Tänzer*innen im Ballett "Ikarus" von Andonis Foniadakis, Musik von Julien Tarride (Auftragskomposition), Uraufführung © Staatstheater Hannover Foto: Carlos Quezada
Tänzer*innen im Ballett "Ikarus" von Andonis Foniadakis, Musik von Julien Tarride (Auftragskomposition), Uraufführung © Staatstheater Hannover Foto: Carlos Quezada
Tänzer*innen im Ballett "Ikarus" von Andonis Foniadakis, Musik von Julien Tarride (Auftragskomposition), Uraufführung © Staatstheater Hannover Foto: Carlos Quezada
AUDIO: "Ikarus" - vor der Premiere des Staatsballetts Hannover (4 Min)

Der Traum vom Fliegen: "Ikarus" feiert Premiere in Hannover

Stand: 08.03.2025 00:01 Uhr

An der Staatsoper Hannover hat "Ikarus" Premiere gefeiert - ein abendfüllendes Ballett von Andonis Foniadakis. Das Publikum konnte sich bei einer öffentlichen Probe einen ersten Eindruck der neuen Kreation machen.

von Andrea Schwyzer

Sie fliegen. Athletische, große Männer fliegen durch den Ballettsaal. Denn darum geht es bei "Ikarus": ums Fliegen. Der griechische Choreograf Andonis Foniadakis, der den Stoff jüngst an der Staatsoper Hannover inszeniert hat, sagt: "Es ist keine vielschichte Erzählung. Jemand möchte fliehen, fliegt hoch in die Luft und fällt. Da passiert nicht viel, keine Beziehungsdramen, kein großer Cast an Charakteren."

Die ist eine lapidare Feststellung, nüchtern vorgetragen von einem ruhigen, zugewandten Andonis Foniadakis. Direkt sei er, erzählen die Tänzer, zielstrebig. In seiner Adidas-Jacke sieht er ein bisschen aus wie ein Leichtathletik-Trainer aus den 1980er-Jahren.

"Wenn wir gut zu uns sind, ist es, als hätten wir Flügel"

Tänzer*innen im Ballett "Ikarus" von Andonis Foniadakis, Musik von Julien Tarride (Auftragskomposition), Uraufführung © Staatstheater Hannover Foto: Carlos Quezada
"Welche Angst begleitet sie auf ihrer Flucht?" - Foniadakis' "Ikarus"-Inszenierung lässt sich auch vor dem Hintergrund der aktuellen Weltpolitik lesen.

Andonis hat sich also diese Geschichte vom Fliegen geschnappt: Ikarus, der mit seinem Vater aus dem Gefängnis flieht, mit selbstgebauten Flügeln aus Federn und Wachs. Daedalus, sein Vater, warnt ihn, nicht zu nah an die Sonne zu fliegen. Doch der Junge ist übermütig, fliegt hoch, das Wachs schmilzt, Ikarus fällt und ertrinkt. Wenig Plot, viel Freiheit, kommentiert Foniadakis den griechischen Mythos: "Ich folge der Energie der Charaktere, ihren Emotionen, ihrem Seelenzustand, ihrer physischen und psychischen Verfassung. Welche Angst begleitet sie auf ihrer Flucht; welche Aufregung, als sie so hoch in die Luft fliegen? Und wie desaströs muss es sich anfühlen, das nicht zu schaffen, zu versagen?" All diese Gefühle versuche er in Bewegung zu gießen, sagt Foniadakis.

Für die Tänzer bedeutet das Schwerstarbeit. Sie sollen das Eintauchen in die Schwerelosigkeit vermitteln; dabei leicht und frei wirken. Der Choreograf gibt ihnen folgenden Gedanken mit: "Wir können nicht fliegen. Aber wir haben entweder schon davon geträumt, oder aber die Leichtigkeit und Freiheit in uns drin gespürt. Wenn wir gut zu uns sind, glücklich, verliebt. Da gibt es kein Zerren, keine Schwerkraft. Dann ist es so, als hätten wir Flügel."

Normalerweise fliegen die Frauen

Die Tänzer proben. Sie heben sich gegenseitig, wirbeln durch die Luft. Akrobatische Flugrouten, verbunden mit schnellen Drehungen. Der größte unter ihnen fliegt am häufigsten: Floris Puts ist Ikarus.

Tänzer*innen im Ballett "Ikarus" von Andonis Foniadakis, Musik von Julien Tarride (Auftragskomposition), Uraufführung © Staatstheater Hannover Foto: Carlos Quezada
Partnering im Ballett ist die Zusammenarbeit zwischen Tänzer*innen, um komplexe Bewegungen und Hebefiguren auszuführen. Es erfordert Vertrauen, Kommunikation, Technik und Kraft.

