Der Fall Lindemann: Neue Details und gesellschaftliche Fragen
Die Vorwürfe gegen den Rammstein-Frontmann haben im vergangenen Sommer wochenlang für kontroverse Diskussionen gesorgt. Juristisch ist Till Lindemann nichts vorzuwerfen. Ein NDR Team hat trotzdem weiter geforscht.
Dabei haben die Kolleginnen und Kollegen erstmals mit Menschen aus dem Umfeld des Rammstein-Sängers über die Vorwürfe des Machtmissbrauchs gesprochen, die ein ebenso kontroverses Bild abgegeben. Für das Reporter-Team geht es dabei aber auch noch um ganz andere Fragen, wie Isabel Schneider im Interview erklärt. Sie war an den Recherchen beteiligt.
Nach der Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungen ist Till Lindemann im juristischen Sinne nichts vorzuwerfen. Warum hat sich das Rechercheteam von Panorama trotzdem nochmal mit dem Fall befasst?
Isabel Schneider: Weil wir den Eindruck hatten, dass die Debatte damals dann doch ziemlich schnell beendet war. Viele haben die Einstellung des Ermittlungsverfahrens als eine Art generellen Freispruch für Lindemann gedeutet. Nach dem Motto: War ja gar nichts dran. Aber nur, weil ihm nichts strafrechtlich Relevantes nachgewiesen werden konnte, heißt das ja längst nicht, dass das, was da am Rande von Konzerten passiert ist, immer alles okay war. Deshalb haben wir weiter recherchiert, und wir konnten jetzt erstmals mit Menschen aus dem näheren Umfeld von Lindemann sprechen. Menschen, die zum Beispiel mit ihm auf Tour waren. Und die sagen eben ganz klar, dass es junge Frauen gab, die nicht nicht wussten, worauf sie sich einlassen. Die wussten eben nicht, dass der Besuch dieser After-Show-Partys möglicherweise mit dem Angebot oder der Erwartung von Sex einhergehen könnte.
Wir glauben, dass es in diesem Fall Fragen gibt, die unabhängig von dem, was ermittelt und angeklagt werden kann, gesellschaftlich diskutiert werden sollten, nämlich zum Beispiel die Frage, ob wir es überhaupt als Gesellschaft okay finden, wenn sich ein männlicher Superstar für seine Konzerte und die Partys danach offenbar reihenweise Frauen casten lässt.
Welchen konkreten Vorwurf machen ihm denn die mutmaßlich betroffenen Frauen?
Schneider: In den Fällen, die wir kennen, haben die Frauen ihren Erzählungen nach zwar kein Nein zum Sex kommuniziert. Sie haben den Sex später aber als übergriffig empfunden. Eine Betroffene hat uns zum Beispiel erzählt, dass sie sich gar nicht wirklich in der Lage fühlte, Nein zu sagen, weil sie damals mit Anfang 20 mit Till Lindemann ja auf ihr großes Idol getroffen ist. Sie war einfach ein Riesenfan. Es geht hier also auch um die Frage von Macht, die in solchen Situationen von Till Lindemann möglicherweise auf junge Frauen ausgeübt wurde, und ob er diese Macht missbraucht hat. Lindemanns Anwalt betont dazu, dass der Sex am Rande von Konzerten immer einvernehmlich war und dass keine der Frauen in ihrer Willensbildung beeinträchtigt gewesen sei.
Das Thema hat ja den ganzen Sommer polarisiert, so stark wie kaum ein anderes. Warum war das denn so deiner Einschätzung nach?
Ich glaube, weil das Thema größer ist als Lindemann. Es ist eigentlich nur ein weiteres Beispiel für eine Frage, die da lauten könnte: Darf ein Mann, der alles haben kann, sich denn auch alles nehmen? Denn egal, ob es sich wie in anderen MeToo-Fällen um einen prominenten Regisseur, einen Chefredakteur oder eben wie jetzt um einen Sänger handelt, geht es darum, welches Verhalten von mächtigen Männern gegenüber Frauen wir akzeptabel finden und welches nicht. Wo ist da die Grenze? Und das ist, glaube ich, am Ende auch eine Frage, die wir nicht nur mit dem Strafrecht beantworten können. Es ist auch eine gesellschaftliche Frage. Und es ist eine Frage, deren Antwort sich sicher auch mit der Zeit immer wieder verändert, die wir also immer wieder neu aufwerfen und beantworten.
Die Fragen an Isabel Schneider stellte Stefan Schlag. Der Panorama Fernsehbeitrag ist in der ARD Mediathek abrufbar.