John Neumeiers Geburtstags-Wochenende mit Tanz und Film
Zu seinem 85. Geburtstag hat Hamburgs scheidender Ballettchef John Neumeier sein Ballett "Odyssee" wieder auf die Bühne gebracht und zu einem Film über sein "Leben für den Tanz" eingeladen - und viele Menschen kamen.
Das Hamburger Publikum singt an diesem Abend "Happy Birthday", als sich John Neumeier wie immer kurz vor der Vorstellung auf seinen Platz in der ersten Reihe setzt. Auf der Bühne sind sie schon zu sehen: die Götter, oben im Olymp. Den ganzen Abend werden sie Odysseus' abenteuerliche Irrfahrten nach dem 10-jährigen Krieg gegen Troja von einer Art Galerie aus beobachten - Sekt trinkend in ihren weißen Anzügen; in aller Ruhe scheinbar, trotz der Kriegsszenen, die auch immer wieder auf dem Bildschirm hinter ihnen zu sehen sind.
Unten in einem Bühnenrund: Odysseus. Getrennt von Frau Penelope und Sohn Telemachos besteht er seine Abenteuer. Yannis Kokkos hat ganz wunderbare blaue Kleider mit riesiger Schleppe entworfen. Wir sind mit auf dem Meer. Odysseus trifft auf seiner Irrfahrt Soldatenfreunde und Schlachtfelder. Auch wird er erotisch verführt - wie von der Meeresgöttin Kalypso. Penelope muss sich währenddessen immer wieder gegen übergriffige Männer wehren. Erst am Schluß ist die Familie wieder vereint.
"Odyssee": Knapp 30 Jahre altes Ballett aktueller denn je
Der Krieg gegen Troja ist zu Ende, die "Odyssee" der tragische Nachklapp: Was macht der Krieg mit den Menschen? Gibt es Heilung in den Seelen? Die Reaktion im Publikum ist geteilt: von "sehr verstörend" über "fantastisch umgesetzt" bis "eine Einheit, wie man es sich besser nicht vorstellen kann." Ein Antikriegsstück nennt John Neumeier seine "Odyssee" - keine Frage, das ist es auch und sicher auch immer gewesen, aber heute aktueller denn je.
1995 war es zum ersten Mal in Athen zu sehen. Es war ein Auftragswerk mit eigens komponierter Musik von George Couroupos: Experimentell, treibend, chaotisch und unheimlich. Manchmal unterstreicht die Komposition Verführungen und Schmerz der Reise. Alexandr Trusch tanzt die Hauptrolle mit technischer Brillanz und großem Charisma: Er ist stark, schwach, suchend, ratlos, zerissen - alles zugleich. Charlotte Larzelere als Penelope, Ida Praetorius als Athene, Olivia Betteridge als Kalypso. Sie alle begeistern. Eigentlich wie immer möchte man am liebsten alle Namen der Compagnie nennen, die einmal mehr mit Standing Ovations gefeiert wurde.
ARTE Doku mit persönlichen Einblicken in Neumeiers Leben
Um die großartige, intensive Arbeit mit seinen Tänzern und Tänzerinnen, aber auch um einen außergewöhnlichen Einblick in seine eigene Tanzgeschichte ging es bei der Präsentation der ARTE Doku über John Neumeier. "Es ist etwas seltsam, einen Film über sich vorzustellen" gab der Ballettchef zu. ARTE Autor Andreas Morell hatte John Neumeier für den Film ein Jahr lang nach Paris, auf Tournee, bei Proben in Hamburg und nach Amerika begleitet, auch zu dem kleinen Haus in Neumeiers Geburtsstadt Milwaukee - an Orte, die auch John Neumeier lange nicht mehr gesehen hatte.
Das Publikum zeigte sich ebenfalls sehr emotional: "Also ich fand den Film total bewegend. Man versteht jetzt auch noch mehr seine Stücke und was dahinter steckt, was für eine kreative und den Menschen sehende Arbeit." Glücklich war, wer noch eine kostenlose Karte für die Film Matinee ergattert hatte. Und nach der Doku gab es so langanhaltenden Applaus, dass der Ballettchef sich dann doch nochmal auf der Bühne sehen lassen musste. Man fragt sich: Wie soll das erst werden, wenn er sich im Juli bei seiner allerletzten Nijinsky Gala dann endgültig als Ballettchef in Hamburg verabschiedet?