Samuel Finzi: Vom Balkan nach Berlin
Samuel Finzi steht auf zahlreichen Bühnen, ist auf der Kinoleinwand und im Fernsehen zu sehen. Jetzt hat er ein Buch geschrieben, das ihn zurück in seine Kindheit führt.
In über 150 Filmproduktionen hat Samuel Finzi, der gebürtige Bulgare mitgespielt, seine facettenreichen Rollen am Theater brachten den Schauspieler an die großen Häuser nach Düsseldorf, Bochum, Zürich, Hamburg, Wien oder Berlin. Unvergessen sein furioser Auftritt als Dov Grinstein, dem Stand-up-Comedian und Alleinunterhalter in der Bühnenfassung von David Grossmans Roman "Kommt ein Pferd in die Bar".
Samuel Finzi wird vom Feuilleton regelmäßig hochgelobt; für seine Arbeiten wurde er mit wichtigen Preisen ausgezeichnet wie "Schauspieler des Jahres", "Deutscher Schauspielpreis" oder "Gertrud-Eysoldt-Ring".
Jetzt hat Samuel Finzi ein Buch geschrieben, das ihn zurückführt in seine Kindheit, ins Bulgarien der 1970er Jahre. Herausgekommen ist ein autobiografischer Roman über sein Leben, seine Familie, die im sozialistischen Korsett den Traum von Freiheit zu verwirklichen sucht. Mit Witz, Wärme und treffsicheren Anekdoten verwebt Samuel Finzi Vergangenheit und Gegenwart, gewährt Einblicke in das Innenleben eines unermüdlich suchenden Schauspielers.
Über sein Buch, seine Arbeit, den Film, das Theater und seine Hoffnungen spricht Samuel Finzi in "NDR Kultur à la carte".
"Samuels Buch" heißt Ihr autobiografischer Roman. Sie wollten einfach dem eigenen Leben nachspüren. Wie war damals die Luft in Bulgarien, in dem Land, indem Sie groß geworden sind? Was sind die Gerüche Ihrer Kindheit?
Samuel Finzi: Die Gerüche der ganz frühen Kindheit, die kamen aus der Küche meiner Großmutter und der sehr kleinen Bakelit-Schüssel meines Großvaters, in die er seine Rasierpinsel tunkte. Es war dieser Duft nach Rasierseife und auch der Duft nach Lindenblüten von den Bäumen im Frühling und im Sommer.
Sie beginnen mit Ihren Großeltern. Damals waren Sie vier, das sind die ersten Erinnerungen. Sind das wichtige Erinnerungen für Sie?
Finzi: Alle Erinnerungen sind wichtig, glaube ich. Nur beim Schreiben und beim Rekapitulieren passieren unerwartete Dinge. Man will über etwas Bestimmtes erzählen und plötzlich taucht auf einmal eine andere Figur oder ein anderes Erlebnis auf. Zumindest hat es bei mir so funktioniert. Ich wurde ständig von meinen eigenen Erinnerungen überrascht. Dann dachte ich mir, gut, dann muss ich auf meinen Instinkt hören und das aufschreiben.
Schon auf dem Buchtitel steht die Welt in gewisser Weise Kopf. Sie stehen auf dem Kopf, aber auf der anderen Seite steht auch das Buch wieder auf dem Kopf, das heißt, Sie machen einen Kopfstand. Aber dadurch, dass das Foto auf den Buchumschlag verkehrt herum gedruckt ist, sieht es eigentlich so aus, als würden Sie die Welt tragen. Es ist ein bisschen wie Atlas, der in der Sage den Himmel stützt.
Finzi: Dadurch, dass es verkehrt ist, weiß man nicht, was von beidem stimmt.
Ist das ein Lebensgefühl von Ihnen?
Finzi: Ja, dieser Widerspruch ist mir wichtig, besser gesagt die Ambivalenz einer jeden Situation, je nachdem, wie man sie betrachtet. Man kann immer den Blickwinkel wechseln und plötzlich erscheinen die Dinge anders. Man muss sich einfach entfernen, sich nähern oder mal ein bisschen nach links und ein bisschen nach rechts schauen. Plötzlich findet man vielleicht eine Lösung für etwas, was man für unlösbar gehalten hat.
Ist das auch ein wichtiger Hergang beim Spielen?
Finzi: Ja, das Spielen besteht hauptsächlich daraus, dass man verschiedene Wege sucht, um vor allem auf der Bühne etwas zu erzählen. Ich tendiere immer dazu, eher die unkonventionelle Lösung zu finden.
Sie sind in einem Künstlerhaushalt aufgewachsen, aber Ihr Großvater, der war eigentlich Jurist...
Finzi: Der war Jurist, aber nachdem die Kommunisten an die Macht kamen, wurde ihm ein Berufsverbot erteilt, da er aus einer bürgerlichen Familie stammte, zum Glück konnte er Geige spielen. Und dann ist er Mitglied dieses neu gegründeten Orchesters geworden, als Geigenspieler. So ist er in die Rente gegangen, als Mitglied der Philharmonie in Plovdiv.
Ihre Mutter, also seine Tochter, ist Pianistin, Ihr Vater ist ein sehr berühmter Schauspieler in Bulgarien und es scheint so, wenn man jetzt "Samuels Buch" liest, dass Sie auch schon sehr früh dieses Schauspiel-Gen hatten, oder?
Finzi: Ja, das liegt in der Natur der Familie, sowohl mein Vater als auch meine Mutter, haben ein spezielles Verhältnis untereinander. Ironie war eine Umgangsform in der Familie. Sie waren ziemlich fanatisch, was ihre Musik anging, meine Mutter am Klavier und mein Vater am Theater, auf der Bühne oder im Film. Beide haben ihre Berufe geliebt. Ich habe mich trotzdem nicht vernachlässigt gefühlt, überhaupt nicht.
Sie schildern eine Szene, in der Sie mit ihrer Großmutter mit dem Zug zurück nach Sofia gefahren sind. Dort haben Sie als kleiner Steppke in dem Abteil Stücke aufgeführt.
Finzi: Stücke nicht, aber irgendwelche Lieder gesungen, getanzt und irgendwelchen Quatsch gemacht. Was wiederum für meine Großmutter nicht ungefährlich war, sie hat es zumindest so empfunden. Und tatsächlich hätte es auch anders aussehen können. Weil ein kleiner Junge, der jetzt plötzlich Witze über die Machthabenden macht, speziell über die bulgarische, russische und sowjetische Freundschaft, da fragt man sich sofort, wo hat er diese Ideen her? Worüber redet man zu Hause? Zum Glück ist nichts passiert, aber diese Angst existierte, die war überall vorhanden. Ich wollte einfach versuchen, ein Bild dieser Gesellschaft in der Zeit zu geben. Angst lag in der Luft.
Waren Ihre Eltern denn kritisch?
Finzi: Na klar, aber das war eher zuhause, als außerhalb. Natürlich waren viele Menschen kritisch und natürlich tauschte man sich auch untereinander aus, und man kritisiert dieses und jenes, aber immer mit einer gewissen Vorsicht, mit wem man das diskutiert, und vor wem. Es hieß auch immer: "Das bleibt hier unter uns. Das, was du hier hörst, besprichst du jetzt nicht mit deinen Freunden."
Das Gespräch führte Katja Weise.