Marlene Knobloch über ihre Generation und den "Realitätsschock"
Erst Pandemie, jetzt Krieg - und jetzt die Erkenntnis: "Vielleicht wird es doch nicht okay". Im Interview zu ihrem Buch "Serious Shit" spricht die Autorin Marlene Knobloch über das Wegfallen vermeintlicher Gewissheiten, mit der die heute um die 30-Jährigen aufgewachsen sind.
Marlene Knobloch ist Journalistin, schreibt für Print- und Online-Medien wie "Süddeutsche Zeitung", "SZ"-Magazin oder "Die Zeit". Laufend ist sie damit beschäftigt, ihr Umfeld durch kritische Filter zu sieben. Geboren ist sie 1994 und gehört zu den Ende-Zwanzigjährigen, die den Ist-Zustand der Gesellschaft genau beobachten und kritisch hinterfragen. In ihrem Buch "Serious Shit" beschreibt sie den Realitätsschock, den ihre Generation gerade erlebt.
Dabei will sie einem Gefühl auf den Grund gehen; dem Gefühl, den Überblick über die eigene Geschichte verloren zu haben. Marlene Knoblochs Diagnose zur Zukunft ist keinesfalls düster, höchstens unsortiert. Deshalb will sie dafür sensibilisieren, dass "wir niemals aufhören dürfen, uns füreinander zu interessieren".
"Die Rottweiler", eine Metapher, die aus Ihrem aktuellen und Ihrem ersten Buch "Serious Shit - Die Welt ist gefährlich und warum wir das erst jetzt merken" stammt. Was sind das für Tiere, die schon frühmorgens bei Ihnen aufschlagen?
Marlene Knobloch: Das sind meistens Tweets, Nachrichten oder irgendwelche Kommentare in Foren und im Internet. Ich gehöre zu den Menschen, die keinen Wecker besitzen, obwohl ich mir das schon so oft vorgenommen habe. Das erste, was ich am Morgen mache ist, auf mein Handy zu schauen. Auf diesem sind diese ganzen Kommentare. Ich bin auf Twitter und lese dort sehr gerne. Aber ich merke, wenn ich das Handy nach 15 Minuten weglege und aufstehe, fühle ich mich richtig zerknautscht, so als wäre eine Bande Rottweiler über mich hergefallen. Die sind eigentlich wahnsinnig süß, ich habe nichts gegen Rottweiler.
Jetzt ist Ihr Essay ein Porträt Ihrer Generation, also der Generation der 30-Jährigen. Sie sind 1994 geboren. Warum legen Sie in Ihrem Buch genau den Fokus auf diese Generation? Sind die so wichtig oder so gefährdet?
Knobloch: Zum einen ist das die Generation, der ich angehöre. Und der Impuls dieses Buch zu schreiben, war ein ganz persönlicher. Ich hätte dieses Buch niemals mit Anspruch, in den Kopf eines 18-Jährigen reinzuschauen, schreiben können. Gleichzeitig bin ich 28 Jahre alt und ich habe jetzt eine Festanstellung, bin fertig ausgebildet und fange jetzt eigentlich an mit diesem Erwachsenenspiel. Ich muss vielleicht die ersten Schritte machen und auch Verantwortung in dieser Welt übernehmen.
Vielleicht gründen die einen oder anderen eine Familie, sie ziehen noch ein letztes Mal oder ein vorletztes Mal um. Auf jeden Fall werden die Dinge ein bisschen ernster. Man stellt sich auf einmal dieser Welt. Wir sind alle lange Zeit unter Merkel aufgewachsen, die gesagt hat "Wir schaffen das alles" und das Gefühl war, es bleibt alles okay, wir kriegen das alles irgendwie hin.
All diese Probleme, denen wir vielleicht schon begegnet sind: Die Flüchtlingskrise, die Finanzkrise 2008, das waren durchaus Erschütterungen, die wir wahrgenommen haben. Aber die haben unseren Glauben nicht erschüttert, zumindest meinen Glauben nicht. Ich glaube, das fühlen sehr viele ähnlich. Das heißt, wir sind mit der Annahme aufgewachsen, alles wird okay. Jetzt sind wir an dem Punkt, wo wir sehen, vielleicht wird es doch nicht okay, vielleicht wird es scheiße.
Mit dem 24. Februar 2022, dem Beginn des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine, so sagen Sie es in Ihrem Buch, da gab es diese starke Zäsur für Ihre Generation. Hat sich da alles in der Wahrnehmung der Welt geändert?
Knobloch: Ich glaube, dass es für uns alle eine Zäsur in der Wahrnehmung ist, auch für Ältere und Jüngere natürlich. Ich glaube aber, dass zum ersten Mal, das war auch schon in der Pandemie ganz stark, die Weltlage in unser persönliches Leben eingegriffen hat und wir plötzlich Entbehrungen für ein höheres politisches Ziel leisten mussten. Was man bei der Flüchtlingskrise, als eine sehr große Krise in den Zehnerjahren, nicht behaupten kann. Natürlich haben sich viele Freiwillige engagiert oder haben irgendwie Initiativen gestartet. Aber wir persönlich mussten da nicht viel hergeben oder leisten. Das war etwas, was der Staat sehr moderat versucht hat zu lösen.
Jetzt sehen wir plötzlich Abhängigkeiten. Mal ganz einfach und plakativ runtergebrochen: Mein Heizungsrohr hängt mit Putin zusammen. Je nachdem wie hoch ich die Heizung aufdrehe, klingeln vielleicht die Kassen in Russland, um das mal anhand der Gas- und Stromversorgung zu demonstrieren. Was uns nie klar war - und plötzlich wird mir das klar.
Das Gespräch führte Juliane Bergmann.