Historiker Kowalczuk über den Personenkult um Walter Ulbricht

Stand: 20.03.2024 16:02 Uhr

Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk wirft im zweiten Band seiner Walter-Ulbricht-Biografie einen umfassenden Blick auf dessen Zeit als "kommunistischer Diktator" und den Versuch der SED, einen Personenkult um ihn aufzubauen.

Buchcover zu "Walter Ulbricht. Der Kommunistische Diktator" © C.H. Beck Verlag Foto: C.H. Beck Verlag
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von Heiko Kreft

Im Sommer vergangenen Jahres legte der Berliner Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk den ersten Band einer umfangreichen Walter-Ulbricht-Biographie vor. Sein Werk wurde begeistert aufgenommen. Es ist die erste Arbeit, die auf umfangreichen Aktenrecherchen beruht und nicht auf dem Wiederholen vermeintlicher Tatsachen. Nun ist Band II erschienen. Für seine Gegner war Ulbricht der Sachse mit dem Spitzbart, der stalinistische Diktator und der Mauerbauer.

Mit Walter Ulbricht kämpft sich's gut, voran die Straße frei.

Die Staatspropaganda der DDR kreierte um den SED- und Staatschef einen Personenkult. Zum Beispiel in einem Film des DDR-Fernsehens vom Juni 1958.

Deutschland ist seine Heimat, er liebt dieses Land. So wie Du und ich es lieben. Der Mann, der berufen wurde, im Auftrage der Partei das zu verkünden, was der Traum unserer Väter war, wirkt und lebt sein ganzes Leben im Dienst der Partei der Arbeiterklasse. Ihm gilt unsere Liebe und Verehrung.

"Liebe und Verehrung" nahmen, aus heutiger Sicht, teilweise bizarre Züge an. Stadien, Ski-Schanzen, Betriebe und sogar Kinderferienlager hießen nach Ulbricht. "Wenn man ins Pionierlager Walter Ulbricht fuhr und sich vielleicht über den Namen oder seine sächselnde Stimme lustig machte, dann konnte das sehr schnell existentiell für diejenigen, die sich lustig gemacht haben, werden. Aber auch für die ganze Familie", sagt der Historiker Kowalczuk.

Kowalczuk: Zweiter Band handelt von der Zeit 1945 bis 1973

Der zweite Band seiner akribisch recherchierten Biographie mit dem Titel "Der kommunistische Diktator" umfasst die Zeit von der Rückkehr aus dem sowjetischen Exil im Frühjahr 1945 bis zu seinem Tod im August 1973. In diese knapp 30 Jahre fallen bedeutende Ereignisse, wie die Gründung von Bundesrepublik und DDR, der Volksaufstand im Juni 1953, der Mauerbau im August 1961 und der Prager Frühling 1968. Differenziert und detailliert erzählt Kowalczuk von inneren Spannungen und Widersprüchen der SED-Führung rund um Ulbricht. Vom Verhältnis und von der Abhängigkeit von Moskau.

Der Autor zeigt, dass die DDR der 1950er-, 1960er- und frühen 1970er-Jahre ständigem Wandel unterlag. Diese, auch widersprüchlichen Phasen, sind eng mit Ulbricht verbunden, sagt Kowalczuk: "Er inszeniert sich auch jeweils unterschiedlich. Der ist in den 1950er-Jahren nur der zweite oder dritte Mann im Staate, formell gesehen. Da inszeniert er sich als eine starke, autoritäre Person, der durchgreift, der auch über Leichen geht, im wahrsten Sinne des Wortes." Nach dem Mauerbau gibt der SED-Vorsitzende dann plötzlich den gütigen, allwissenden Landesvater.

Walter Ulbricht: Experte für alles

Die Propaganda stilisiert ihn zum Mann, der alles kann, der alles weiß, der für alles und jeden wertvolle Tipps parat hat. Selbst für Fernsehshows entpuppt sich Ulbricht als angeblich bester Experte. "Ich muss zu meiner Schande gestehen, er wusste besser Bescheid als ich, der ich mitten bei diesen Sendungen dabei gewesen war", biedert sich 1963 der bekannte DDR-Showmaster Heinz Quermann an.

Huldigungen wie diese werden von der Staatspropaganda akribisch geplant. Doch sie gelten, so paradox es klingen mag, nicht Ulbricht persönlich. In der kommunistischen Weltsicht ist er nur das Werkzeug der Geschichte. Eine Geschichte, die gesetzmäßig und vorherbestimmt ist, berichtet Kowalczuk. "Wer diese Autorität in Frage stellt, stellt die ganze Ideologie, die ganze Theorie, die ganze historische Vorhersehung in Frage. Und das darf nicht passieren."

Staatsmacht in einer Person

Seit seiner Wahl zum Staatsratsvorsitzenden 1960 vereint Ulbricht alle Macht im Staate in seiner Person. Selbst in der Sowjetunion habe es eine solche Konzentration nicht gegeben, sagt Biograph Kowalczuk. Der Titel "kommunistischer Diktator" sei deshalb historisch angemessen. Am Ende muss sich Ulbricht beugen, als SED-Chef wird er 1971 mit Moskaus Hilfe weggeputscht. Sein Nachfolger Erich Honecker inszeniert die Propaganda als jung und modern, als ein Kontrast zum greisen Vorgänger. An den schon bald fast alle öffentlichen Spuren getilgt werden.

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Walter Ulbricht. Der Kommunistische Diktator

von Ilko-Sascha Kowalczuk
Seitenzahl:
956 Seiten
Genre:
Sachbuch
Verlag:
C. H. Beck
Veröffentlichungsdatum:
14.03.2024
Bestellnummer:
978-3-406-81396-2
Preis:
58,00 Euro €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Kulturjournal | 19.03.2024 | 19:30 Uhr

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Zeitgeschichte