A Perfect Match: Nikki Iles wird neue Chefdirigentin der NDR Bigband
Nikki Iles wird ab der Saison 2025/2026 die neue Chefdirigentin der NDR Bigband. Die britische Bandleaderin, Pianistin, Komponistin und Arrangeurin schlägt ein neues Kapitel in der langen Zusammenarbeit mit der NDR Bigband auf.
"Ich habe niemals eine englische Frau gesehen", erzählte Nikki Iles dem englischen Magazin "Jazzwise", "die für eine zeitgenössische Big Band schreibt und diese leitet. Und ich denke mir: Eigentlich sollte ich das tun." Gesagt, getan. Sie gründete 2019 in London ihre eigene Formation, nahm ein Jahr später am Kompositionswettbewerb der NDR Bigband teil und wurde für eine Probenwoche eingeladen. Es folgten Aufnahmen für das Radio, erste Konzerte und die Ernennung zur "Composer in Residence". Nun geht Nikki Iles' Plan auch international auf: Ab Juni wird die britische Pianistin und Komponistin die neue Chefdirigentin der NDR Bigband.
Es gibt viele Gründe für diese Wahl. Ihre Art ist sympathisch und klar. Sie ist eine Teamplayerin mit Charme, Humor und einer guten Prise "British Understatement". Vor allem ist Nikki Iles' Können außergewöhnlich. Ihre Kompositionen sind in höchstem Maße kreativ und wurzeln zugleich tief in der Tradition des Jazz. Und so bereitet es der NDR Bigband großen Spaß, mit ihr zu arbeiten und ihre Musik zu spielen.
Vom Royal College of Arts zur Bandleaderin
Nikki Iles wurde am 16. Mai 1963 in Dunstable, Bedfordshire, geboren. Im Elternhaus lief rund um die Uhr Musik. Der Vater, ein halbprofessioneller Schlagzeuger, hörte Oscar Peterson, Nat King Cole und Ella Fitzgerald. Die Mutter spielte Klavier und liebte Mozart, Beethoven und Vaughn Williams. Im Alter von sieben Jahren erhielt Nikki Iles den ersten Unterricht auf Klavier und Klarinette. Bereits als Jugendliche besuchte sie die Royal Academy of Music. Hier wurden wichtige Grundsteine gelegt: Als Pianistin begleitete sie klassischen Gesang, als Klarinettistin saß sie im Orchester und war fasziniert von dessen Klangfarben. Von ihrem Professor lernte sie die gute alte Kunst, Musik mit der Hand zu schreiben, auf Papier. Und so beginnt das Komponieren bei Nikki Iles stets mit dem Anspitzen ihrer 2b-Bleistifte.
Den Jazz entdeckte sie in den Big Bands an der Schule und am College, erlebte das aufregende Gefühl, Musik ganz im Moment zu erschaffen. In den 1990er-Jahren wurde sie Gründungsmitglied des Creative Jazz Orchestra und begegnete einigen großen Komponisten und Arrangeuren, die für sehr unterschiedliche Konzeptionen stehen: Vince Mendoza repräsentiert Präzision und Klarheit der eigenen Ansprüche, Mike Gibbs eine große Farbigkeit und den Mut, die Ansprüche immer wieder über Bord zu werfen. Dieses Spannungsfeld wurde für Nikki Iles wegweisend.
Jazzpianistin und Komponistin mit Leidenschaft
Zunächst machte sie in der britischen Szene als exzellente Jazzpianistin auf sich aufmerksam. Es war eine absolute Männerwelt, erinnert sie sich. Der "Gladiatoren-Jazz" - der ständige Wettkampf - war auch wichtig, sagt sie. Er hat sie stark gemacht. Heute nutzt sie diese Stärke und setzt sich für die Chancen von Frauen im Jazz ein. Auch wenn es, wie sie betont, in der Kunst immer in erster Linie um Qualität, um persönliches Können, gehen muss. Polarisierung ist nicht Nikki Iles Sache. So nennt sie neben weiblichen Vorbildern wie Mary Lou Williams, Shirley Horn und Geri Allen gleichberechtigt die männlichen wie Joe Henderson, Kenny Wheeler und Sir Roland Hanna.
Nebenbei wurde das Weitergeben von Wissen und Erfahrung ein wichtiger Teil ihrer Arbeit, der sie bis heute erfüllt: der Unterricht als Professorin und in Meisterkursen und auch das Schreiben ebenso bezaubernder wie erfolgreicher Lehrbücher für den Nachwuchs ("Piano Tales for Alic", "Piano Tales for Peter Pan"). Ob Kleine oder Große, Amateure oder Profis - sie hat hier nie unterschieden, höchstens im Anspruch der Aufgaben. "Ich mag Menschen", sagt sie. In diesen eine Leidenschaft für Musik zu entfachen und sie dann wachsen zu sehen, sind für sie wertvolle Erlebnisse.
"Das Leben sollte die Musik inspirieren"
Das Komponieren für das große Format war lange Zeit eher Privatsache. Möglicherweise ein Vorteil, denn so konnte eine Handschrift entstehen, die einzigartig ist. Eine Musik, die die NDR Bigband begeistert und die auf ihrem ersten gemeinsamen Album "Face to Face" (2023) zu hören ist. Darauf begegnen sich poetische Eleganz und kraftvolle Grooves. Alles ist transparent und verständlich. Immer lauern dabei überraschende Ecken und Kanten. So bleibt die Musik frisch und das Hören aufregend. Die Einflüsse dafür sind vielfältig. Nikki Iles ist an Kunst ebenso interessiert wie an Literatur oder Politik. Sie genießt die Synergien ihrer vielen Leidenschaften. Das Leben sollte die Musik inspirieren, sagt sie.
Eine ihrer Kompositionen heißt "Red Ellen". Sie ist der britischen Sozialistin Ellen Wilkinson gewidmet, die 1936 für eine gerechtere Politik aus dem Norden Englands zu Fuß nach London marschierte. Solche Persönlichkeiten faszinieren Nikki Iles. Persönlichkeiten, die an sich und andere glauben - und handeln.
Das hat Nikki Iles getan und ist angekommen in der Big Band-Welt. Dabei vereint sie mit ihrer Musik auf ideale Weise die für ein Jazz-Orchester so elementare Perfektion und die kreative Unvollkommenheit, ohne die Kunst nicht wachsen kann. "Ich habe viel darüber gelernt, wie man den Menschen in der Musik genug Raum lässt, um sie selbst zu sein, und wie man sie dazu bringt, die Musik noch besser zu machen, und dass man nicht an dem festhalten sollte, was man geschrieben hat." Genau dies passt so gut zur NDR Bigband, die eine perfekt geölte Jazz-Maschine sein kann - eine allerdings, die sich aus Solisten zusammensetzt, die ihre Freiheit brauchen.
"Wir machen Musik, um Verbindungen herzustellen, Verbindungen zwischen den Mitgliedern der Band, aber auch von uns zum Publikum. In meiner ersten Saison als Chefdirigentin der NDR Bigband möchte ich ein Programm präsentieren, das von diesen intensiven Verbindungen lebt - von neuen, die noch kommen, und von alten, die meinen musikalischen Werdegang geprägt haben." Nikki Iles
Autor: Stefan Gerdes
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