"All right. Good night": Theaterstück über Demenz von Helgard Haug
Der Umgang mit Demenz ist kein leichter. Regisseurin Helgard Haug hat die schleichende Demenz bei ihrem Vater erlebt und im Theaterstück "All right. Good night" verarbeitet. Ein Interview über ihre Erfahrungen mit der Krankheit.
Helgard Haugs Vater hat Demenz - und jetzt? Im Theaterstück "All right. Good night" erzählt Haug von der Suche und vom Ringen mit der Ungewissheit. Die Autorin und Regisseurin bringt das Protokoll eines unumkehrbaren Prozesses berührend auf die Bühne, eingebettet mit Musik von Barbara Morgenstern. Im vergangenen Jahr wurde die Inszenierung zum "Berliner Theatertreffen" und zum "Impulse Festival" eingeladen. Das Stück wurde für den "Mülheimer Theaterpreis" nominiert und von "Theater heute" zur "Inszenierung des Jahres 2022" erklärt.
Nach ihrem Erfolg mit "Chinchilla Arschloch, waswas" kommt Haug zurück nach Hannover, krönt den Abschluss der KunstFestSpiele Herrenhausen mit "All right. Good night" am 26. und 27. Mai.
Frau Haug, Musik spielt bei Demenz eine wichtige Rolle. Würden Sie eigentlich von Demenz-Erkrankung sprechen? Das kommt einem so leicht über die Lippen, aber ist das überhaupt richtig?
Helgard Haug: Das setzt voraus, dass es eine Heilung gibt. Insofern ist Demenz keine Krankheit. Es ist ein Zustand, den man, glaube ich, in der Distanz betrachtet, ganz gut beobachten kann. Verwirrend wird es wirklich, wenn man ganz nah dran sitzt. Das war auch ein Erlebnis, das ich beim Schreiben hatte, wo ich angefangen habe Notizen, auch Tagebucheinträge, zu schreiben. Auch das, was ich mit meinen Geschwistern erlebt habe und wir uns mitgeteilt haben. Wenn man so nah dran sitzt, bemerkt man, wie unklar eigentlich dieser Vorgang ist und welche Aufs und Abs es gibt. Gepaart mit sehr viel Hoffnung, dass man denkt, es wird jetzt besser, jetzt war plötzlich doch ein Treffen, wo ich nochmal erkannt wurde, oder wo irgendwas ganz präsent war. Auf die Distanz gesprochen ist es ein ganz klares "immer weniger" und kann nicht aufgehalten und geheilt werden.
Das heißt, diese Protokolle, die Sie und Ihre drei Geschwister geführt haben, sind auch ein ganz wichtiger Bestandteil und eine wichtige Grundlage für diesen Abend. Würden Sie sagen, Sie konnten mit Ihrem Vater länger singen als sprechen?
Haug: So viel habe ich nicht mit ihm gesungen, aber er hat in der Einrichtung, in der er war, viel gesungen. Mein Vater war Theologe, das heißt, Musik war auch ein Teil seines beruflichen Alltags und an Musik hat er sich noch sehr gut erinnert. In dieser Einrichtung gab es auch Rituale, dass zum Beispiel jeden Tag vor dem Mittagessen "Die Gedanken sind frei" gesungen wurde und da war er sehr präsent und laut. Es war immer total schön zu sehen, welche Schubladen noch zu öffnen sind und wie ganz plötzlich Energie da war. Ich glaube, es ist in der Forschung auch bekannt, dass Musik diese Schubladen öffnen kann, auch bei Menschen, die schon ganz apathisch sind. Dass sie, wenn sie Musik aus ihrer Kindheit hören, plötzlich anfangen zu tanzen oder aufzuleben.
Ihr Vater hat auch selbst sehr viel aufgeschrieben und sich tatsächlich, bevor er selbst dement wurde, mit Demenz auseinandergesetzt. Daraus zitieren Sie auch an diesem Abend. Hatten Sie je das Gefühl, übergriffig zu sein, oder hat er Ihnen auch schon früh das Signal gegeben, dass Sie auf diese Unterlagen zurückgreifen dürfen?
Haug: Manche hat er auch ganz gezielt an uns gerichtet, schon relativ früh, wo er selbst noch gar nicht persönlich betroffen war. Er hat sich erst einmal damit auseinandergesetzt, was für ein Leben er sich wünscht. Wie wäre denn ein würdevoller Umgang mit Menschen, die nicht mehr für sich selbst entscheiden können und die nicht mehr für sich selbst Sorge tragen können? Ich habe nicht mit ihm klären können, ob das jetzt okay ist, dass ich mit seinen Gedanken oder auch mit der Geschichte in die Öffentlichkeit trete. Aber mich hat es sehr bestärkt, dass er es eben auch gemacht hat und dass er sich für Leute eingesetzt hat, die eben nicht mehr sprechen konnten. So ist es schwierig, weil man selbst eine Einschätzung geben muss. Das mache ich bei meinen anderen Stücken natürlich völlig anders. Da sind die Leute selbst auf der Bühne und vertreten sich und wir verhandeln ganz genau, was und wie viel gesagt wird und was ich auch von mir preisgebe. Das war ein Ausloten, weil ich unbequeme Momente nicht aussparen wollte. Gleichzeitig war die Frage: Wo ist diese Grenze, an der man sagt, das ist jetzt wirklich zu persönlich und privat, das möchte ich nicht erzählen? Das herauszukriegen war auch Teil dieser Arbeit.
Das Gespräch führte Katja Weise.