Buhrufe an der Staatsoper Hamburg - Störenfriede verderben den Genuss
In der Hamburgischen Staatsoper sitzt bei manchen das Buh ganz schön locker. Auch die jüngste Premiere "Il Trovatore" von Verdi wurde gerade mehrfach von lautem Rufen und Brüllen gestört.
In keinem anderen Theater der Stadt liegen offenbar die Nerven im Publikum bei Premieren so blank wie in der Staatsoper Hamburg. Nicht erst nach der Aufführung, noch währenddessen wird gebuht und gebrüllt. Ein Sänger wird ausgebuht, weil er das hohe C nicht trifft. Die Handlung wird lautstark von Buhrufen kommentiert, weil Gewalt auf der Bühne gezeigt wird. Alle sollen wissen, wie man es findet. Von wegen "gediegenes Opern-Publikum". Unser Kritiker Peter Helling war überrascht von der Härte. "Das war gar nicht gediegen. Das war richtig aggressiv. Der letzte Ton verhallt, der schwarze Vorhang fällt und in der kleinen Pause, bevor der Applaus einsetzt, ruft jemand: 'Grauenvoll!'". Die Pausen der Stille würden ausgenutzt, um das Missfallen auszudrücken. "Es waren einzelne Rufer, aber es breitet sich auch in manchen Gruppen flächendeckend aus." Auch der Kritiker des Deutschlandradios Uwe Friedrich findet: "Das Publikum war sehr merkwürdig drauf in der Hamburger Staatsoper." Das passiert immer wieder bei Opern-Premieren in Hamburg.
Staatsoper Hamburg: Häufiger Eklat bei Opern-Premieren
In keinem anderen Theater weit und breit ist bei Premieren so viel Eklat. Auch beispielsweise bei "Il Trittico" von Puccini wurde die Aufführung gestört. Besonders das Abstrafen der Sänger schmerzt viele. Joachim Mischke, der Opern-Experte des "Hamburger Abendblatts", spricht sich für mehr Menschlichkeit aus und sucht nach Gründen für diese Buhs: "Ein Teil davon ist sicher damit zu begründen, dass man denkt: Ich habe die Karten gekauft und ein gewisses Recht, mich so zu äußern. Aber man sollte immer im Rahmen des Anstands und der Höflichkeit bleiben, denke ich." Die Darstellerinnen und Darsteller seien keine Notenmaschinen, die auf der Bühne stehen, sondern es seien Menschen, die unter Druck stünden. "Wenn die Vorstellung nicht so gut läuft, ist es das eine, aber deswegen an den entscheidenden Stellen loszubrechen mit wütenden Buhs, finde ich unhöflich", sagt Mischke.
Lautstarke Äußerungen bei Vergewaltigungsszene
Auch die Schriftstellerin Regula Venske saß im Premierenpublikum und war irritiert von den maßlosen, lautstarken Äußerungen, auch während der Vergewaltigungsszene auf der Bühne. "Das war schon explizit, aber man hat schon ganz andere Dinge auf Bühne und im Fernsehen gesehen. Es gab auch eine Triggerwarnung im Besetzungszettel. Ich hatte den Eindruck, die Menschen können nicht mehr unterscheiden zwischen der Realität und deren künstlerischer Darstellung, die kritisch intendiert ist." Venske fand die Aufführung eigentlich gelungen und hatte den Eindruck, dass es den meisten im Publikum genauso ging. "Aber ein Störenfried kann den anderen schnell den Genuss verderben."
Kritik liegt immer im Auge des Betrachters
Ob eine Premiere gelungen ist oder nicht: So klar ist es eben nicht. Alle Kritiker haben nach der "Il Trovatore"-Premiere andere Sachen als besser oder schlechter befunden. Im Internet tauschen sich Opern-Fans in Foren aus. Da gibt es durchaus eine laute Opposition gegen die Arbeit der Hamburgischen Staatsoper. Ausgerechnet manche Opern-Fans neigen da offenbar manchmal zum Wutbürgertum. Vielleicht, sagt Mischke, liegt es daran, dass es anders als in den Theatern weniger Opern-Premieren gibt. Ihn erinnert das nämlich vor allem an einen anderen Opern-Ort. "Bayreuth - die Festspiel-Premieren! Unglaubliches Gebrülle, Gebuhe und Aufregung. Da gibt es aber pro Saison nur eine Spielzeitpremiere, die dann alles rausreißen und retten und wunderbar sein soll. So erklärt sich das vielleicht. Nichtsdestotrotz bleibt 'unhöflich und boshaft' geradezu 'unhöflich und boshaft'".