Leander Haußmann bei einem Fototermin © picture alliance/dpa | Carsten Koall Foto: Carsten Koall

Leander Haußmann: "Historiker sind ja oft Spielverderber"

Stand: 26.03.2024 14:25 Uhr

In Berlin wird der zweite Teil der Biographie "Walter Ulbricht. Der kommunistische Diktator" des Historikers Ilko-Sascha Kowalczuk vorgestellt. Zur Buchpräsentation kommt auch Regisseur Leander Haußmann.

Im zweiten Teil hat der Historiker sich die Nachkriegsjahre von Ulbricht vorgenommen. Zur Buchvorstellung in Berlin sind bekannte Persönlichkeiten eingeladen. Der Liedermacher Wolf Biermann ist dabei, die frühere Stasi-Unterlagen-Beauftragte Marianne Birthler und der Regisseur Leander Haußmann, der zum Beispiel "Sonnenallee" oder "NVA" gedreht hat.

Leander Haußmann, 2.000 Seiten Biografie, in wie weit haben sie sich schon eingearbeitet?

Leander Haußmann: Also einarbeiten, wie das schon klingt, ich bin Künstler, ich arbeite mich nirgendwo ein. Ich bin ja lange schon mit Ilko Brieffreund, wenn man so will, und wir diskutieren viel. Diese zwei dicken Bände liegen jetzt natürlich bei mir auf dem Tisch. Ich habe auch reingeschaut, vor allem natürlich in die Zeit, in der ich Kind war und noch unter der Ägide von Herrn Ulbricht aufwuchs, bis er dann zu den Weltfestspielen 1973 verstarb. Wir haben uns damals schon immer lustig gemacht und haben nachgespielt, wie Walter Ulbricht am Ende auf dem Sterbebett liegt und sagt: "Die Weltfestspiele müssen weiter gehen." Und dann drückt Honecker ihm das Kissen auf das Gesicht. Aber diese Theorie, die ich auch mal in einer fiktiven Szene aufgeschrieben habe, wurde durch Ilko entkräftet. Historiker sind ja oft Spielverderber. Honecker war damals gar nicht in Berlin. Ich habe mal ein Theaterstück gemacht - in Parchim 1988. Da hing tatsächlich Walter Ulbricht als Bild an der Wand auf der Bühne, aber als Briefmarke. Das hat uns wahnsinnigen Ärger eingebracht.

Ilko-Sascha Kowalczuk ist auch ein Spielverderber, soweit ich das bisher verstehe aus diversen Zusammenfassungen, die ich gelesen habe, wenn es darum geht, sich einfache Bilder und klare Antworten zu schaffen über Walter Ulbricht. Er zeigt ihn ja sehr facettenreich, zum Beispiel nicht nur als Witzfigur.

Haußmann: Das ist richtig und deswegen ist es Ilko wirklich hoch anzurechnen, dass ein solches Werk erscheint, dass er seine Lebenszeit dafür geopfert hat. Das ist mutig. Das ist selbstlos und es ist wichtig auch für die nachkommende Geschichtsschreibung, dass das von jemandem kommt, der das miterlebt hat.

Mich hat vor allem bei der Lektüre diese Ernsthaftigkeit beeindruckt. Das war niemand, der sich die Taschen voll gemacht hätte.

Haußmann: Er musste es nicht. Das war ja der Kleinbürger. Die fühlten sich wohl. Wenn man sich Wandlitz anguckt, wie dort gelebt wurde, dann ist man ja eigentlich enttäuscht von der Nomenklatura, die sich die Taschen voll gemacht hat. Im Ranking kommen die ja alle noch ganz gut weg, wenn man das mit Putin vergleicht oder mit anderen Diktatoren.

