Buchcover: Tanja Raich - Schwerer als das Licht © Blessing Verlag

"Schwerer als das Licht": Düster-schönes Märchen von Tanja Raich

Stand: 19.12.2022 06:00 Uhr

Tanja Raich bestätigt mit ihrem zweiten Roman "Schwerer als das Licht" eine Vermutung, die seit einiger Zeit den Literaturbetrieb umschwirrt: Die österreichische Literatur ist gerade besonders spannend.

von Alexander Solloch

Wo sie auch geht, wo wie auch steht: überall Bedrohung. Alles ist angefochten: die Landschaft, die Tierwelt, sie selbst. Eine Frau in der kleinen, ihr noch verblieben Nische, im Südteil einer tropischen Insel, abgeschnitten von jedem Kontakt zu anderen, zu denen da im Norden, die ohnehin nur eins noch von ihr wollen: ihr Leben.

Hier ist es nicht mehr sicher, aber von hier gibt es keinen Ausweg. Ihre Rufe sind bis in den Süden zu hören, ihre Schreie, ihr Trommeln. Ich baue weiter an meiner Festung. Die Pflöcke spitzer, die Mauern höher. Und hinter der Mauer baue ich eine weitere Mauer und dazwischen einen Graben, ein Feld voller Pflöcke, das sie aufschlitzen wird. In die Gänge meines Labyrinths baue ich neue Winkel mit weiteren Fallen. In den Wäldern befestige ich Seile, die sich um ihre Körper schlingen werden. Ich verriegle die Türen mit schweren Stämmen und Ästen. Ich bin ihnen immer einen Schritt voraus. Leseprobe

"Schwerer als das Licht": Traum oder Realität?

Ob es die, vor denen sie sich da verbarrikadiert, überhaupt gibt? Vielleicht sind sie ja nur Geister, Stimmen, Ängste. Real ist jedenfalls die Panik der Protagonistin. Der Wald um sie herum stirbt, die Nahrung geht ihr aus, alles auf der einstmals strahlend schönen Insel verdorrt, die Vögel fliegen davon. Schon äußerlich ist das eine existenzielle Krise. Aber da ist auch die überbordende Unruhe im Inneren der Frau, die vor einiger Zeit aus einem alten Leben herausgeschleudert wurde, hier gestrandet ist und sich kaum noch erinnert an das, was da einst geschah. Man tappt beim Lesen im Halbdunkel, wie in einem Traum, der mit tausend schillernden Details ausgekleidet ist und doch rätselhaft bleibt.

Von draußen höre ich das Pfeifen des Windes. Das Schnattern der Geckos. Das Schnarren der Zikaden. Die Rufe der Eulen. Mungos und Warane, die sich durch das Geäst schlagen. Die Tiere finden immer einen Weg. Sie kämpfen sich zu meinem Haus und lauern in der Dunkelheit. Languren laufen über mein Dach. Ihre Schritte hallen durch den Raum. Mal sind es nur zwei, mal vier, mal ist das ganze Dach voll davon. Sie sitzen und warten. Leseprobe

Persönliche Ängste und Wahnvorstellungen

Der Mensch, der sich in starrer Angst festungsartig vom Rest der Welt abschottet - dieses Bild, sagt Tanja Raich, stand ihr ganz am Anfang der Geschichte vor Augen. Aber ihre Figur, die Frau auf der Insel, hat sich dann natürlich auf ganz eigene Weise entwickelt: "Es geht auch um persönliche Ängste, es geht um Wahnvorstellungen; es kann eine Psychose sein. Es geht auch um den Untergang einer individuellen Welt: Wir alle, wenn wir sterben, werden unsere Welt verlieren und sehen, wie sie untergeht."

Mal schlägt die Insulanerin wie im Mordwahn wild um sich, mal schließt sie resignativ die Augen; es gibt ja kaum noch etwas zu sehen für diese Licht-Süchtige, kaum je blitzt noch irgendwo das Leben auf.

