16 Jahre Thalia-Intendant: Joachim Lux über sein Vermächtnis
Von Morddrohungen bis Frauenquote: Wenn Joachim Lux nächstes Jahr das Thalia Theater in Hamburg verlässt, war er 16 Jahre lang Intendant. Mit Katja Weise blickt er in NDR Kultur à la carte zurück - und auf den besonderen Wert der künstlerischen Arbeit.
Er stand 16 Jahre an der Spitze des Hauses - so lange wie kein anderer nach dem Zweiten Weltkrieg. Seine letzte Spielzeit soll eine Art Werkschau werden, dann kommt Intendantin Sonja Anders nach Hamburg. Doch zunächst holt Joachim Lux seine alten Wegbegleiter zurück ans Thalia Theater.
Herr Lux, als wir uns vor 15 Jahren das erste Mal gesprochen haben, standen in Ihrem Büro noch jede Menge unausgepackte Kisten. Nun beginnt am Sonntag Ihre letzte Saison mit der Uraufführung von "Blue Skies" - nach dem Roman von T. C. Boyle, inszeniert von Jan Bosse. Er hat zu Beginn Ihrer Intendanz am Thalia Theater "Peer Gynt" inszeniert, mit Jens Harzer in der Titelrolle. Ihre letzte Saison wird geprägt sein von Begegnungen und vor allem Wiederbegegnungen mit den Weggefährten dieser Jahre. Was hat Sie dazu bewogen?
Joachim Lux: Ich mag runde Sachen. Ich mag es, wenn Anfang und Ende irgendwie miteinander zu tun haben. Ganz grundsätzlich im Leben, nicht nur im Theater, glaube ich daran, dass mehr Chancen darin ruhen, wenn Menschen sich gemeinsam entwickeln, als wenn sie ständig sagen: "Tschüss, ich versuche mal was Neues." Weitermachen statt aufgeben.
Ihre Weggefährten der letzten Jahre, die Sie nun für Ihre letzte Spielzeit zurückholen, sind vor allem Männer. Das Netzwerk "ProQuote Bühne" hat deshalb kurz nach der Vorstellung des Spielplans im Frühjahr zum Boykott des Thalia Theaters aufgerufen, insbesondere der Premieren. Der Verein setzt sich seit 2017 für Geschlechtergerechtigkeit ein und moniert, dass eben zu wenig Frauen präsent seien. Sie haben sich auf Einladung von Nachtkritik mit Kerstin Steeb vom Netzwerk ProQuote zum Gespräch getroffen. Können Sie den Impuls verstehen?
Lux: Ja und Nein. Es ist richtig, dass der neue Spielplan unter Quotengesichtspunkten ein extremes Übergewicht an Männern aufweist. ProQuote gibt es erst seit ein paar Jahren. Meine Historie am Thalia kann ich aber nicht nachträglich umschreiben. Diese 16 Jahre waren nun mal - was die Regie angeht - in einem größeren Maße von Männern als von Frauen geprägt. Das sind zum Teil einfach Zufälle gewesen. Da kommen Regisseurinnen nicht wieder, weil sie ein Kind erwarten, oder ein anderer Fall: Die wichtigste Regisseurin am Haus, Jette Steckel, musste in der vergangenen Spielzeit aus privaten Gründen eine Inszenierung absagen. Soll ich das in die Zeitung schreiben? Ich denke, das alles geht niemanden etwas an. Aber grundsätzlich finde ich, dass das Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern im Regiebereich deutlicher hergestellt werden müsste. Und das treibt mich schon lange um. Als ich ans Thalia Theater kam, habe ich mir die Gagen der Schauspielerinnen und der Schauspieler angeguckt: Da gab es ein krasses Missverhältnis. Ich habe also die Männer gefragt, ob sie bereit wären, auf Gage zu verzichten, damit die Frauen gleich viel verdienen. Da haben sie gesagt: "Nö!" Also habe ich die Anpassungen heimlich, still und leise gemacht und habe dort dafür gesorgt, dass die Gehälter bei den Schauspielerinnen und Schauspielern geschlechtsbezogen gleich sind. Aber das schreibe ich nicht in die Zeitung, sondern mache es halt einfach.