Der Niederländer wurde zuvor noch nie gehoben - im Normalfall fliegen die Frauen. Das sei eine ganz neue Erfahrung für ihn gewesen, erzählt er, aufregend, verbunden mit viel Unsicherheit und der Frage: Warum ausgerechnet ich? Mittlerweile könne er es genießen, loslassen. Am Ende werde er von vier Männern getragen und versuche dabei bloß nicht die Orientierung zu verlieren. Jamal Uhlmann gehört zu denen, die tragen. Er tanzt Daedalus, Ikarus' Vater. "Ich hebe ihn im ersten Teil des Stücks," erzählt er, "und das ist eine Herausforderung, weil ich noch nie mit jemandem Partnering gemacht habe, der so groß ist. Das ist auf jeden Fall was Besonderes."

Aufführungen im März, April und Mai

Die Musik, auf die getanzt wird, ist aufwühlend, als würde sie einen packen und gleich mit forttragen. Julien Tarride hat sie komponiert, eine Auftragsarbeit, gespielt vom Staatsorcherster, durchzogen mit elektronischen Klängen. Viel zu schnell scheint diese Musik zu sein. Die Tänzer kommen nicht hinterher, schnaufen und schwitzen. Noch drei, vier Durchgänge, dann plötzlich klappt es und sie liegen sich lachend in den Armen.

Foniadakis erklärt, es gehe um das Zusammenspiel, die gegenseitige Unterstützung. "Die Tänzer interagieren, sie erleben sich als unverzichtbaren Teil einer gemeinsamen Sache. Es war herausfordernd, aber auch wunderschön, sie auf diesem Weg zu begleiten."

Nach der Premiere sind weitere Aufführungen für den 12., 21. und 29. März sowie im April und Mai geplant.

Weitere Informationen
Mario Venzago im Portrait in schwarz-weiß © Mario Venzago

"Lebenslust": Sinfoniekonzert mit Mario Venzago in Hannover

Zwei Klassiker und eine Entdeckung spielt das Niedersächsische Staatsorchester, Musik von Mozart, Beethoven und Farrenc. mehr

Auf einer Bühne sind Glaskästen aufgebaut. Eine Schauspielerin ist an die Rückwand der Bühne projiziert. © Sandra Then
4 Min

"Echo 72. Israel in München": Kampf und Wettkampf

"Echo 72 Israel in München" heißt ein Auftragswerk der Staatsoper Hannover, das heute uraufgeführt wird. Flankiert wird es durch eine Veranstaltungsreihe. 4 Min

Auf einer Bühne sind Glaskästen aufgebaut. Eine Schauspielerin ist an die Rückwand der Bühne projiziert. © Sandra Then

"Echo 72. Israel in München": Kampf und Wettkampf

"Echo 72 Israel in München" heißt ein Auftragswerk der Staatsoper Hannover, das Uraufführung gefeiert hat. mehr

Ein Porträt von Laura Berman © Staatsoper/Dan Hannen Foto: Dan Hannen

Staatsoper Hannover: Bermans Dialog mit der Moderne

Die US-amerikanische Dramaturgin Laura Berman spricht über ihr Abschiedsprogramm an der Staatsoper Hannover. mehr

Christian Blossfeld © Staatstheater Hannover/ Dan Hannen Foto: Dan Hannen

Ballettgesellschaft Hannover will rasche Entscheidung zu Direktor

Christian Blossfeld habe die Kompanie der Staatsoper zusammengeschweißt. In einem offenen Brief fordert die Ballettgesellschaft, dass er bleibt. mehr

Marco Goecke auf einer Bank. © Screenshot

Staatsoper Hannover: Goecke-Ballett ohne Goecke

Die Hundekot-Attacke von Marco Goecke: Wie wirkt sich das auf die neue Spielzeit der Staatsoper Hannover aus? mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Vormittag | 06.03.2025 | 10:20 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Tanz

Nahaufnahme von Notenblättern mit lila und roter Beleuchtung. Darauf liegt der Schriftzug "CHOR MUSIK" in großen weißen und rosa Buchstaben. © NDR | istock/getty images

Chormusik - Klangwelten der Vokalmusik entdecken

Tallis Scholars bis Maybebop - Chormusik aus sechs Jahrhunderten von der Renaissance bis zur Gegenwart. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Der Schriftsteller Günter Grass stellte sich im Rahmen einer Veranstaltungsreihe für die SPD-Wählerinitiative am 30. Mai 1969 im Münchner Presseclub den Fragen der Journalisten. © picture-alliance / dpa

Vor zehn Jahren starb Multitalent und Moralist Günter Grass

Er war einer der bekanntesten Schriftsteller Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Am 13. April 2015 starb der Nobelpreisträger. mehr