Die Dunkelheit legt sich allmählich über die Insel. Ein dunkler Schatten, der alles verschluckt. Bald wird selbst die Sonne von der Dunkelheit verschluckt werden. Der Schatten war immer schon schwerer als das Licht. Leseprobe

Tanja Raichs faszinierende Sprache

Ein stetes Schwanken am Abgrund: Tanja Raich findet für diese Geschichte im Grenzbereich des menschlichen Lebens eine faszinierende, eine aufwühlende Sprache. Sie ist ganz frei von Pathos und packt einen eben darum besonders heftig an der Gurgel, sie ist minimalistisch-melodiös und sowieso betörend rhythmisch. Es ist der Rhythmus vom Werden und Vergehen.

"Ich hätte niemals gedacht, dass ich einen Hang zum Surrealen entwickele, zum Metaphysischen" sagt Raich. "Ich habe eine große Freude daran gefunden, nicht nur vom Untergang zu erzählen, sondern auch vom Anfang - zwar schon auch von der Zerstörung dieser Welt, aber nach der Zerstörung wird es weitergehen. Ich hatte eine große Freude daran, ein Märchen zu erzählen."

Es war einmal ein Geist, der besessen das Licht suchte und umarmte, damit es dunkel werde. In diesem düster-schönen Märchen von Tanja Raich fallen sogar die Sterne vom Himmel, nur die Mondsichel leuchtet am Ende noch - und damit doch ein letzter Rest Hoffnung.

Schwerer als das Licht

von Tanja Raich
Seitenzahl:
195 Seiten
Genre:
Roman
Verlag:
Blessing
Bestellnummer:
978-3-89667-735-8
Preis:
22 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 19.12.2022 | 12:40 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Romane

Ein Bücherstapel liegt auf einem Holztisch vor einer farbigen Wand. © IMAGO / Shotshop

Bücher 2022: Die spannendsten Romane und Erzählungen

Viele aufregende Bücher sind im Jahr 2022 erschienen. Etwa von Yasmina Reza, Ralf Rothmann, Isabel Allende, Kim de l’Horizon und Markus Orths. mehr

Die drei Hosts vom NDR Bücherpodcast "eat.READ.sleep.". © NDR/Sinje Hasheider Foto: Sinje Hasheider

Podcast: eat.READ.sleep. Bücher für dich

Beim Podcast eat.READ.sleep bekommt ihr aktuelle Buchtipps, Interviews mit Büchermenschen, literarische Fun Facts und neu entdeckte Klassiker. mehr

Ein Latte Macchiato, eine Brille und eine Kerze liegen auf einem Buch © picture alliance / Zoonar | Oleksandr Latkun

Neue Bücher 2024: Die interessantesten Neuerscheinungen

Unter anderem gibt es Neues von Dana von Suffrin, Michael Köhlmeier und Bernardine Evaristo. mehr

Logo vom NDR Kultur Podcast "eat.READ.sleep" © NDR Foto: Sinje Hasheider

eat.READ.sleep. Bücher für dich

Lieblingsbücher, Neuerscheinungen, Bestseller – wir geben Tipps und Orientierung. Außerdem: Interviews mit Büchermenschen, Fun Facts und eine literarische Vorspeise. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur sucht Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Hände halten ein Smartphone auf dem der News-Channel von NDR Kultur zusehen ist © NDR.de

WhatsApp-Channel von NDR Kultur: So funktioniert's

Die Kultur Top-News aus Norddeutschland direkt aufs Smartphone: NDR Kultur ist bei WhatsApp mit einem eigenen Kanal aktiv. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Eine Frau schaukelt auf einem Kronleuchter im Musical "& Julia" in Hamburg © Markus Scholz/dpa +++ dpa-Bildfunk Foto: Markus Scholz

"&Julia"-Premiere: Hits der 90er-Jahre und Stars auf dem roten Teppich

Das Musical erzählt Shakespeares Geschichte von Romeo und Julia neu. Am Mittwoch war die Deutschlandpremiere in Hamburg. mehr