Theo Lingen: Präzises Schauspiel mit tänzerischer Grazie
Bekannt ist der Schauspieler Theo Lingen als Filmkomiker. Doch er hatte mehr drauf als die "Paukerfilme" wie "Hurra die Schule brennt". Der gebürtige Hannoveraner bestach durch Begabung und Fleiß. Er starb am 10. November 1978 in Wien.
Scharfer Mittelscheitel im pomadigen Haar, ein weit geschwungener Mund lächelnd bis zu den abstehenden Wackel-Ohren, eine prägnante Nase, die Augen vorstehend rund und dann diese Stimme: näselnd manieriert, getragen von tiefen Seufzern. Der Diener war die Paraderolle für Theo Lingen. Wie oft hat er sie gespielt in den mehr als 40 Jahren, in denen er zu den bekanntesten deutschen Schauspielern gehörte.
Schulaufführung als Auslöser für Schauspielerei
Am Anfang peilte Theo Lingen eine Karriere als großer, ernsthafter Schauspieler an. Geboren wurde er in Hannover, als Franz Theodor Schmitz, am 10. Juni 1903. Seine Eltern waren katholisch, so wurde der junge Theo getauft und ging zur Kommunion. Er besuchte das ehemalige Königliche Goethegymnasium. Durch eine Schulaufführung bekam er Kontakt zum Theater, verließ das Gymnasium ohne Abschluss - zum Entsetzen seines Vaters, eines ehrenwerten Justizrats. Dieser stammte aus Lingen an der Ems. Der Bühnenname des Sohns war auch eine Provokation.
Das Publikum lacht anfangs gegen seinen Willen
Der eifrige Anfänger landete erst einmal in der Provinz. "Da war ich in einem Sommer-Engagement und spielte in einer Operette - genauso wie ich es also in allen Stücken machte. Und da hörte ich auf einmal, wie ein Publikum lachte." Nur anfangs lachte das Publikum ganz gegen Theo Lingens Willen. Wolfgang Jacobsen von der Deutschen Kinemathek, der zusammen mit seinem Kollegen Rolf Aurich die Lingen-Biografie "Theo Lingen. Das Spiel mit der Maske" geschrieben hat, erklärt das so: "Das ist bei Lingen das erste Mal der Effekt gewesen, als er sich bewusst geworden ist, dass er eine komische Wirkung erzielen kann und er ganz unglücklich darüber gewesen ist, dass Schauspielerkollegen ihm damals in Halberstadt, in den 1920er-Jahren gesagt haben: 'Du erzielst diese Wirkung, weil du so ein großer Schlaks bist - eine außergewöhnliche Erscheinung und dann noch mit abstehenden Ohren und mit einem gewissen Näseln in der Stimme'."
Wie der "typische Lingen" geformt wurde
Doch in Halberstadt probierte ein experimentierfreudiges Team auch moderne expressionistische Theaterformen aus, versuchte sich in einem antirealistischen, oft grotesk überzeichneten Spiel. "Lingen ist ein sehr wacher Mensch gewesen und damit auch ein sehr aufmerksamer Schauspieler sich selbst gegenüber. Er hat bemerkt, welche Wirkungen wie zu erzielen sind und er hat aus der Übersteigerung, aus der Lust am Spiel eine gegenläufige Bewegung entwickelt und etwas Minimalistisches herauskristallisiert. So hat er zunehmend einen Typus für sich entwickelt, der etwas zu tun hatte mit seiner Erscheinung, mit der besonderen Art und Weise seines Sprechens, mit seiner mimischen Begabung. Und er hat daraus einen Charakter für sich geformt." Nämlich den typischen Lingen, scheinbar geziert und doch präzise auf den Punkt, marionettenhaft mechanisch und doch geschmeidig, minimalistisch beherrscht, aber mit oft weit ausholender, tänzerischer Grazie.
Komik wird zum Markenzeichen Theo Lingens
Eine Komik, die zum Markenzeichen wurde und die er auch im klassischen Theater einsetzte. Kein Wunder, dass Theo Lingen nach der üblichen "Ochsentour" durch die Provinz 1929 in der Hochburg des Deutschen Theaters landete, in Berlin. Er spielte weiter in Varieté und Kleinkunstbühne, lernte tanzen, Seiltanz, jonglieren, singen, steppen.
Er spielte am Deutschen Theater mit Gustaf Gründgens ebenso, wie bei Bert Brecht in der "Dreigroschenoper". Das Pikante dabei: Brechts erste Frau, die Sängerin Marianne Zoff, hatte sich zwei Jahre zuvor unter heftigem Krach von ihrem Mann getrennt, um ihre neue große Liebe zu heiraten: Theo Lingen.
Rollen in "M. eine Stadt sucht einen Mörder" und "Dr. Mabuse"
Ende der 1920er-Jahre war Theo Lingen ein anerkannter Bühnenschauspieler. Doch wirklich populär wurde er erst durch den Film, spielte in zwei großen Klassikern mit "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" und "Das Testament des Dr. Mabuse". Aber sein eigentliches Metier wurde die Unterhaltung: "Dolly macht Karriere", "Walzerkrieg" und "Das Lied vom Glück".
Mehr als 50 Filme in nur vier Jahren bis 1933 machten ihn zum Publikumsliebling, auch bei einem mächtigen Bewunderer - Adolf Hitler. Dieser erklärte Lingen zum unverzichtbaren Künstler des Regimes. "Auf diese Weise konnte ich nicht eingezogen werden. Ich wurde auch nicht eingezogen. Ich machte diese komischen Filme, die man für die Soldaten brauchte und hatte das Glück, auf diese Weise überleben zu können", erinnerte sich Lingen später.
