"Late Night Hamlet" mit Charly Hübner: Ideensammlung ohne überzeugende Form
Charly Hübner hat bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen mit dem Solo-Abend "Late Night Hamlet" Premiere gefeiert. Die Aufführung kommt danach nach Hamburg und wird am Schauspielhaus weiterlaufen.
"Ich bin Hamlet. Also, ich heiße Hamlet. Und ich existiere nicht. Ich bin nur ein Spiegel dessen, was Sie sehen wollen." Es ist schon einige Zeit vergangen, bis diese Sätze fallen. Vorher hat das Publikum lange auf die Bühne vor einem verschlossenen Vorhang geschaut. Da steht links ein "H" aus Leuchtlampen, in der Mitte sind die gemalten Umrisse eines Körpers auf dem Boden zu sehen, rechts ein Schreibtisch mit Skyline im Hintergrund. Es soll ja eine Art Late Night Show werden.
Dann kommt ein Dialog aus den Lautsprechern. Ein weinerlicher, zweifelnder Charly Hübner im Hotelzimmer sagt seinem Regisseur Kieran Joel, dass er nicht spielen will. Immer noch betritt niemand die Bühne. Und ein Herr in der ersten Reihe regt sich auf. Natürlich ist es Hübner, der behauptet, er sei ein Juwelier aus Göttingen und wolle jetzt was sehen für sein Eintrittsgeld. Der Juwelier geht auf die Bühne, tut so, als sei er Hübner und nach all den Drehungen und Wendungen beginnt ein erster Versuch, Hamlet zu verkörpern.
Ich bin eine der intelligentesten, wenn nicht die intelligenteste Theaterfigur der Weltgeschichte. Und da steht auf einmal ein Mann von mir in Ritterrüstung, der aussieht wie mein Vater. Das ist schon in gewisser Weise transzendentale Ironie. Szene aus "Late Night Hamlet" mit Charly Hübner
Dem Hamlet kommt Hübner nicht näher
Der Geist des Vaters tritt auf, er spricht Berliner Akzent und knurrt ins Mikrofon. Hübner zieht widerwillig eine Polizeilederjacke an und untersucht als Kommissar den Tatort. Immer wieder gibt es seltsam pointenlose Spiele und Top-Ten-Rankings, um die Welt der Late Night Shows nicht ganz zu vergessen. Dann endlich kommt Hübner zum Kern des Abends: "Ich, Hamlet, habe keinen Vaterverlust-Schmerz. Ich, Hamlet, habe auch keinen Weltschmerz. Ich habe Systemschmerz."
Hübner will den Hamlet nicht spielen. Er sieht keinen Sinn in so einer Tragödie, während gerade die Welt zerfällt. Außerdem hat er keine Lust, Publikumserwartungen zu erfüllen. Immer wieder nimmt er Anläufe, zieht sich ein altmodisches Kostüm an, spielt den Streit mit Mutter Gertrud, bricht ab. Dazwischen tönen aus den Lautsprechern weitere Dialoge mit dem Regisseur. Dem Hamlet kommt Hübner nicht näher.
"Late Night Hamlet" wirkt unfertig
Der Abend endet in der Verweigerung. Keine Duelle, keine Toten, keine Rache. Hübner geht durch die vernebelte Bühne und verschwindet. "Late Night Hamlet" dauert 75 Minuten. Eine halbe Stunde lang ist der Abend ein interessanter Essay über die Nicht-Spielbarkeit dieser Rolle, intelligent, philosophisch und persönlich. Damit die Aufführung abendfüllend wird, blähen Hübner und Regisseur Kieran Joel sie mit überflüssigem und witzlosem Kram auf. Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, eine Autorin oder einen Autor hinzuziehen - oder wenigstens eine Dramaturgie. So wirkt "Late Night Hamlet" unfertig, wie eine Ideensammlung, der eine überzeugende Form fehlt.