Zeit gefunden, mit NDR Kultur über die Oscar-Kampagne, seine Vorbilder Wim Wenders und Martin Scorsese, sein nächstes Projekt in Hamburg und seine große Liebe zum Film zu sprechen.
Wir haben uns letztes Jahr hier bei der Berlinale getroffen, kurz vor der Weltpremiere von "Das Lehrerzimmer" in der Sektion Panorama. Ein Jahr später haben Sie eine Nominierung der Oscar-Academy als bester internationaler Film erhalten. Was hat sich alles in diesem Jahr verändert?
İlker Çatak: Ich habe auf jeden Fall weniger Zeit. Zum Beispiel weniger Zeit, mich auf meinen nächsten Film zu konzentrieren, weil wir durch diese Oscar-Kampagne weiterhin auf Trab gehalten werden. Das wissen die Leute vielleicht nicht: So eine Oscar-Nominierung ist mit sehr viel Zeitaufwand, viel Reisen, Handshaking und Socialising verbunden. Ich war vielleicht seit Ende August nur drei Wochen zu Hause. Seitdem bin ich nur in Hotels in irgendwelchen Städten in Amerika und habe Leute bearbeitet und mich von meiner Schokoladenseite gezeigt. Viele denken "der ist gerade mit einer schönen Oscar-Nominierung bedacht worden". Aber es steckt sehr viel Energie und Aufwand dahinter.
Sie sind nun als Mitglied der Kurzfilmjury bei der Berlinale und haben in der Reihe Berlinale-Talents mit dem Filmnachwuchs gesprochen. US-Autor, Regisseur und Produzent Martin Scorsese hat diese Woche den Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk erhalten. Sie waren bereits mit Hauptdarstellerin Leonie Benesch beim Governor's Ball, wo auch Scorsese mit "Killers of the Flower Moon" zu Gast war, der Film ist für zehn Oscars nominiert. Wie eng sind da die Begegnungen mit diesen Größen Hollywoods wie Christopher Nolan, Greta Gerwig und Scorsese?
Çatak: Ich habe mit Martin Scorsese nicht eins zu eins gesprochen. Ich war auf drei Events, die er auch besucht hat. Wir hatten vor etwa einer Woche das "Klassenfoto" aller Oscar-Nominierten in Los Angeles, wo alle Nominierten als Gruppe fotografiert werden. Das war natürlich toll. Da standen dann so Leute wie Steven Spielberg, Wim Wenders - also all diese Menschen, die mir auch Lehrerinnen und Lehrer waren. Man guckt nach rechts, da steht Greta Gerwig, links steht Billie Eilish - und auch Leute wie Sandra Hüller sind da. Das sind dann so Momente, wo man sich denkt: "Wow, das passiert hier gerade. Und unser kleiner Film, mit dem wir letztes Jahr in Berlin unsere Eröffnung hatten, hat es so weit gebracht!" Da muss ich mich manchmal selbst kneifen! (lacht).
Wie ist der Kontakt untereinander in der Gruppe der Nominierten für den Besten Internationalen Film? Da ist etwa Wim Wenders mit dem japanischen Drama "Perfect Days" dabei.
Çatak: Erst einmal ist es ein großes Privileg und eine Ehre. Das sind so brillante Köpfe. Wim Wenders, Jonathan Glazer, Matteo Garrone, das sind einfach Leute, mit deren Filmen ich groß geworden bin. Als "Paris, Texas" herauskam, in dem Jahr war ich gerade geboren. Als "Der Himmel über Berlin" herauskam, war ich erst drei. Das sind Menschen, die haben mich durch ihr Kino geprägt. Mit diesen Menschen zusammen nominiert zu sein ist für mich schon das Allergrößte.
Ich stand neulich neben Wim Wenders und habe ihm gesagt: "Du hast dein ganzes Leben dem Kino verpflichtet, und es gehört sich einfach nicht, dass dann der Jungspund um die Ecke kommt und dir den Oscar vor der Nase wegschnappt." Das ist einfach Quatsch.
