Michel Abdollahi © picture alliance/ABBfoto
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AUDIO: Insel der Glückseligen? Michel Abdollahi zur Hamburg-Wahl (6 Min)

Insel der Glückseligen? Michel Abdollahi zur Hamburg-Wahl

Stand: 03.03.2025 15:43 Uhr

Bei der Bürgerschaftswahlen in Hamburg hat die SPD klar gewonnen - im Gegensatz zur Bundestagswahl vor einer Woche. Was macht die Hamburger Politik so "besonders", und welche Rolle spielt dabei das Thema Kultur?

Der Hamburger Moderator, Filmemacher, Performancekünstler, Poetry-Slammer und Journalist Michel Abdollahi verfolgt das politische Geschehen in Hamburg aufmerksam und findet: "Wir sind glücklich mit dem, was ist."

Herr Abdollahi, woher kommt das wohl, dass Hamburg so komplett anders wählt, dass Jörg Schönenborn in der Tagesschau-Analyse gesagt hat, Hamburg sei ein eigener politischer Planet?

Michel Abdollahi: Wir sagen ja selber "die Insel der Glückseligkeit" hier bei uns in Hamburg. Ich glaube, weil bei uns alles funktioniert. Wir haben in den letzten Jahren eine relativ geräuschlose Regierung gehabt. Das ist das, was man sich wünscht: nicht so richtig zu merken, was dort passiert, aber Veränderungen zu sehen. Anscheinend sind die Hamburger damit zufrieden. Ich glaube, das ist die Antwort: Wir sind glücklich mit dem, was ist.

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Ist es auch eine Personenwahl gewesen, weil der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher beliebt ist und gute Arbeit gemacht hat?

Abdollahi: Auf so kleinem Raum - wir sind fast die kleinsten; nur die Bremer sind ein bisschen kleiner als wir -, da kennt man sich anders, und da hat der Bürgermeister eine ganz andere Bedeutung. Peter Tschentscher hat in diesen Jahren eine ganz wunderbare Arbeit geleistet. Wenn Sie mich fragen: Ich bin mit Hamburg zufrieden, ich sehe die Entwicklung, ich sehe die Verbesserung. Und dann wählt man natürlich den Kopf, der dort ist, und das ist der Erste Bürgermeister.

Nicht die Ränder wurden gestärkt, sondern eher die Mitte. Zum Vergleich: In Mecklenburg-Vorpommern gibt es einen Migrationsanteil von knapp acht Prozent; Wahlergebnis für die AfD: 35 Prozent. In Hamburg fast umgekehrt: 40 Prozent Einwohner mit Migrationshintergrund, und die AfD liegt bei 7,5 Prozent. Wie deuten Sie das?

Abdollahi: Auf der einen Seite tut es gut zu wissen, dass die Menschen es wertschätzen, wenn sie in Diversität leben. Dort, wo Diversität herrscht, weiß man, dass Diversität etwas Schönes für eine Stadt wie beispielsweise Hamburg ist. Ich glaube, dass wir in Hamburg ganz genau wissen, was wir davon haben. Wir sind weltoffen, wir haben unseren Hafen, wir haben die verschiedenen Menschen bei uns, und wir leben schon seit jeher damit. Dann macht das keine Sorgen, und dann bin ich glücklich darüber, weil ich weiß, dass es auch Wege gibt, die funktionieren. Das sollten wir irgendwie nach Deutschland hinaustragen. Ich glaube aber, das wird nicht ganz funktionieren.

Die Kultur hat im Wahlkampf nicht so eine große Rolle gespielt, obwohl es zwei spektakuläre Neubau-Entscheidungen gibt: die neue Oper und das Haus der digitalen Welt. Wie zufrieden sind Sie mit der rot-grünen Kulturpolitik?

Abdollahi: Ich habe mich ein bisschen geärgert, dass die Kultur keine große Rolle gespielt hat, weil etwas ganz Sagenhaftes in Hamburg passiert ist: Der Kultursenator hat den Kulturetat angehoben. Wenn Sie auf andere Städte gucken wie Berlin, ist dort das Gegenteil der Fall. Ich glaube, ohne Kultur funktioniert es nicht. Ich glaube, Kultur ist auch ein Teil davon, dass Menschen in Hamburg so offen sind. Bei uns im Theater ist es genau das Gleiche: Ich habe abends alle Kulturen dort, und die Menschen haben sich lieb, und das ist eine schöne Sache. Nun haben wir bundesweit Themen auf die Agenda gedrückt bekommen wie: innere Sicherheit, Wirtschaft und Hafen - das ist auch wichtig, aber wir hätten auch ein bisschen mehr Bezug auf das nehmen können, was bei uns gerade wirklich gut läuft, und das ist die Kultur.

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Eines Ihrer Herzensthemen ist auch das Klima - ist das auch hinten runtergefallen?

Abdollahi: Ja, Klima ist ganz deutlich runtergefallen. Wir haben es am Wahlergebnis der Grünen gesehen, die sich fast halbiert haben. Das hat nicht mehr so gut funktioniert, und das ärgert mich besonders, weil Klima kein Modethema ist. Wir sehen, wie sich unser Planet verändert, und wir sehen, dass wir jeden Tag eingreifen müssen. Viele Hamburgerinnen und Hamburger machen das tatsächlich - das sieht man auch im Stadtbild, wenn man mit den Menschen redet. Aber Klima ist keine Sache zum Vergessen. Ich hoffe , dass das durch die Zivilgesellschaft wieder auf die Agenda gedrückt wird. Der Bürgermeister hat gestern im Interview gesagt, dass einer der der größten Unterschiede zwischen CDU/CSU und der SPD bundesweit und CDU und SPD in Hamburg das Thema Klima ist, da findet man mehr Gemeinsamkeiten bei den Grünen. Dafür bin ich ganz dankbar, weil wir nicht vergessen dürfen, dass dieser Planet leidet und wir noch eine ganze Menge machen müssen, damit zukünftige Generationen hier besser leben können.

"Weiter so" könnte man das Wahlergebnis auch beschreiben, was natürlich nicht heißt, dass man sich ausruht. Was ist aus Ihrer Sicht wichtig für die Zukunft in Hamburg?

Abdollahi: Wir müssen alle abholen. Ich glaube, das Thema Verkehr ist so sensibel, dass dort noch mal rangegangen werden muss. Viele sind unzufrieden mit dem, was passiert ist. Die Menschen mögen keine Veränderungen, und wenn es dann kommt, läuft es. Das ist bei mir auch anders: Ich bin auch nicht glücklich gewesen, als die ganzen Fahrradwege überall gebaut wurden. Ich bin Autofahrer und dachte mir: Was soll das? Jetzt, wo alles da ist, denke ich: Ach, das funktioniert doch ganz gut. Und das wünsche ich mir: dass wir ein bisschen mehr aufeinander zugehen, dass die Stadt ein wenig mehr auf die allgemeinen Sorgen der Menschen guckt, und guckt, dass wir weiter harmonisch leben und sie weiter geräuschlos bleiben. Dafür wäre ich dankbar.

Das Gespräch führte Philipp Schmid.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 03.03.2025 | 09:40 Uhr

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