Sidonia von Borcke: Ein skandalöser Gerichtsfall
Die pommersche Adlige Sidonia von Borcke wurde 1620 in Stettin als Hexe hingerichtet. Ein musikalisch-szenischer Abend im Rahmen der diesjährigen Opernale spannt den Bogen zwischen historischen Prozess-Akten und literarischen Interpretationen.
Sidonia ist eine jugendliche Schönheit. Es gibt ein Gemälde, das sie so zeigt. Voller Hoffnung auf eine standesgemäße Heirat. 1548 wurde sie geboren, sie war die reichste Adlige Pommerns. Katja Klemt spielt in dieser musikalischen Lesung diese Frau, die auf ihr Leben zurückblickt. Ihr Gewand lässt ihren Reichtum noch erahnen.
"Mir ist, als ob ich einen Zauberspiegel sähe. Und in ihm zieht mein ganzer Lebenslauf noch einmal an meinem Geist vorüber" Katja Klemt als Sidonia von Borcke
Die Geschichte dieser Frau ist für ihre Zeit außergewöhnlich. Die Familie versagte ihr das väterliche Erbe. Sie prozessierte jahrzehntelang gegen ihren Bruder, schrieb an den Herzog einen Brief nach dem anderen. Ihre Aufsässigkeit blieb nicht folgenlos: 1619 wurde sie verhaftet.
Absurde Anklagepunkte in den Gerichtsakten
Bei dieser Inszenierung in Wolgast spielt Benjamin Saupe den Gerichtsdiener. Er verliest die Anklage, wie sie wortwörtlich in den Gerichtsakten steht: "Weil ihr aber das von den stettinischen Fürsten zugefügte Leid täglich auf dem Herzen lag und die Rachbegier mit den Jahren vermehrte, ließ sie sich vom Teufel dadurch verführen, dass sie die Hexerei von einem alten Weibe lernte und vermittels deren den ganzen fürstlichen Stamm, sechs junge Herren, die alle Gemahlinnen hatten, dergestalt bezauberte, dass sie alle erbenlos bleiben mussten."
Gemeint sind die sechs Nachkommen des Pommerschen Herzogs. Sidonia wurde vorgeworfen, die Familie verhext zu haben, sodass sie erbenlos ausstarb. 1620 wurde sie in Stettin wegen Hexerei hingerichtet. Die Liste der Anklagepunkte ist so endlos wie absurd: "Sie hat ihren Neffen Otto Bohrke krank gemacht und umgebracht." - "Sie hat Jobst Borkes Krankheit verursacht und gedroht, dass er so steif werden sollte, dass man eine Tür mit ihm auflaufen könnte." - "Sie hat den Klosterhauptmann Johann Sperling bedroht."
Hauptdarstellerin Katja Klemt: "Das geht ganz schön rein"
Musikalisch begleitet wird diese Uraufführung mit einem Theremin. Die Töne dieses Instruments entstehen in der Luft, mit Fingern in einem durch elektronische Spannung aufgebauten Klangfeld, wie durch Zauberei. Gespielt wird dieses eigenartige Instrument von Robert Meyer.
Für diese Produktion der Opernale hat sich Hauptdarstellerin Klemt in den 400 Jahre alten Gerichtsfall vertieft: "Das geht ganz schön rein, da muss man irgendwann lernen, sich zu distanzieren. Also ich befasse mich damit schon so lange und das ist so verrückt: du hörst das und denkst: Wie bitte? Anders als es distanziert zu machen, geht es gar nicht."
Familientragödie und Bevormundung von Frauen
Das Stück erzählt nicht nur einen skandalösen Gerichtsfall. Sondern auch, wie sich die Rolle der Sidonia als Sündenbock auch in den folgenden Jahrhunderten gehalten hat. Die Leiterin der Opernale, Henriette Sehmsdorf, möchte die Hintergründe aufdecken: "Sidonia von Borcke ist das Opfer ihrer eigenen Familie gewesen und es ist eine Tragödie, an der man sieht, wie die Bevormundung von Frauen über Jahrhunderte dazu führte, dass sie ihr Leben nicht leben konnten."
Sidonia von Borcke hat das nicht hinnehmen wollen. Ihre Familie steckte sie zuerst ins Kloster und wollte sie dann loswerden. Es gibt aber auch gesellschaftliche Ursachen für diese Hexenverfolgung. "Wir reden hier von einer Zeit, die man auch später die kleine Eiszeit nennt, in der allgemein die Wirtschaft am Boden lag, es gab Missernten, Hageleinschläge, Krankheiten, die Leute sind gestorben", sagt Sehmsdorf. Es sei eine Zeit des Aberglaubens und der Missgunst gewesen, in der viele Dinge zusammenspielten. Und die dazu führten, eine Schuldige für all das zu suchen. Herausgepresst wurden die Geständnisse unter Folter. Da war Sidonia von Borcke 72 Jahre alt.
"Sidonia von Borcke - Streitbare Adlige oder Klosterhexe" wird am Sonnabend in Groß-Schoritz auf Rügen aufgeführt und am Sonntag in Ziethen bei Ratzeburg.