"Fun": Bela B erzählt von Sexismus und Gewalt im Musikgeschäft
Sie sind männlich, seit Jahrzehnten erfolgreich und rekrutieren Fans für Sex: Bela Bs Roman "Fun" handelt vom Machtmissbrauch durch eine Rockband - und erinnert damit auch an die Debatte um Till Lindemann und Rammstein.
Die Auftritte der umstrittenen Deutschrockband nbl/nbl begeistern vor allem das weibliche Publikum legendär. Fast jede Frau im Saal denkt:
Sie ist jetzt Teil dieses unbeherrschten Wahnsinns, in dem sich Zeit und Raum auflösen. Bis alles in einer gigantischen Lichtexplosion endet. Leseprobe
Begehrter noch als die Konzerte sind für die weiblichen Fans die streng einlassbeschränkten Aftershow-Partys. Die Choreografie ist so eingespielt wie perfide. Im Backstagebereich sorgen Drogen und Alkohol für lockere Stimmung. Dann wählen die Bandmitglieder aus den aufgebrezelten Frauen jeweils ihre Favoritin aus.
"Die Band ist versorgt, wie ich sehe. Dann lasst uns mal zum Fun-Part des Abends übergehen und unsern Chef-Secu den Transport organisieren." Leseprobe
Ob die ins Hotel mitgenommenen Frauen auch "Fun" haben, ist den Musikern egal. Sie nehmen sich, was sie wollen. Die Männer von "Nabel Nabel" - wie die Band vor Jahrzehnten noch hieß - sind inzwischen Ende 40 und haben sich in ihrem misogynen Weltbild eingerichtet.
Harter Stoff, teilweise verstörend zu lesen
Bela B Felsenheimer, selbst langjähriger Musiker der Band Die Ärzte, erzählt mit seinem zweiten Roman "Fun" eine Geschichte, die in die dunkelsten Ecken des Musikgeschäfts leuchtet. Es ist harter, gewaltvoller Stoff, der teilweise verstörend zu lesen ist. Detailliert beschreibt er zum Beispiel, wie zwei der Nabels eine 18-Jährige gemeinsam vergewaltigen. Das Opfer gibt sich selbst die Schuld:
Warum nur ist ihr das passiert?
Warum nur hat sie es so weit kommen lassen?
Wann war der Moment, in dem sie es noch hätte verhindern können?
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Doch die Frau ist mutig und erstattet Anzeige. Hinzu kommen weitere Vorwürfe: Körperverletzung und der Einsatz von Drogen, um die Opfer gefügig zu machen. Die Band erlebt einen öffentlichen Shitstorm. Die Polizei schaltet sich ein. Die Ereignisse erinnern an die Missbrauchsvorwürfe gegen Till Lindemann, den Frontmann der Band Rammstein. In diesem Fall hat die Staatsanwaltschaft Berlin 2023 die Ermittlungen mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Dem Buch ist der Hinweis vorangestellt: "Alles in diesem Roman ist erfunden - und noch viel mehr darin ist wahr."
Überschneidungen mit dem Rammstein-Fall "allenfalls zufällig"
Sein Text habe mit dem Rammstein-Fall "allenfalls zufällige Überschneidungen", sagt Felsenheimer im aktuellen "Spiegel". Mit Enthüllungen oder Insiderwissen ist in diesem Roman nicht zu rechnen. Dafür findet der Autor aber eindrückliche Bilder dafür, wie Systeme des Machtmissbrauchs funktionieren können. Er macht nachvollziehbar, was die weiblichen Figuren zunächst freiwillig in den Backstagebereich lockt und wie die Dinge bedrohlich eskalieren. Die Geschichte beschränkt sich nicht auf die systematische Frauenfeindlichkeit einer Band - auch in der Familie eines weiblichen Fans, in der Polizeidienststelle, in der örtlichen Apotheke sind Sexismus und Übergriffe Alltag.
Die Figuren sind allerdings ein bisschen zu eindimensional. Trotz großer oder kleiner Gewissensbisse ist jeder Mann in diesem Buch ein Widerling. "Männer sind Schweine" haben Die Ärzte 1998 schon gesungen. Ganz so einfach ist es aber eben nicht.
Die Ärzte: Band mit eigener Skandal-Vergangenheit
Ein Musiker schreibt über toxische Musiker - das ist ein Wagnis. Großartig sind aber sicher gerade deshalb die Passagen übers Musikbusiness. Sein Ton ist am überzeugendsten, wenn er von Ereignissen vor, auf oder hinter der Bühne schreibt. Was passiert vor großen Konzerten, vor allem, wenn ein Skandal kocht? Den haben auch die insbesondere früher provokanten Ärzte immer wieder mal erlebt. Einige ihrer Songs wurden indiziert, weil in den Texten über Gewalt gesungen wurde. Was sagen in solchen Momenten Anwälte, Securities, was die Bandmitglieder? Am interessantesten ist die Perspektive der Tourmanagerin Miriam, die als einzige Frau der Crew nicht viel mitbekommt, nur eine Ahnung hat:
Was, wenn nicht alles, was er da in seinem Backstageraum mit den Frauen anstellt, einvernehmlich ist? Was, wenn sich eine Minderjährige unter ihnen befunden hat? Miriam muss an das Foto ihrer geschminkten Tochter denken. Leseprobe
Am Ende erlaubt sich Felsenheimer Gerechtigkeit im Tarantino-Stil. Ein Aufatmen beim Lesen. "Fun" ist ein aufwühlendes Buch voller Schmerz, Dreck und Lärm. Aber es behandelt ein wichtiges Thema, das kraftvoll erzählt wird.
Fun
- Seitenzahl:
- 368 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Heyne
- Bestellnummer:
- 978-3-453-27513-3
- Preis:
- 24,00 €