Lingen nennt seine Arbeit während der Nazizeit "Blutgeld"
"Natürlich muss man auch festhalten, dass er durch den erzwungenen Exodus jüdischer Kollegen einen Gewinn erzielt hat. Er hat dann eine Rolle übernommen, die zuvor sehr viele andere Schauspieler ausgefüllt haben - auf der Bühne und im Film", so Wolfgang Jacobsen. "Blutgeld" nannte Lingen seine Arbeit in der Nazizeit, aber sein Ruhm gab anderen Schutz. Seine Frau Marianne war Jüdin, ebenso wie ihre Mutter und ihre Tochter aus der Ehe mit Brecht, die spätere Schauspielerin Hanne Hiob. Auf eine stille, beharrliche Art konnte Lingen seine Familie retten und die Schwiegereltern vor der Deportation bewahren, Kollegen helfen und sogar Bert Brechts Erbe vor dem Zugriff der Nazis sichern.
"Er hat also seine Möglichkeiten, die ihm durch seinen Status gegeben waren, offensiv genutzt. Aber er hat es nicht an die große Glocke gehängt und hat sich jene Mittel zu eigen gemacht, die innerhalb einer Diktatur noch zur Verfügung standen", sagt Jacobsen.
Karriere nach 1933
So ging es mit Theo Lingens Karriere auch nach 1933. Lingens Popularität wurde noch befeuert durch Filme mit kongenialen Partnern wie Heinz Rühmann oder Hans Moser. Ihre unterschiedlichen Erscheinungen und künstlerischen Temperamente ließen die eigene Komik noch stärker funkeln.
Und so glitt Theo Lingen 1945 auch ohne Schwierigkeiten in die Nachkriegsära. Rolf Aurich berichtet: "Er ist unmittelbar nach Ende des Krieges Österreicher geworden und hat dort Möglichkeiten gefunden, unter anderem durch einen gewissen Akt von Widerstand in den letzten Kriegstagen, sich einen recht positiven Ruf zu erarbeiten. Von da an war er in der österreichisch-bundesdeutschen Film- und am Rande auch Theaterwelt ein gern gebuchter Gast."
Festanstellung am Wiener Burgtheater
Für die Ehre arbeitete Theo Lingen, festangestellt am Wiener Burgtheater. Auch dort natürlich geeicht auf komische Rollen. Im seichten Kino der 1950er- und 1960er-Jahre aber wurde er fast verschlissen, in Heimatschmonzetten à la "Wenn die Heiderosen blühen" oder als Pauker in "Die Lümmel von der letzten Bank". Geld stinke nicht, sagte er dazu gelassen. Und "wenn ein Schauspieler in einer gewissen Art von Rollen Erfolg hatte, dann wird er doch andauernd in der selben Richtung verbraten."
In dieser Zeit spielte Theo Lingen auch oft Theater und tourte durch verschiedene Städte. Dabei war unter anderem der Schauspieler Ludwig Haas, später bekannt als "Dr. Dressler" aus der "Lindenstraße".
Schauspielerische Kabinettstücke, nie Klamotte
Lingen behielt immer seine schauspielerische Genauigkeit in seiner Arbeit. Nichts, selbst nicht der letzte Klamauk, konnte ihm seine Würde nehmen. Wolfgang Jacobsen erklärt: "Er spricht zwar abschätzig von den Limonaden-Filmen, das ist sozusagen das Einkommen. Geld war ihm sehr wichtig, die Sicherheit der persönlichen Existenz und der Familie. Aber er hat nicht aufgehört, seine Rollen in dem begrenzten Umfang, in dem diese Charakteristik in diesen Filmen überhaupt noch möglich war, seriös zu spielen." Nie machte er Klamotte.
"Die Klamotte ist das Umfeld, aber Lingens Auftritte sind durchaus kleine schauspielerische Kabinettstücke. Diese Filme dürfen auch nicht den Blick darauf verstellen, dass er auch im Fernsehen seine Auftritte hatte und dass es dort anspruchsvolle Produktion gab", so Jacobsen. Er glänzt in seiner Rolle als Einstein in Dürrenmatts "Die Physiker" oder als ewig betrunkener Diener Hans Stücks in Operette "Orpheus in der Unterwelt".
Sein Privatleben war streng geschützt
Aber es gab noch einen anderen Theo Lingen, einen ruhigen, nachdenklichen, belesenen Mann, der sein Privatleben streng vor indiskreten Blicken schützte. Kaum Interviews, erst recht keine Homestorys. Nur mit seiner Tochter, der Schauspielerin Ursula Lingen, trat er auf. Ursula Lingen sagte über ihren Vater: "Ein großer Teil seines Erfolges war natürlich seine unglaubliche Begabung und sein ungeheurer Fleiß, seine Präzision, seine Disziplin. Dafür ist er bekannt gewesen bei allen Kollegen und bei allen, die mit ihm gearbeitet haben. Er hat gearbeitet, wie ein Artist. Es war alles genau getimed."
"Einer, der alles mitnahm, was er kriegen konnte"
Das "Spiel mit der Maske" haben Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen deshalb auch ihre Biografie genannt: "Theo Lingen. Ein Mann mit vielen Gesichtern". Rolf Aurich hebt hervor: "Wir vergessen zu leicht, dass er neben dem Film und dem Theater auch noch als Autor tätig gewesen ist. Er hat auch eine ganz frühe Hörfunkerfahrung. Nebenbei hat er noch Schmalfilme gemacht. All dieses ergibt für mich ein Ensemble an Aktivitäten und Interessen, das einem modernen Menschen gehört - einem, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sozialisiert wurde und alles mitnahm, was er kriegen konnte."
Theo Lingen starb am 10. November 1978 in Wien. In Erinnerung geblieben ist vor allem der Film- und Fernsehstar, ein brillanter Komiker mit einem unverwechselbaren Stil.