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Buchcover zu "Walter Ulbricht. Der Kommunistische Diktator" © C.H. Beck Verlag Foto: C.H. Beck Verlag

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Viel interessanter ist es, den Spuren zu folgen in Ilkos Buch: Wie kann sich aus aus einer guten Sache - aus einem kommunistischen Widerstand gegen die Nazis, dem Aufenthalt im Hotel Lux, wo ja schon Stalin begann, die Sache der Kommunisten und vor allem die Kommunisten selbst zu verraten, indem er sie an die Deutschen ausgeliefert hatte. Wer das Hotel Lux überlebte, der war schon im Grunde ein Stalinist - dann zurückzukehren und im Grunde auch die gleichen Abläufe und Rituale der Nazis zu übernehmen - wobei ich jetzt den Staat nicht mit dem der Nazis vergleichen möchte, um Gottes Willen. Es ist interessant, herauszufinden, wie so etwas passiert, wie das geschehen kann.

Eine gute Podiumdiskussion ist ja auch gutes Improvisationstheater. Nun haben wir da heute eine erlesene Auswahl mit Wolf Biermann, mit Marianne Birthler, mit Ihnen, Leander Haußmann. Welche Rolle werden sie spielen?

Haußmann: Wahrscheinlich, wie immer, die des Narren, die des ein bisschen Unwissenden. Ich freue mich auf jeden Fall auf Wolf, der dieses schöne Lied geschrieben hat, von dem ich hoffe, dass er es spielt: "In Pankow anner Panke", wo er seine alten Kampf- und Weggefährten fragt: Was ist denn mit euch los? Früher waren wir doch so lustig und haben gelacht, als wir noch die DDR hatten und den Widerstand und jetzt guckt ihr alle so finster drein. Warum lacht ihr nicht mehr? Warum seid ihr nicht mehr so fröhlich? Diese Frage stelle ich mir natürlich heute: Was war das da eigentlich, wo wir gelebt haben? Alles, was ich tue, ist, mich dem Thema, von dem ja offensichtlich nicht loskomme, von der komödiantischen Seite zu nähern. Ilko ist, ich glaube, kein Entertainer und auch keiner, der weiß, was eine Punchline ist. Natürlich muss ich aufpassen, dass ich das da oben nicht mit einem Comedy-Programm verwechsele.

Wie begegnet man Ihnen mit der komödiantischen Aufarbeitung des Stoffes im Laufe der Jahre? Wird da jetzt auch manchmal mehr Kritik geäußert? Man kann sich doch nicht über alles lustig machen.

Haußmann: Doch, doch, man kann und man muss sich über alles lustig machen. Dadurch schafft man eine Differenzierung und auch eine Distanz in der Betrachtung. Wenn damals, als ich "Sonnenallee" gemacht haben, die Welt voll gewesen wäre mit DDR-Komödien und Verharmlosungen, dann hätte ich wahrscheinlich die DDR als Drama und als Tragödie erzählt. Aber dieser Slot war schon von anderen, vor allem von westdeutschen Regisseuren, besetzt. Und deswegen habe ich gesagt: Was ist denn, wenn wir mal unser Lebensgefühl in diesem Land beschreiben? Was ist, wenn wir den westdeutsch sozialisierten Bürgern mit ihrem vor sich hergetragenen Desinteresse ein bisschen was davon erzählen? Dass sie nicht immer wieder fragen müssen: "Ach was, die Musik habt ihr auch gehört? Ach, das wusstet ihr auch?" und so weiter. Auf der anderen Seite wissen wir im Osten Sozialisierten schon, was die RAF ist, wir wissen, was für Musik gehört wurde. Wir kennen SO36 - alles das, worauf der Westen so stolz ist. Aber ganz interessant ist ja auch, dass ich zum Beispiel überhaupt erst zum Ossi wurde mit der Zeit. Als die Mauer fiel, war ich überhaupt kein Ossi. Aber ich wurde richtig dazu gezwungen, richtig in diese Ecke gedrängt und ich fühle mich da mittlerweile auch ganz wohl. Das Thema ist nicht abgeschlossen.

Der Ossi eine westdeutsche Erfindung. Darüber haben wir auch die letzten Jahre diskutiert. Leander Haußmann, vielen Dank.

Das Interview führte Mischa Kreiskott.

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NDR Kultur | Der Nachmittag | 26.03.2024 | 16:20 Uhr

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