"Blue Skies" am Thalia Theater: Ensemble startet mit Riesenspaß in die Saison
Im kommenden Jahr geht Joachim Lux, der Intendant des Hamburger Thalia Theaters, in den Ruhestand. Nun hat er seine 16. und letzte Spielzeit an der Bühne eröffnet - mit der Uraufführung von "Blue Skies" nach dem Roman von TC Boyle.
Dahin sind die Tage, an denen der Himmel einfach "nur" blau war. Der Klimawandel ist da: Die Bühnensonne brennt entweder erbarmungslos und lässt Feuer wachsen oder der Regen strömt ohne Unterlass. Eindrucksvoll wird das alles projiziert, inklusive Ascheregen. Die einzige noch verbliebene Palme mitten auf der Bühne fällt irgendwann im Sturm. Schön ist die Welt also nicht, die TC Boyle in "Blue Skies" beschreibt, sondern den Umständen entsprechend.
Boyle dekliniert die verschiedenen Formen des Umgangs mit dem Klimawandel am Beispiel einer vierköpfigen Familie durch. Mutter Ottilie ist sehr umweltbewusst und experimentiert seit einiger Zeit in der Küche mit Grillen. "Am Anfang habe ich ganz einfache Sachen gemacht wie Cookies, Brownies, Nudeln, Tortillas, alles aus Grillenmehl", sagt sie im Stück. "Dann habe ich ein ganz tolles Kochbuch entdeckt: 'Cuisine de divers insectes' von Michelle Oron."
Der erwachsene Sohn Cooper ist Insektenforscher und verzichtet schon lange auf Fleisch, die Tochter hingegen, Cat, träumt von einer Karriere als Influencerin und kauft einen Tigerpython, um ihn sich bei ihren Posts malerisch um den Hals legen zu können. Ihr Partner jettet nonstop um die Welt, Motto: Einer muss ja Geld verdienen. Ausgerechnet Cooper wird schließlich von einer Zecke gebissen und lebensgefährlich infiziert. Cat hat, man ahnt es, mit der Schlange auch kein Glück. Es passiert das größtmögliche Unglück. Doch bis dahin erzählen Regisseur Jan Bosse und sein Team die Story ziemlich schrill und wie auf Speed - immer begleitet von Live-Musik. Das Ensemble hat dabei einen Riesenspaß.
Stärken und Schwächen des Abends
Merlin Sandmeyer wurde an diesem Wochenende für sein komödiantisches Talent in Berlin mit dem Deutschen Schauspielpreis ausgezeichnet. Er gibt den Schlangenverkäufer als aasigen Cowboy. Christiane von Poelnitz brilliert als angewiderte Grillenköchin - gleichzeitig ist sie das Herz der Familie, das emotionale Zentrum. Das zeigt sich insbesondere im zweiten Teil des gut dreistündigen Abends, wenn sich nicht nur die Wettersituation immer weiter zuspitzt.
Dazwischen ist Bernd Grawert als ihr Ehemann mit TC-Boyle-Frisur und -Hemd zu erleben. Und mit ihm wird es am Ende dann doch etwas moralisch: Er fällt quasi aus der Rolle und sagt nun wirklich als TC Boyle: "Es geht ja nicht darum, den Untergang zu feiern, sondern mit dem Untergang zu leben und aus den Ruinen etwas Neues, etwas Schönes zu schaffen. Kunst ist dazu da, dass Menschen selber anfangen zu denken und zu fühlen." Das hätte es nicht gebraucht. Denn eine Stärke des Abends ist, dass er nicht den Anspruch erhebt, die Dinge, einmal mehr, erklären zu wollen.
Klamaukige Effekte und Figuren wie Schablonen
Es ist vielmehr erschütternd, wie lässig Boyle die Gesellschaft vorführt. Schade außerdem, dass Jan Bosse in der ersten, deutlich längeren Hälfte vor allem auf klamaukige Effekte setzt und die Figuren teilweise fast wie Schablonen wirken. Doch das ausgezeichnete Ensemble schafft auch hier Momente, in denen das Lachen im Halse stecken bleibt.