Der Traum vom Fliegen: "Ikarus" feiert Premiere in Hannover
An der Staatsoper Hannover hat "Ikarus" Premiere gefeiert - ein abendfüllendes Ballett von Andonis Foniadakis. Das Publikum konnte sich bei einer öffentlichen Probe einen ersten Eindruck der neuen Kreation machen.
Sie fliegen. Athletische, große Männer fliegen durch den Ballettsaal. Denn darum geht es bei "Ikarus": ums Fliegen. Der griechische Choreograf Andonis Foniadakis, der den Stoff jüngst an der Staatsoper Hannover inszeniert hat, sagt: "Es ist keine vielschichte Erzählung. Jemand möchte fliehen, fliegt hoch in die Luft und fällt. Da passiert nicht viel, keine Beziehungsdramen, kein großer Cast an Charakteren."
Die ist eine lapidare Feststellung, nüchtern vorgetragen von einem ruhigen, zugewandten Andonis Foniadakis. Direkt sei er, erzählen die Tänzer, zielstrebig. In seiner Adidas-Jacke sieht er ein bisschen aus wie ein Leichtathletik-Trainer aus den 1980er-Jahren.
"Wenn wir gut zu uns sind, ist es, als hätten wir Flügel"

Andonis hat sich also diese Geschichte vom Fliegen geschnappt: Ikarus, der mit seinem Vater aus dem Gefängnis flieht, mit selbstgebauten Flügeln aus Federn und Wachs. Daedalus, sein Vater, warnt ihn, nicht zu nah an die Sonne zu fliegen. Doch der Junge ist übermütig, fliegt hoch, das Wachs schmilzt, Ikarus fällt und ertrinkt. Wenig Plot, viel Freiheit, kommentiert Foniadakis den griechischen Mythos: "Ich folge der Energie der Charaktere, ihren Emotionen, ihrem Seelenzustand, ihrer physischen und psychischen Verfassung. Welche Angst begleitet sie auf ihrer Flucht; welche Aufregung, als sie so hoch in die Luft fliegen? Und wie desaströs muss es sich anfühlen, das nicht zu schaffen, zu versagen?" All diese Gefühle versuche er in Bewegung zu gießen, sagt Foniadakis.
Für die Tänzer bedeutet das Schwerstarbeit. Sie sollen das Eintauchen in die Schwerelosigkeit vermitteln; dabei leicht und frei wirken. Der Choreograf gibt ihnen folgenden Gedanken mit: "Wir können nicht fliegen. Aber wir haben entweder schon davon geträumt, oder aber die Leichtigkeit und Freiheit in uns drin gespürt. Wenn wir gut zu uns sind, glücklich, verliebt. Da gibt es kein Zerren, keine Schwerkraft. Dann ist es so, als hätten wir Flügel."
Normalerweise fliegen die Frauen
Die Tänzer proben. Sie heben sich gegenseitig, wirbeln durch die Luft. Akrobatische Flugrouten, verbunden mit schnellen Drehungen. Der größte unter ihnen fliegt am häufigsten: Floris Puts ist Ikarus.

Der Niederländer wurde zuvor noch nie gehoben - im Normalfall fliegen die Frauen. Das sei eine ganz neue Erfahrung für ihn gewesen, erzählt er, aufregend, verbunden mit viel Unsicherheit und der Frage: Warum ausgerechnet ich? Mittlerweile könne er es genießen, loslassen. Am Ende werde er von vier Männern getragen und versuche dabei bloß nicht die Orientierung zu verlieren. Jamal Uhlmann gehört zu denen, die tragen. Er tanzt Daedalus, Ikarus' Vater. "Ich hebe ihn im ersten Teil des Stücks," erzählt er, "und das ist eine Herausforderung, weil ich noch nie mit jemandem Partnering gemacht habe, der so groß ist. Das ist auf jeden Fall was Besonderes."
Aufführungen im März, April und Mai
Die Musik, auf die getanzt wird, ist aufwühlend, als würde sie einen packen und gleich mit forttragen. Julien Tarride hat sie komponiert, eine Auftragsarbeit, gespielt vom Staatsorcherster, durchzogen mit elektronischen Klängen. Viel zu schnell scheint diese Musik zu sein. Die Tänzer kommen nicht hinterher, schnaufen und schwitzen. Noch drei, vier Durchgänge, dann plötzlich klappt es und sie liegen sich lachend in den Armen.
Foniadakis erklärt, es gehe um das Zusammenspiel, die gegenseitige Unterstützung. "Die Tänzer interagieren, sie erleben sich als unverzichtbaren Teil einer gemeinsamen Sache. Es war herausfordernd, aber auch wunderschön, sie auf diesem Weg zu begleiten."
Nach der Premiere sind weitere Aufführungen für den 12., 21. und 29. März sowie im April und Mai geplant.
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