Das Netzwerk ProQuote gibt es seit 2017. Sie haben 2009 am Thalia angefangen und Jette Steckel hat seit der ersten Spielzeit bei Ihnen inszeniert, hat Sie nun 15, bald 16 Jahre begleitet - als einzige Frau über den gesamten Zeitraum. Würden Sie nicht sagen, Sie hätten sich doch noch ein bisschen mehr bemühen können in Sachen Geschlechtergleichheit?
Lux: Natürlich! Man kann sich immer mehr bemühen. Wenn ich Sie frage: "Hätten sie sich nicht mal ein bisschen mehr bemühen können, im NDR geschlechtergerechte Sendungen zu machen?", würden Sie auch sagen: "Ja, hätten wir." Aber von heute ausgehend zu sagen, dass alles Käse war?! Das muss man jedem zugestehen: Es sind Entwicklungen, die man macht. Es ist auch noch nicht so lange her, dass es heißt, Aufsichtsräte sollen bitte möglichst paritätisch besetzt werden und Führungspositionen und so weiter - auch im öffentlichen-rechtlichen Rundfunk nicht nur männliche Intendanten. Es war eben immer so, das lässt sich nicht rechtfertigen. Aber langsam - und mittlerweile etwas schneller - ändert sich das Gott sei Dank!
Trotzdem hätten Sie zum Beispiel Ihre letzte Spielzeit, in der Sie nicht mehr viel zu verlieren haben, auch nutzen können, um noch mal ein paar Frauen ans Thalia zu holen und ihnen die Bühne zu geben.
Lux: Ja, das hätte ich auch machen können, habe ich aber nicht. Es geht nicht darum, dass der eine groß ist und der andere klein, der dritte so und der vierte so. Überhaupt: Was ist mit den queeren oder mit den migrantischen Positionen? Das können Sie gesamtgesellschaftlich durchdeklinieren, überall mit einer speziellen Berechtigung. Ich habe auf dieser Ebene relativ viel getan. Aber auch das gehört nicht in die Öffentlichkeit. Denn am Ende geht es einzig um die künstlerische Arbeit.
Und die ist von Erfolg gekrönt: Das Thalia Theater hat ein großartiges Ensemble, das seinesgleichen sucht im deutschsprachigen Raum und verschiedene Einladungen zu Theatertreffen bekommen hat. Sie werden in dieser Spielzeit den 4-millionsten Besucher oder Besucherin empfangen, das Publikum kommt also auch. Auf der anderen Seite waren diese Jahre neben den nationalen und internationalen Krisen auch künstlerisch nicht immer ganz konfliktfrei, im Ensemble hat es mal gekracht wegen ungünstiger Arbeitsbedingungen. Gibt es irgendetwas, das Sie rückblickend doch lieber anders gemacht hätten?
Lux: Ich bin nach wie vor zufrieden, genau diese Art der Ensemblepolitik gemacht zu haben, die relativ unique ist. Auch die Treue gegenüber den Künstlerinnen und Künstlern finde ich richtig. Aber manchmal erwische ich mich dabei, dass ich denke, ich muss den Raum der Kunst eher schützen als zu diesen ganzen gesellschaftspolitischen Fragen Stellung zu beziehen. Ich bin, das ist bekannt, ein sehr gesellschaftspolitisch engagierter Mensch. Ich habe mich in viele Debatten eingemischt. Doch wenn der gesellschaftspolitische Zugriff auf die Kunst zu stark wird, dann sage ich: "Nein, die Kunst ist ein eigener Raum, ein Sonderraum, ein Raum der Freiheit und des Spiels. Wir stehen nicht zur Verfügung für jede gesellschaftspolitische Anwandlung jedweder Art." In dieser Hinsicht ist also mein Abstandsbedürfnis etwas gewachsen.
Mit Katja Weise sprach Joachim Lux außerdem über die gesellschaftspolitische Rolle der Kunst, Morddrohungen nach einer russisch-ukrainisch-deutschen Inszenierung, Musik zum Träumen und mehr. Die ganze Sendung "NDR Kultur à la Carte"-Sendung können Sie hier nachhören.