Ich würde es ihm von Herzen wünschen, weil er einfach nicht nur ein großartiger Filmemacher ist, sondern auch ein wirklich feiner Kerl, ein großzügiger Mensch, der für meinen Film Lobby gemacht hat, obwohl er selbst einen Film hat. Eigentlich zwei, weil sein Dokumentarfilm "Anselm" noch im Rennen war, als es um die deutsche Nominierung ging. Das ist ein großzügiger Mann mit einem großen Herzen. Er war schon zweimal nominiert, das ist jetzt mit "Perfect Days" seine dritte Nominierung, glaube ich. Ich würde es mir wirklich wünschen, dass er gewinnt.
Nun haben Sie selbst eine wichtige Aufgabe auf der Berlinale, obwohl Sie kaum Zeit haben, parallel zur Oscarkampagne und zum nächsten Film. Sie sind einer von drei Juroren in der Kurzfilmjury bei Berlinale. Sie haben selbst auch 2015 mit dem Kurzfilm "Sadakat" den Studenten-Oscar gewonnen. Was bedeutet Ihnen diese Arbeit?
Çatak: Man darf in dem ganzen Stress nicht vergessen, dass man auch Filme gucken muss. Das ist unser Sprit, das ist für mich Inspiration. Ich habe eine besondere Verbindung zum Kurzfilm, weil ich fast zehn Jahre nur Kurzfilme gemacht habe und auch gern mal wieder einen machen würde. Als mich Anna Henckel von Donnersmarck von der Kurzfilm-Sektion der Berlinale gefragt hat, ob ich in die Jury will, habe ich sofort Ja gesagt. Für mich war das total klar, denn ich drehe in ein paar Monaten meinen nächsten Film.
Ich habe gestern einen Kurzfilm gesehen, den muss ich direkt meiner Kamerafrau zeigen, weil der mich so inspiriert hat. Diese jungen Filmemacherinnen und Filmemacher haben zum Teil Ideen, wo man sich denkt: "Als ich in dem Alter war, habe ich solche Ideen gehabt". Man fragt sich dann, "bin ich vielleicht in meiner Arbeit irgendwie verkrustet?" Man hinterfragt das eigene Handwerk, indem man sich diesen Filmen aussetzt, was wirklich ein toller Prozess ist.
Sie erwähnten eben Ihren nächsten Film, der zum Teil wieder in Hamburg gedreht wird. Was können Sie darüber erzählen?
Çatak: Wir drehen "Gelbe Briefe" im Mai. Ich freue mich sehr, dass wir das wieder in Hamburg machen dürfen, weil ich unglaublich gerne in Hamburg drehe. Das ist ein kleines filmisches Experiment von einem türkischen Paar, das quasi ins Exil geht. Aber wir tun so, als wenn Istanbul in Hamburg stattfindet und Ankara eben in Berlin. Das Ganze hat aber einen Kniff, mehr kann ich momentan nicht sagen. Denn es ist für mich mal wieder eine Reise ins Unbekannte. Ich mag die Projekte so gestalten, dass sich das Unerwartete entwickeln kann. Das ist wieder so ein Film.
Sie haben erwähnt, dass Wim Wenders sein Leben dem Film gewidmet hat. Er ist zudem als Fotograf tätig und hat Dokumentarfilme über Künstler gedreht. Wie ist das bei Ihnen?
Çatak: Ich möchte Filme machen, solange ich kann. Ich liebe es einfach. Filmemachen bedeutet so viel mehr, als eine Kamera aufzustellen, Menschen zu inszenieren oder Dokumentarfilme zu machen.
Filmemachen heißt auch, etwas übers Leben verstehen zu wollen. Mit jedem Film, jedem Sujet geht man auch in eine Welt rein - in Figuren und Menschen hinein, die mit einem vielleicht nicht unbedingt etwas zu tun haben. Das ist das Schöne am Filmemachen. Es ist für mich auch eine Brücke in unbekannte Welten. Deswegen will ich das nie in meinem Leben missen.
Das Gespräch führte Patricia Batlle, NDR Kultur